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Das Ende der Globalisierung: Warum Deutschland besonders betroffen ist

Börsen-Zeitung, 27.7.2019 Die Globalisierung, vor allem die zunehmende Verflechtung des internationalen Handels, war in den vergangenen 30 Jahren der dominierende Faktor, der die Entwicklung der Weltwirtschaft geprägt hat. Die zunehmende Bedeutung...

Das Ende der Globalisierung: Warum Deutschland besonders betroffen ist

Die Globalisierung, vor allem die zunehmende Verflechtung des internationalen Handels, war in den vergangenen 30 Jahren der dominierende Faktor, der die Entwicklung der Weltwirtschaft geprägt hat. Die zunehmende Bedeutung des Internets, die rasante Zunahme der Digitalisierung, aber auch die Erschließung neuer Verkehrswege und die effizientere Nutzung von Transportmitteln haben die Globalisierung vorangetrieben.Ausschlaggebend für ihren großen Erfolg war zum einen die zunehmende Liberalisierung des Welthandels, die zu einem Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen führte, und zum anderen die positive Unterstützung durch die größte Wirtschaftsmacht der Welt. Ohne den Schutz der USA hätte die Globalisierung niemals stattfinden können. Die seit dem Jahr 2000 zu beobachtende Phase der Hyperglobalisierung führte zu einer zunehmenden Fragmentierung der Produktion und der internationalen Wertschöpfungsketten, von der vor allem die Schwellenländer und hier in erster Linie China, das der Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 beitrat, profitierten.Doch seit der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 wird die Globalisierung von vielen Bürgern und zunehmend auch von der Politik in Frage gestellt. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass die Bewältigung der Krisenfolgen in den marktwirtschaftlich orientierten westlichen Demokratien wesentlich mehr Zeit erfordert hat, als dies in vielen autokratischen Ländern der Fall gewesen ist. Schwellenländer liegen vornSo ist die Weltwirtschaft zwischen 1990 und 1999 um durchschnittlich 3,1 % im Jahr gewachsen. Die Industrieländer wuchsen in diesem Zeitraum um 2,8 %, die Schwellenländer um 3,6 %. In der Phase der Hyperglobalisierung zwischen den Jahren 2000 und 2008 beschleunigte sich das globale Wachstum auf 4,3 % pro Jahr. Dies lag aber nicht an den Industrieländern, deren durchschnittliche Wachstumsrate auf 2,4 % sank, sondern allein an den Schwellenländern, deren wirtschaftliche Dynamik in dieser Zeit deutlich zunahm und deren Wachstum im Mittel 6,5 % pro Jahr erreichte.Abgesehen von der schweren Rezession im Jahr 2009 wächst die Weltwirtschaft zwar weiter, doch hat sich das globale Wachstum in den vergangenen zehn Jahren auf 3,4 % verlangsamt. In diesem Zeitraum wuchsen die Industrieländer nur noch um durchschnittlich 1,5 %, die Schwellenländer hingegen noch um 5,0 %.Dieser Sachverhalt, der kontinuierliche Abstieg der alten Industrieländer und der nahezu ungebremste Aufstieg der Schwellenländer, vor allem Chinas, hat in vielen westlichen Demokratien dazu geführt, dass liberale politische Ansichten bei den Wählern an Unterstützung verloren haben und stattdessen Politiker und Parteien, die populistische und nationale Ideen vertreten, an Zuspruch gewinnen.Am offensichtlichsten wurde dies im November 2016 mit der Wahl Donald Trumps zum 45. US-Präsidenten. Spätestens seitdem ist eine neue politische Doktrin zu beobachten: die Verteidigung und Kontrolle der Macht. Die bisher nach vorne gerichtete politische Strategie wird umgedreht; in der Fußballersprache würde man vom “Umschalten von Angriff auf Verteidigung” sprechen. So dürfte es den USA bei dem von Trump angezettelten Handelsstreit mit China nur vordergründig um die Reduzierung des Handelsbilanzdefizits gehen.Viel entscheidender für den US-Präsidenten ist dagegen die Verteidigung der eigenen geostrategischen Vormachtstellung. Zölle und Handelsbeschränkungen sind Mittel zum Zweck, um die wirtschaftliche, militärische und technologische Vormachtstellung