DEVISENWOCHE

Das Dilemma der EZB-Freibeträge

Von Ulrich Leuchtmann *) Börsen-Zeitung, 6.10.2020 In letzter Zeit keimten erste Spekulationen darüber auf, die Europäische Zentralbank (EZB) könne die Freibeträge für Banken erhöhen, also den Teil der Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB, der...

Das Dilemma der EZB-Freibeträge

Von Ulrich Leuchtmann *)In letzter Zeit keimten erste Spekulationen darüber auf, die Europäische Zentralbank (EZB) könne die Freibeträge für Banken erhöhen, also den Teil der Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB, der vom Negativzins ausgenommen ist. Die EZB führte die Freibeträge im September 2019 ein – zeitgleich mit der jüngsten Senkung des Einlagensatzes von – 0,4 % auf – 0,5 %. Sie wollte damit ein Problem entschärfen, welches Negativzinsen mit sich bringen: Sie stellen quasi eine Steuer auf Einlagen der Banken bei der EZB dar und schmälern somit die Gewinne der Geschäftsbanken.Klar, es ist eigentlich nicht Aufgabe der Geldpolitik, den Banken Gewinne zu sichern. Gute Geldpolitik muss manchmal den Banken wehtun. Die Idee hinter dem negativen Einlagensatz ist ja gerade, dass er den Banken so wehtun soll, dass sie mehr Kredite vergeben und nicht totes Kapital auf ihren EZB-Konten liegen lassen. Soweit der Plan der EZB. Aber er geht nicht auf. Weil die Kreditvergabe langsamer wächst als die Liquiditätszufuhr der EZB, häufen die Banken immer höhere Beträge an Überschussliquidität auf den Konten der EZB an, mittlerweile rund 3 Bill. Euro. Fähigkeit zur KreditvergabeSchon 2019 und jetzt erst recht kann es nicht im Interesse der EZB sein, die Banken zu sehr zu besteuern. Sie braucht deren Willen und Fähigkeit zur Kreditvergabe. Warum sonst tut die EZB mit anderen Programmen (“TLTRO”) viel dafür, dass Banken mehr Kredite vergeben? Für Kreditvergabe benötigen die Banken aber viel Eigenkapital. Das ist eine Folge der Bankenregulierung, die Kreditvergabe und Eigenkapitalausstattung in ein enges Verhältnis setzt, um Krisen wie 2008 zu verhindern. Je geringer die Gewinne der Banken sind, desto weniger mutig vergeben sie aber Kredite. Denn dann erscheint ihnen ihr Eigenkapital als knapperes Gut.Die Folge von all dem ist, dass Zinssenkungen ab einer gewissen Schwelle nicht mehr die Kreditvergabe ankurbeln, also nicht mehr expansiv wirken, sondern ihre Wirkung umkehren. Senkt die EZB ihren Leitzins unter diesen “Umkehr-Satz”, bewirkt sie das Gegenteil dessen, was sie will: Sie schmälert die Gewinne der Banken so sehr, dass diese so sparsam mit ihrem Eigenkapital umgehen, dass sie weniger Kredite vergeben, nicht mehr.Das Problem ist: Niemand weiß, wo der “Umkehr-Satz” liegt. Schließlich hat die EZB keine langfristige Erfahrung mit deutlich negativen Einlagenzinssätzen. Andere Zentralbanken mit ähnlich negativen Leitzinsen haben entweder dieses Experiment mittlerweile frustriert beendet (die schwedische Riksbank) oder reden zumindest schon lange nicht mehr von weiteren Zinssenkungen (die Schweizerische Nationalbank). Wieder andere (wie die Fed) schließen wegen all dieser Komplikationen Negativzinsen kategorisch aus.Ein scheinbarer Ausweg aus dem Dilemma der EZB sind die Freibeträge. Damit entlastet sie die Banken und konnte es 2019 wagen, den Einlagensatz weiter zu senken, ohne die Banken noch stärker zu belasten. Als die EZB die Freibeträge einführte, argumentierten daher viele, damit würde sie Raum für weitere Zinssenkungen schaffen, diese würden somit wahrscheinlicher und man solle daher mit weiterer Euro-Schwäche rechnen. Das – und nicht der Mini-Zinsschritt um 0,1 Prozentpunkte an sich – war der Euro-negative Aspekt der damaligen