Chinesische Aktien sind wieder in Mode

Trotz eines labilen Waffenstillstands im Handelskrieg und eines hohen Schuldenstands fließt ausländisches Kapital an die Aktienmärkte des Landes

Chinesische Aktien sind wieder in Mode

Chinas Aktienmarkt erfreut sich wieder eines guten Zuspruchs ausländischer Investoren. Neben der Deeskalation des Handelskonflikts mit den USA locken auch steigende Unternehmensgewinne Anleger an. Für Auftrieb und Zuflüsse sorgt auch die Aufnahme von A-Aktien in MSCI-Indizes.Von Ernst Herb, HongkongDer eskalierende Handelskrieg und eine abkühlende Konjunktur haben in den vergangenen zwei Jahren an den chinesischen Aktienmärkten für eine erhöhte Volatilität gesorgt. Doch hat sich die Stimmung der Investoren für Aktien der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft seit einigen Monaten deutlich verbessert. Dafür war nicht nur die Entspannung in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen, die am Mittwoch in der Unterzeichnung eines Handelsdeals gipfelte, verantwortlich. Maßnahmen zeigen WirkungVor allem zeigen die im Verlauf des Vorjahres von der Regierung und der Notenbank eingeleiteten wachstumsstützenden Maßnahmen zunehmend Wirkung. Nachdem die Gewinnschätzungen der im MSCI-China-Index erfassten Titel über mehrere Quartale hintereinander gesenkt worden sind, setzte im November unter anderem auch wegen der relativ günstigen Bewertungen eine allgemeine Trendumkehr ein. Dank all dem gingen 2019 alle wichtigen chinesischen Aktienindizes schlussendlich mit einem deutlichen Jahresplus aus dem Handel.So legte der die 300 an der Börse Schanghai notierten größten und liquidesten chinesischen Aktien umfassende CSI 300 nach einem äußerst stürmischen Jahr 2018 und ersten Halbjahr 2019 im Verlauf des Vorjahres schlussendlich mehr als 22 % zu. Damit hat er deutlich den in HK-Dollar denominierten China Enterprise Index der Börse Hongkong übertroffen, der an der HKEX notierte Festlandunternehmen erfasst. Nach Einschätzung von Analysten dürfte die Rally gerade an den Festlandbörsen 2020 nicht nur wegen des besser gewordenen Investitionsklimas, sondern vor allem auch dank steigender Unternehmensgewinne anhalten.Gemäß dem japanischen Brokerhaus Nomura werden die Gewinne der 300 größten börsennotierten Gesellschaften im laufenden Jahr um 7,3 % steigen. Dafür sorgen auch die vom Finanzministerium in den vergangenen Monaten bereits vorgenommenen und für 2020 angekündigten Senkungen der Steuern für den verarbeitenden Sektor. Für steigende Kurse dürfte indes vor allem auch der anschwellende Zufluss von ausländischem Kapital sorgen.Dieser Trend, der bereits in der ersten Hälfte 2019 eingesetzt hat, wird dabei vor allem auch durch die schrittweise Einschließung von in Yuan denominierten chinesischen Dividendentiteln in MSCI-Indizes getragen. Sogenannte A-Aktien erscheinen im Vergleich zu in Hongkong gehandelten H-Aktien umso interessanter, legten sie doch gerade wegen der Deeskalation im Handelsstreit auch jüngst eine vergleichbar bessere Performance an den Tag als ihre Hongkonger Pendants.Nach Einschätzung von Analysten der UBS werden Ausländer im laufenden Jahr an den Börsen Schanghai und Shenzhen Nettokäufe im Wert von 300 Mrd. US-Dollar tätigen. Nomura geht gestützt auf all das davon aus, dass der CSI 300 – der am Freitag bei 4 155 Punkten aus dem Handel gegangen ist – bis Ende Dezember die Marke von 5 000 Zählern durchbrechen wird.Ein deutlich größeres Aufwärtspotenzial als der CSI 300 dürfte nach Einschätzung von Analysten von J.P. Morgan Asset Management der die Nebenwerte erfassende Chinext-Index haben. In diesem äußerst volatilen Segment der Börse Shenzhen tummeln sich anders als bei den Large Caps vor allem Kleinleger, deren