KREDITWÜRDIG

Coronakrise verändert die Risikoprofile

Von Carsten Lüdemann *) Börsen-Zeitung, 5.11.2020 Covid-19 hat die Welt in vielerlei Hinsicht verändert, so auch in der Risikobetrachtung an den Kapitalmärkten. Zu Beginn des weltweiten Pandemieausbruchs im Februar haben die Kapitalmärkte schnell...

Coronakrise verändert die Risikoprofile

Von Carsten Lüdemann *) Covid-19 hat die Welt in vielerlei Hinsicht verändert, so auch in der Risikobetrachtung an den Kapitalmärkten. Zu Beginn des weltweiten Pandemieausbruchs im Februar haben die Kapitalmärkte schnell die extreme Bedrohung für die Weltkonjunktur erkannt und in Risikoflucht umgesetzt. Genauso gut und schnell hat der Kapitalmarkt aber auch erkannt, dass diese Krise temporärer Natur sein wird, dass Restriktionen wie im März nicht von Dauer sein können und dass ein Mix aus Stabilisierungsmechanismen zum Einsatz kommt, mit dem es gelingen wird, die Tiefe des Einbruchs effektiv abzufedern. Die folgende Kurserholung betraf, wie schon beim vorherigen Absturz, sowohl Aktien- als auch Kreditmärkte, wobei sich in Europa Unternehmensanleihen besser erholten als Aktien. Dies liegt vor allem an der direkten Unterstützung, die die Europäische Zentralbank (EZB) dem Corporate-Sektor mit ihrem erweiterten Kaufprogramm zukommen lässt. Zudem hat die Verlagerung der Allokation aus dem tief negativ rentierenden Staatsanleihesegment in Richtung Unternehmensbonds die Spread-Aufholung beschleunigt. Sehr deutliche Unterschiede zwischen Aktien und Anleihen in der Kursaufholung zeigen sich dennoch in der Branchenbetrachtung. Während die Notenbank mit ihrer Kaufflut alle Boote im Unternehmenssektor mehr oder weniger gleich anhob, ist die Entwicklung an den Aktienmärkten sehr viel differenzierter verlaufen. Banktitel leidenDie Kurse von Automobilwerten hängen beispielsweise um gut 10 % und Energiewerte sogar um mehr als 40 % hinter den Vor-Krisen-Niveaus zurück. An den Rentenmärkten haben diese Branchen dagegen ihre zwischenzeitlichen Verluste wieder aufgeholt und weisen positive Total-Return-Erträge seit Jahresbeginn aus. Auffällig ist auch die unterschiedliche Entwicklung im Bereich Telekommunikation. Während dieser Teilindex im Aktienmarkt um fast 20 % hinter die Jahresanfangskurse zurückgefallen ist, führen Telekomunternehmen die Teilindizes der iBoxx-Familie mit einer bisherigen Jahresperformance von gut 3 % an. Besonders interessant ist aber die Entwicklung von Bankaktien. Diese leiden besonders stark unter der Coronakrise, denn ihnen drohen aus allen betroffenen Branchen möglicherweise hohe Ausfälle in den Kreditbüchern. In den Bilanzen ist dies mit entsprechend hohen Rückstellungen berücksichtigt worden. Und obwohl die jüngst gemeldeten Geschäftsergebnisse zum dritten Quartal teilweise deutlich positiv überrascht haben, gehören Bankaktien zu den großen Verlierern in europäischen Aktienindizes. Am Bondmarkt jedoch haben sich Banktitel ähnlich gut erholt wie die übrigen Branchen und weisen im iBoxx-Bankenindex einen Total Return von gut 1 % in diesem Jahr aus. Und das, obwohl sie nicht zum Anleiheuniversum der EZB gehören und daher vom Kaufprogramm bestenfalls indirekt profitieren.Die Pandemiebekämpfung bewirkt eine Verschiebung der Risikoparameter zugunsten von Fremdkapital. Während das Kreditumfeld künstlich extrem niedrig gehalten wird, leidet die Aktienbewertung unter den Rezessionsfolgen. Die meisten staatlichen und geldpolitischen Unterstützungsmaßnahmen sind darauf ausgelegt, die Firmen mit Liquiditätshilfen am Leben zu halten in der Hoffnung, dass bei einer nachhaltigen Eindämmung der Pandemie die Geschäfte zu ursprünglicher Stärke