Entscheidung. Doch die Erfahrung hat gelehrt, dass diese Annahme falsch war. Wenn die EZB im Frühjahr angesichts dramatischer Einbrüche der Wirtschaftsaktivität im Euroraum (BIP – 11,8 %) ihre Zinsen – anders als z. B. die Fed – nicht gesenkt hat, dann ja wohl deshalb, weil sie befürchtete, damit unter den “Umkehr-Satz” zu geraten. Ansonsten wäre es in ihrer Logik ja geradezu kriminell, das Zinsinstrument nicht zu benutzen. Keine NaturkonstanteNun ist der Umkehr-Satz aber keine Naturkonstante. Der belastende Effekt für die Banken vergrößert sich auch dann, wenn der Einlagensatz gleich bleibt, aber die Einlagen steigen. Genau das ist in den letzten Monaten aufgrund der stärkeren QE-Aktivität der EZB geschehen. Mit einer Ausweitung ihrer bestehenden Programme und der Einführung eines neuen Wertpapier-Kaufprogramms hat sie schnell die Einlagen der Banken auf ihren Konten erhöht. Um bei der Steuer-Metapher zu bleiben: Sie erhöhte die Steuerbasis, nicht den Steuersatz. Daher ist durchaus möglich, dass die EZB die Freibeträge anhebt. Das ist aber eher ein Zeichen dafür, dass sie befürchtet, der Umkehr-Satz sei bei den derzeitigen Einlagenvolumina bereits erreicht. Damit würde die EZB wiederum signalisieren, dass sie schon bei jetzigem Zinsniveau Probleme erkennt und gerade nicht leichtfertig eine weitere Zinssenkung erwägt. Damit gilt: Eine weitere Zinssenkung bleibt unwahrscheinlich. Die Geldpolitik der EZB macht den Euro sicherlich nicht attraktiv. Aber diese Zentralbank ist bezüglich des Zinsinstrumentes nicht “trigger-happy”. Andere Instrumente mag sie verstärkt einsetzen, für die Euro-Wechselkurse ist aber vor allem ihre Zinspolitik entscheidend.Freilich könnte sich die Katze an dieser Stelle in den Schwanz beißen. Wertet der Euro zu heftig auf, wird eine Zinssenkung wahrscheinlicher. Eben weil der Zins für den Wechselkurs so relevant ist, hätte die EZB wohl kaum eine andere Möglichkeit, Euro-Aufwertung zu verhindern, falls sich der Markt von ihren verbalen Interventionen nicht dauerhaft beeindrucken lässt. Schon im September hatte EZB-Chefvolkswirt Philip Lane auf ungewöhnlich deutliche Art dem Devisenmarkt gedroht, bei fortgesetzter Euro-Aufwertung würde die EZB reagieren. Das war hart an der Grenze einer verbalen Intervention und widersprach eigentlich schon dem Versprechen, das sich die G7-Zentralbanken schon vor Jahren gegeben haben (zuletzt 2013): dass sie die Wechselkurse dem Markt überlassen und nicht manipulieren. Lanes Chefin Christine Lagarde hat mittlerweile die Sprechweise der EZB so korrigiert, dass sie mit dem G7-Kompromiss kompatibel ist. Auch Lane hält sich seitdem an diese Sprechweise. Aber die Katze ist nun mal aus dem Sack. Nicht wenige Devisenmarktteilnehmer dürften vermuten, dass die EZB wieder aggressiver spricht, wenn Euro-Dollar erneut der Marke von 1,20 entgegenstrebt. Dauerhafte VerteidigungJedoch gilt auch: Allein mit Worten hat eine Zentralbank noch nie dauerhaft ein Wechselkursniveau verteidigt, das der Markt nicht wollte. Doch hat die EZB – wenn Worte nicht mehr helfen – nur noch das Zinsinstrument, das den Devisenmarkt beeindrucken könnte. QE-Ausweitung hilft nicht wirklich, den Euro zu schwächen, wie die Erfahrung lehrt. Die Schlussfolgerung ist: Der Euro kann kaum erneut so heftig aufwerten wie im Sommer. Allerdings ist eine langsame Aufwertungsgeschwindigkeit wohl drin. Die stört die EZB nämlich üblicherweise weitaus weniger. Daran, so ihre Logik, können sich Unternehmen gewöhnen. Wir können durchaus also wieder Kurse um oder sogar über 1,20 sehen – allerdings nicht sofort. *) Ulrich Leuchtmann ist Leiter Devisen-Research der Commerzbank.