DEVISENWOCHE

Corona bringt Misere der Lira ans Licht

Von Thomas Meißner *) Börsen-Zeitung, 5.5.2020 In der Coronakrise gehört am Devisenmarkt die türkische Lira zu den ganz großen Verlierern. Unter den Währungen der "zweiten Reihe" haben gegenüber dem Euro im laufenden Jahr lediglich die norwegische...

Corona bringt Misere der Lira ans Licht

Von Thomas Meißner *)In der Coronakrise gehört am Devisenmarkt die türkische Lira zu den ganz großen Verlierern. Unter den Währungen der “zweiten Reihe” haben gegenüber dem Euro im laufenden Jahr lediglich die norwegische Krone und der russische Rubel stärker verloren als die Lira. Dabei leidet die türkische Landeswährung, anders als Rubel und Krone, nicht unter einem stark verminderten Rohölpreis. Vielmehr kommt ein Preis für ein Fass Rohöl der Sorte Brent um die 20 Dollar der Türkei sehr gelegen, verbilligt er doch, für sich genommen, gegenüber einem Preis von 70 Dollar wie vor Jahresfrist Ankaras Ölrechnung.Seit Jahresbeginn hat die türkische Lira gegenüber dem Euro gut 12 % an Wert verloren. Mittlerweile durchläuft sie die dritte heftige Abwertungswelle innerhalb von drei Jahren. 2018 war die Türkei auf dem Weg zu einer Zahlungsbilanzkrise, ebenso im vergangenen Jahr, im zeitlichen Umfeld von Kommunalwahlen im Land. Aktuell zieht erneut ein Unwetter auf. Dabei gleichen sich die Bilder zwar zu einem gewissen Grad; die konkreten Begleitumstände sind aber jeweils leicht anders gelagert.Im laufenden Jahr nahm die kräftige Abwertung ihren Ausgang im Februar. Mit der Realisation, dass das Coronavirus nicht auf China beschränkt bleiben würde, sondern bereits zu jenem Zeitpunkt seinen Weg um den Globus angetreten hatte, begann am Finanzmarkt die sprichwörtliche “Flucht in Qualität”, und Risikoassets wurden abgestoßen. Eine überzeugende Ausrede für die türkischen Verantwortlichen erwächst aus einem Verweis auf das Coronavirus nicht. Allzu lange ist die Wirtschaftspolitik am Bosporus einen hochriskanten Kurs gefahren. Corona ist lediglich der Auslöser der gegenwärtigen Krise der Türken-Lira, nicht die tieferliegende Ursache. Strukturell im DefizitAktuell rächt sich am Devisenmarkt einmal mehr, dass die Türkei nicht von ihrem strukturellen Leistungsbilanzdefizit lassen will. Wie ein Drogenabhängiger drängt es das Land beständig zu einem Überschuss der Einfuhren von Gütern und Diensten aus der übrigen Welt. Diejenigen Episoden, in denen Exportüberschüsse zu beobachten waren, dauerten meist nur kurz. Zwischen 2004 und 2017 gab es kein einziges Vierteljahr mit einem Leistungsbilanzüberschuss. Wenn Letzteres im Falle der Türkei dann doch mal auftritt, ist dies meist Ausdruck einer Krise: Ein plötzliches Versiegen externer Finanzierungsquellen (“sudden stop”) lässt die Möglichkeit, sich im Ausland weiter zu verschulden, jeweils gen null laufen, und die Importe knicken notgedrungen ein.Auch im laufenden Jahr erlebt die Türkei wieder einen “sudden stop”. Dabei hilft es nicht wirklich weiter, dass derzeit auch andere Emerging Markets mit diesem Phänomen zu kämpfen haben. Ganz grundsätzlich ist zu fragen, ob die Türkei in Zukunft nicht einen nachhaltigeren Wachstumspfad einschlagen will. Der Zeitpunkt könnte für einen derartigen Strategieschwenk nunmehr gekommen sein. In der Türkei reihten sich die Krisen zuletzt so schnell aneinander, dass sich in den kurzen Zeiträumen dazwischen die Wirtschaft des Landes nicht mehr erholen konnte. So ist die Arbeitslosenquote 2018 schlagartig auf ein Niveau um die 15 % gestiegen und verharrt seither dort, ohne zwischenzeitliche Entspannung. Das erste Mittel der Wahl für einen makroökonomischen Strategieschwenk wäre zweifellos ein strukturell höheres Leitzinsniveau durch die Zentralbank. Zwar ginge dies wohl kurzfristig auf Kosten der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Auf eine längere Frist würde dies aber einen Ertrag abwerfen in Form einer höheren makroökonomischen Stabilität. Auf eine hinreichend lange Strecke betrachtet dürfte ein weniger schwankungsanfälliges Makroumfeld zu einem nachhaltig höheren Wachstum führen, mit einer geringeren Importneigung der türkischen Volkswirtschaft. Gegen höhere ZinsenDummerweise goutiert speziell der Palast des türkischen Staatspräsidenten höhere Leitzinsen nicht. Dabei folgt die türkische Zentralbank Vorgaben von dort sehr genau, speziell seit dem Rausschmiss des vorherigen Zentralbankpräsidenten 2019 und der Inthronisierung des ehemaligen Vize. In den zurückliegenden zwölf Monaten sind die Leitzinsen achtmal abgesenkt worden. Zur Beruhigung der Lage am Devisenmarkt setzt die Zentralbank ganz auf ihre Devisenreserven, die entsprechend dahinschmelzen wie der sprichwörtliche Schnee in der Sonne. Auf Basis der jüngsten veröffentlichten Zahlen müsste die Zentralbank wohl im Verlaufe des Sommers ihre Verteidigung der Lira einstellen – weil ihr dann schlichtweg die Munition ausgegangen sein wird.Solange die türkischen Verantwortlichen keine hinreichenden Leitzinsanhebungen vornehmen und solange sie nicht glaubwürdig signalisieren, der makroökonomischen Stabilität verpflichtet zu sein, wird wohl weiter Abwertungsdruck auf der Lira lasten. Die Lira wird insofern kaum kurzfristig als Anlagewährung reüssieren können. Auf Sicht eines Jahres prognostizieren wir im Trend einen weiteren Verfall der türkischen Landeswährung bis auf 8 Lira je Euro. Dies entspräche einer weiteren nennenswerten Abwertung, und zwar um gut und gerne 5 %. Die Renditen von Lira-Anleihen, so von knapp 9 % für Staatspapiere am kurzen Ende der Laufzeitenkurve am Kapitalmarkt, klingen zwar verlockend. Sie lohnen unseres Erachtens aber nicht das hiermit einhergehende Risiko. *) Thomas Meißner leitet die Abteilung Strategy Research bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).