zurückfinden. Die Notenbank sorgt dabei für extrem günstige Finanzierungsbedingungen, und der Staat hilft, wo nötig, mit Überbrückungskrediten aus. Eigenkapitalhilfen gibt es nur in vergleichbar geringem Maße und oftmals zu eher unattraktiven Konditionen. Für die Lufthansa beispielsweise steigen die Kupons für die stille Beteiligung des Staates mit den Jahren bis auf 9,5 %, und das Eigenkapital muss sogar mit 12 % verzinst werden. Zudem musste die Fluggesellschaft als Ausgleich für die staatliche Hilfe (ehemals) wertvolle Start- und Landerechte abgeben sowie Mitsprache im Aufsichtsrat einräumen. Unternehmen sind daher bemüht, solche Einschränkungen zu vermeiden. Die auflaufenden Kredite und die andauernde Durststrecke bei den Einnahmen fressen allerdings massiv an der Profitabilität.Besonders ausgeprägt ist diese Bewertungsverschiebung in der Bankenlandschaft. Aus den Lehren der Finanz- und Eurokrise wurde in der EU der Bankenabwicklungsmechanismus eingeführt, der im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit einer Bank die Umwandlung von Teilen von Fremd- in Eigenkapital vorsieht, bevor staatliche Hilfe in Anspruch genommen werden kann. Zudem wurden seitens der Bankenaufsicht höhere Eigenkapitalforderungen gestellt sowie riskante Geschäftsmodelle mit zusätzlicher Kapitalunterlegung abgesichert. Banken wurden gezwungen, mit entsprechenden Kapitalstrukturen Puffer aufzubauen, um sich weiter günstig am Kapitalmarkt refinanzieren zu können. In der Folge wurden Banken immer sicherer, aber auch weniger profitabel. An den Kapitalmärkten wirkte sich dies in einer Verschiebung der Bewertungskriterien aus, so dass bereits in den vorigen Jahren Bankaktien im Vergleich zu Bankanleihen deutlich an Wert verloren haben. In der Pandemie hat sich dieser Trend noch einmal kräftig beschleunigt. Einerseits werden Banken bei ihrer Liquiditätsbeschaffung massiv von der EZB unterstützt und können sich extrem günstig refinanzieren. Andererseits wurden von der Aufsicht Beihilferegelungen aufgeweicht, so dass ein Bail-in, also die Inanspruchnahme von nicht nachrangigem Fremdkapital, deutlich unwahrscheinlicher geworden ist. Des Weiteren wurde im Markt darauf spekuliert, dass die EZB bei einer nochmaligen Ausweitung der Kaufprogramme auch Bankanleihen in ihr Kaufuniversum aufnehmen könnte. Auf der jüngsten Ratssitzung gab es hierzu noch keine Details, doch die Ankündigung, sämtliche Instrumente neu kalibrieren zu wollen, lässt dieser Möglichkeit zusätzlichen Raum. EZB als StützeDer größte Unterstützungsfaktor für Unternehmensanleihen bleibt das EZB-Kaufprogramm. Präsidentin Lagarde hat auf der Pressekonferenz zum vorigen Zinsentscheid sehr dovishe Signale ausgesendet, die eine kräftige Aufstockung der Anleihekäufe und möglicherweise auch eine Ausweitung des Anleiheuniversums für die kommende Dezembersitzung erwarten lassen. In jedem Fall aber bleibt Unternehmensanleihen ein relativ großer Anteil im Rahmen des APP vorbehalten, was weiter für niedrige Risikoaufschläge sorgen wird. Seit Ende März haben Unternehmen in einem atemberaubenden Tempo Neuemissionen auf den Markt geworfen, die dank EZB und immensem Anlagebedarf internationaler Investoren sehr erfolgreich platziert werden konnten. Inzwischen haben viele Konzerne ihren Liquiditätsbedarf aufgefüllt, und das Tempo bei Neuemissionen hat spürbar nachgelassen. Verminderter Emissionsdruck, Aufstockung der EZB-Wertpapierkäufe sowie die Bewertungsverschiebung dürften Unternehmensanleihen somit weiterhin trotz niedriger Renditen als vergleichsweise attraktive Anlageklasse erscheinen lassen. *) Carsten Lüdemann ist im Makro-Research der DekaBank tätig.