zu verteidigen.Dass China die eigenen Ambitionen auf diesen wichtigen Gebieten zurückstellen wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Von daher gehen wir davon aus, dass der Handelsstreit zwischen den beiden Ländern anhalten wird. Die Hoffnung, dass es in absehbarer Zeit zu einem Durchbruch kommen wird, teilen wir nicht. Welche Implikationen ergeben sich aus diesen Einschätzungen? Vier KonsequenzenErstens: Der Streit zwischen den USA und China geht weiter und wird nicht schnell gelöst. Da auch die US-Demokraten ein Problem mit China haben, wird dieses Thema unabhängig vom Ausgang der US-Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr die Märkte weiter beschäftigen. Der Ton könnte zwar bei einem demokratischen US-Präsidenten im Vergleich zu Trump etwas versöhnlicher klingen, inhaltlich sind aber keine großen Zugeständnisse der Amerikaner zu erwarten.Zweitens: Das Handelsbilanzdefizit der USA nimmt weiter zu. Einem rückläufigen Fehlbetrag mit China stehen höhere Defizite mit anderen Ländern gegenüber. Drittens: Der Aufstieg Chinas zur größten Volkswirtschaft der Welt ist dennoch nicht aufzuhalten. Das Wirtschaftswachstum Chinas wird in den nächsten Jahren zwar weiter zurückgehen, dennoch bleibt es allein aufgrund der Demografie höher als in den USA. China und später auch Indien werden also zu dominierenden wirtschaftlichen Mächten – so wie es schon vor Beginn der industriellen Revolution bis Anfang des 19. Jahrhunderts der Fall war.Viertens: Die Globalisierung geht zu Ende. Die mit ihr verbundenen Wachstums- und Wohlfahrtseffekte verringern sich, so dass auch die globale Wachstumsrate in den nächsten Jahren vom Trend her zurückgehen wird. Länder, deren Wachstum stark von den Ausfuhren bestimmt wird, haben überdurchschnittlich viel zu verlieren. Dazu gehört leider auch Deutschland.Für die Kapitalmärkte bedeutet das Szenario eines global geringeren Wachstums, dass die Inflationsraten niedrig bleiben und man zukünftig mehr über Deflation als über Inflation sprechen wird. Die globale Niedrigzinsphase wird sich fortsetzen, der im Moment zu beobachtende Rückgang der Kapitalmarktrenditen ist nicht nur ein temporäres Phänomen, sondern dauerhaft – Japan lässt grüßen! Herausforderung für den DaxWas heißt das für Aktien? Das Argument der “Alternativlosigkeit” bekommt angesichts immer niedrigerer Zinsen neue Nahrung. Da Anleihen immer teurer werden, könnten sich auch die Bewertungsmultiplikatoren für Aktien erhöhen. Dies spricht für höhere Aktienkurse. Allerdings werden die Unternehmensgewinne zukünftig wohl weniger stark ansteigen, denn weniger Wirtschaftswachstum führt im Trend auch zu geringeren Gewinnen.Da die deutsche Wirtschaft mit ihrer hohen Exportquote von fast 40 % der gesamten Wirtschaftsleistung zu den potenziellen Verlierern der neuen weltpolitischen Ordnung gehören könnte, dürfte es für die meisten Unternehmen im Dax eine besondere Herausforderung sein, ihre Erträge in der bislang gekannten Form zu steigern. Anleger müssen von daher die Gewinnentwicklung besonders im Blick behalten. Erwartungsgemäß gab es in den letzten Wochen viele Gewinnwarnungen deutscher Unternehmen.Doch das Ende der Fahnenstange ist hier noch nicht erreicht. Zwar haben die Unternehmensanalysten ihre Prognosen für das Jahr 2019 etwas nach unten angepasst, die erwarteten Gewinnzuwächse von immer noch fast 5 % sind angesichts der schwachen Konjunktur aber immer noch zu optimistisch. Denn das verarbeitende Gewerbe befindet sich schon in einer Rezession. Das größere Problem sind jedoch die Erwartungen für 2020: Obwohl es bislang keine Anzeichen für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung gibt, sollen die Dax-Gewinne im nächsten Jahr um fast 13 % ansteigen; Anfang 2019 lag der erwartete Anstieg “nur” bei 9 %. Die Hoffnung stirbt wieder einmal zuletzt. Carsten Klude, Chefvolkswirt M.M. Warburg & CO Zuletzt erschienen: Jahrhundert der Biologie bringt Innovationsfeuerwerk (79), Pictet Am falschen Ende gespart (78), Metzler