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Chinas Gezeitenwende stellt den Anleihemarkt auf den Kopf

Von Stefan Schaaf, Frankfurt Börsen-Zeitung, 10.9.2015 Was ist nur am Anleihemarkt los? Viele Marktteilnehmer rätseln, warum Bundesanleihen sich derzeit unnormal verhalten. Denn eigentlich sollten ihre Kurse steigen (und die Renditen fallen), wenn...

Chinas Gezeitenwende stellt den Anleihemarkt auf den Kopf

Von Stefan Schaaf, FrankfurtWas ist nur am Anleihemarkt los? Viele Marktteilnehmer rätseln, warum Bundesanleihen sich derzeit unnormal verhalten. Denn eigentlich sollten ihre Kurse steigen (und die Renditen fallen), wenn die Aktienmärkte einbrechen – und umgekehrt. Doch das Gegenteil ist zu beobachten, Dax-Future und Bund-Future laufen nicht mehr konsequent gegeneinander. Am Dienstag dieser Woche beispielsweise verharrte die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen den ganzen Tag bei rund 0,67 %, während der Dax um rund 2 % in die Höhe schoss. Die zu beobachtende Anomalie stellt diejenigen vor Probleme, die ein gemischtes Portfolio aus Aktien und Anleihen etwa in einem Multi-Asset-Fonds managen und sich darauf verlassen, dass Bundesanleihen als Risikopuffer dienen.Als Erklärungen der Anomalie werden vor allem die Unsicherheit über den Zeitpunkt einer US-Zinserhöhung und Käufe der Europäischen Zentralbank (EZB) im Zuge ihrer quantitativen Lockerung genannt. Auch die geringe Liquidität in der Urlaubssaison durfte als obligatorische Begründung nicht fehlen. Zufriedenstellend sind diese Erklärungen nicht, zumal sie alle nicht neu sind.Auf der Suche nach Antworten führt hingegen die Spur nach China, das längst eine zentrale Rolle für die Entwicklung der globalen Finanzmärkte spielt. Kurz gesagt: Der sprichwörtliche “Sack Reis” war gestern. Vielmehr hat die chinesische Führung mit der Abwertung des Yuan und dessen teilweiser Freigabe im August starke Verwerfungen am Kapitalmarkt ausgelöst.Die eigentliche Gezeitenwende waren jedoch nicht die Veränderungen am Währungsregime, das mit Blick auf die IWF-Sonderziehungsrechte auch machtpolitische Gründe hat. Aus Marktsicht ist vielmehr der drastische Abbau der Währungsreserven der Volksrepublik bemerkbar, der einerseits auf die Stützung des Yuan, aber wohl auch auf die Einzahlung des Startkapitals für die Entwicklungsbank für Asien (AIIB) und die multilaterale Entwicklungsbank New Development Bank zurückzuführen ist. Ähnliche Entwicklungen wie in China sind bei anderen großen Reserve-Ländern wie Russland oder Saudi-Arabien zu beobachten. Ende der AkkumulationDie Deutsche Bank spricht in einer Studie vom Ende der “Großen Akkumulation” der Währungsreserven. Der aktuelle Bestand von gut 12 Bill. Dollar könnte bis Ende 2016 um 1,6 Bill. Dollar schrumpfen, so die drei Währungsanalysten Robin Winkler, George Saravelos und Mallika Sachdeva. Welches Ausmaß die chinesischen Interventionen am Devisenmarkt und damit auch am globalen Anleihemarkt haben, wurde Anfang dieser Woche publik. China hat im August seine Reserven um 94 Mrd. Dollar und damit so stark wie niemals zuvor abgebaut. Damit hat die People’s Bank of China (PBoC) mehr Anleihen in einem Monat auf den globalen Markt geworfen, als die US-Notenbank während ihres dritten Anleihekaufprogramms, “QE3” genannt, monatlich kaufte. Zur Erinnerung: Es waren 85 Mrd. Dollar.Während die Fed Anleihen vom Markt nahm und die EZB dies aktuell tut, wirft die chinesische Notenbank welche auf den globalen Markt. Sie dreht damit den Strom an Liquidität quasi um. Die Devisenanalysten der Deutschen Bank prägten dafür den Begriff der quantitativen Straffung (quantitative Tightening, QT). Die Anleiheschwemme könnte die Fed, die erstmals seit der Finanzkrise wieder die Zinsen erhöhen will, wie auch die EZB vor Probleme stellen. Der Erfolg ihres QE-Programms – gemessen an sinkenden Anleiherenditen und einer Rückkehr der Inflation – ist gefährdet, hält sie gerade einmal monatlich Bondkäufe über 60 Mrd. Euro den umgerechnet 84 Mrd. Euro an Abflüssen von Währungsreserven in China entgegen.Sollte sich der Trend zum Abbau von Währungsreserven fortsetzen, so werden die Anleiherenditen steigen, ohne dass die Fed die Zinsen erhöhen muss. Die Analysten der Deutschen Bank schätzten, dass der Aufbau von rund 10 Bill. Dollar an globalen Währungsreserven seit dem Jahr 2003 die Bond-Renditen um rund 100 Basispunkte drückte. Verkäufe von Euro-BondsUnd damit schließt sich der Kreis zur anormalen Kursreaktion der Bundesanleihen. Geht man davon aus, dass China wie der vom IWF berechnete globale Durchschnitt rund 20 % seiner Reserven in Euro hält, so kamen im August Euro-Anleihen im Volumen von rund 17 Mrd. Euro auf den Markt. Da zudem anzunehmen ist, dass die PBoC vor allem bei hoher Marktvolatilität intervenierte, dürften insbesondere an Tagen mit Kursverlusten am Aktienmarkt die Kurse von Bundesanleihen wegen des hohen Angebotes aus China nachgegeben haben. Damit könnte die Anomalität im Kursverlauf erklärt werden. Hält der Trend zum Abbau von Reserven an, werden sich Anleger auf solche Marktreaktionen einstellen müssen.Damit ergibt sich neben den Carry Trades und schwankenden US-Zinserwartungen eine weitere Erklärung für die Dollar-Schwäche im August. Es waren nämlich vor allem Dollar, die von China auf den Markt geworfen wurden, worauf Berechnungen der Commerzbank hindeuten. Die Gezeitenwende in China könnte zu einer echten Herausforderung für den Greenback werden.