Investitionsentscheide mehr von der Stimmung und Gerüchten als von Fundamentaldaten beeinflusst werden. Der Chinext ist seit seinem Juni-Tief um nahezu 40 % in die Höhe geklettert und hat damit den CSI 300 um beinahe das Doppelte übertroffen. Allerdings liegt er damit weiterhin rund 50 % unter dem Stand, den er vor dem Crash der Festlandbörsen im Juni 2015 erreicht hatte.Basiert auf dem besseren internen und externen Umfeld haben mittlerweile auch eine ganze Reihe von Ökonomen ihre Wachstumsprognose für die chinesische Wirtschaft im laufenden Jahr mit Verweis auf Nachrichten über eine Entspannung im Handelsstreit und vor allem auch ein sich verbesserndes Konjunkturklima nach oben korrigiert. Louis Kuijs, der Asienvolkswirt des unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstituts Oxford Economics, geht neu von einem in diesem Jahr um 6 % expandierenden Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus, nachdem er noch vergangenen September für 2020 eine Wachstumsrate von 5,7 % voraussagte. Goldman Sachs rechnet dagegen mit einem Rückgang auf 5,8 % und für 2021 mit einem BIP-Wachstum von 5,7 %. Am Freitag wurde bekannt gegeben, dass das BIP-Wachstum im zurückliegenden Jahr von 6,6 % auf 6,1 % gesunken ist.Überzogene Erwartungen, was etwa eine umfassende Senkung der von den USA auf chinesische Einfuhren verhängten Strafzölle betrifft, sind klar fehl am Platz. Das zeigt sich schon einmal daran, dass der auf chinesische Importe im Umfang von 500 Mrd. Dollar erhobene Zolltarif auch nach der am Mittwoch in Washington vereinbarten Senkung der Strafabgaben immer noch 19 % beträgt. Vor dem Ausbruch des Handelsstreits waren es lediglich 3 %.Vor allem bleiben größere Fragen wie etwa die in China fehlende Rechtssicherheit oder der Zugang von chinesischen Telekommunikationsausrüstern wie etwa Huawei zum amerikanischen Markt weiterhin offen. Damit kann schon einmal davon ausgegangen werden, dass die wechselvollen chinesisch-amerikanischen Beziehungen zumindest punktuell in den kommenden Monaten an den Finanzmärkten für Nervosität sorgen werden. Das trifft auch auf den Gesundheitszustand der Wirtschaft zu. Das vor allem auch, weil sich der gesamtwirtschaftliche Verschuldungsgrad gemessen am BIP der Schwelle von 300 % nähert. Mehr ZahlungsausfälleDamit verfügen die Regierung und die Notenbank im Falle einer Krise über relativ kleinen geld- und fiskalpolitischen Freiraum. Dabei geben vor allem auch die hohen Verbindlichkeiten der Unternehmen zu Sorge Anlass. Moody’s erwartet für die kommenden Monate denn schon einmal deutlich wachsende Zahlungsausfälle vor allem von privaten Gesellschaften. “Kreditrisiken bleiben auch im laufenden Jahr hoch”, heißt es in einem Bericht der Ratingagentur.Peking scheint das Problem erkannt zu haben und misst der Finanzstabilität denn auch sehr hohe Priorität bei. Trotzdem kann davon ausgegangen werden, dass in den kommenden Monaten eine ganze Reihe kleinerer wachstumsstützender staatlicher Maßnahmen an den Aktienmärkten für gute Laune sorgen werden. Einen ersten solchen Schritt hat die chinesische Zentralbank am 1. Januar mit der Senkung des Mindestreservesatzes um 0,5 Prozentpunkte gemacht. Dadurch können die Geschäftsbanken Liquidität im Umfang von 800 Mrd. Yuan (rund 104 Mrd. Euro) freisetzen.Größtes Aufwärtspotenzial haben im gegenwärtigen Marktumfeld nach Einschätzung der UBS der E-Commerce-Sektor, Technologie-Hardware, Banken und Konsumgüter des alltäglichen Bedarfs. Erheblichen Gegenwind dürfte in den kommenden Monaten angesichts der Überkapazitäten und eines niedrigeren Erdölpreises der Energiesektor zu spüren bekommen. Dasselbe trifft angesichts der fallenden Subventionen auch auf die Telekommunikationsbetreiber zu.