IM INTERVIEW: ANEEKA GUPTA, WISDOM TREE

"Das Gewinnwachstum geht weiter"

Research-Direktorin rechnet bei Schwellenländeraktien mit einem erheblichen Aufholpotenzial

"Das Gewinnwachstum geht weiter"

Zahlreiche politische Krisen belasten nach Einschätzung von Aneeka Gupta derzeit Anlagen in Schwellenländern. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert die Research-Direktorin von Wisdom Tree, warum sie mit einer Erholung der Anlageklasse rechnet.- Frau Gupta, Schwellenländer-Assets haben zuletzt deutlich an Wert verloren. Wie riskant schätzen Sie Anlagen in den aufstrebenden Volkswirtschaften derzeit ein?Schwellenländer wurden immer schon als Anlage mit höherem Risiko betrachtet. Zu diesem Zeitpunkt sind Anleger deutlich defensiver angesichts politischer Risiken am Horizont. Deshalb sehen wir eine hohe Volatilität, was wiederum das Sentiment trifft und Anleger Zurückhaltung bei Schwellenländern üben lässt.- Was hat sich in diesem Jahr verändert?Ich denke, Anleger versuchen damit umzugehen, dass das Wachstum auf robustem Niveau einen Höhepunkt erreicht hat. Im Jahr 2017 hatten wir offensichtlich ein richtig gutes Szenario, in dem wir kaum Volatilität und kaum eine Aufwärtsbewegung beim Preisniveau gesehen haben. Für dieses Jahr haben Investoren die Latte gleich hoch gehängt für die Performance. Doch diese Erwartung hat sich 2018 nicht erfüllt. Es gibt viele Punkte, auf die man hinweisen kann, der Fokus liegt aber auf dem höheren Kreditrisiko in Venezuela, Argentinien und der Türkei. Man muss sehen, dass Schwellenländer-Investoren sehr opportunistisch vorgehen. Das Wachstum in den Schwellenländern übertrifft langfristig ganz klar das der Industriestaaten, aber das Sentiment führt dennoch zu diesem Zeitpunkt zu Abflüssen aus Emerging Markets. Die Kapitalflüsse folgen der Performance, das ist typisch für diese Anlageklasse. Die jüngsten Abflüsse spiegeln den Rückgang des MSCI Emerging Markets Index wider.- Es scheint, dass sich der Markt jüngst etwas beruhigt hat. Hat das Sentiment bereits wieder gedreht?Nach dem Kollaps der Lira haben wir gesehen, dass die türkische Notenbank alles getan hat, um wieder Vertrauen herzustellen. Wir haben außerdem das neue ökonomische Programm der Regierung gesehen, etwa zur Verringerung des hohen Leistungsbilanzdefizits. Die wirtschaftlichen Probleme der Türkei sind zweifelsohne nicht verschwunden und werden uns noch lange beschäftigen. Aber die Türkei bewegt sich gewiss in die richtige Richtung. Das Leistungsbilanzdefizit sinkt etwas, und es wird erwartet, dass sich dies fortsetzen wird. Das Wachstum wird in diesem Jahr wohl nachlassen, aber es wird erwartet, dass es im Jahr 2020 wieder an Fahrt aufnimmt. Außerdem haben wir viel Erleichterung gesehen, nachdem die Türkei den US-Pastor Andrew Brunson freigelassen hat. Das ebnet den Weg für eine positivere Beziehung zwischen den USA und der Türkei.- Hat der Tod des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul Einfluss auf das Investoren-Sentiment?Das ist ganz klar ein weiteres geopolitisches Risiko, das auf dem Anleger-Sentiment lastet.- Und wenn Saudi-Arabien involviert ist, geht es schließlich auch immer um Rohöl.Die Fakten deuten darauf hin, dass Saudi-Arabien verantwortlich ist für die Ermordung des Journalisten und die USA dies auch so sehen. Nun haben die Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien eine sehr starke Beziehung zueinander – und eine Menge zu opfern, wenn diese Beziehung versauert. Saudi-Arabien ist der größte Waffenkäufer der USA, und die USA scheinen diese Beziehung wertzuschätzen.- Sie haben schon die Lage in der Türkei erwähnt, wie gestaltet sich die fundamentale Lage der Schwellenländer im Allgemeinen?Wenn wir das makroökonomische Umfeld – unter anderem die Leistungsbilanzdefizite – anschauen, so sehen wir eine Reihe von Schwellenländern dem türkischen Beispiel folgen. Es hat hier jüngst eine Verbesserung gegeben. Kein Schwellenland ist einem derartigen Leistungsbilanzproblem ausgesetzt, wie sie zur Asienkrise Ende der 1990er geführt haben. Und die Einkaufsmanager-Indizes weisen für die meisten Schwellenländer eine expansive Phase aus; außerdem sind die Handelsvolumina weiterhin recht stark. Wenig Aufmerksamkeit findet ja der interasiatische Handel, was China in eine sehr gute Position bringt und wovon viele Schwellenländer profitieren.- Welche Rolle spielen die steigenden US-Zinsen für die Schwellenländer, wenn es attraktiver wird, US-Staatsanleihen statt Schwellenländerbonds zu halten?Schwellenländeranleihen rentieren deutlich höher als US-Anleihen, und Schwellenländerwährungen sind derzeit deutlich unterbewertet. Wir erwarten deshalb, dass die Währungen beginnen zu steigen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich Schwellenländerbonds in Phasen eines Zinserhöhungszyklus recht gut halten. Im Moment sehe ich die Anlageklasse eher vom Sentiment als von zugrunde liegenden Fundamentaldaten getroffen. Hinzu kommt die Unsicherheit wegen des Handelskonflikts zwischen China und den Vereinigten Staaten, auf welche die Märkte sehr fokussiert sind.- Wie steht es um die Bewertung von Schwellenländeraktien?Schwellenländeraktien handeln derzeit in etwa mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 11, während US-Aktien mit dem rund 18-Fachen ihrer Gewinne gehandelt werden. Die Latte für die Erwartung eines weiteren Gewinnwachstums in den USA liegt deutlich höher als in den Schwellenländern, was auch der Grund für die höhere Bewertung ist. Die Geschichte bei Schwellenländern ist die von ihnen derzeit gebotene Opportunität, weil die Aktien mit einem Discount gehandelt werden. Und das Gewinnwachstum geht weiter und liegt deutlich höher als in den entwickelten Märkten. Schwellenländeraktien haben also ein erhebliches Aufholpotenzial.- Schwellenländer werden oft noch mit Rohstoffen assoziiert. Gilt das noch immer für Aktien aus der Region?Rohstoffe stellen noch immer einen wichtigen Anteil an Schwellenländeraktien dar, aber es gab auch eine deutlich Verschiebung. Nehmen wir beispielsweise Technologie, deren Branchengewicht auf rund 30 % von 5 % gestiegen ist, was eine strukturelle Veränderung innerhalb der Schwellenländer zeigt. Dies weist zudem auf eine Verbesserung der Produktivität hin. Die Arbeitsproduktivität in den Schwellenländern holt gegenüber den entwickelten Ländern auf.- Wisdom Tree nutzt für ihre ETF eigene Indizes. Wie unterscheiden sich diese von der Benchmark MSCI Emerging Markets?Wir schauen auf einen Pool globaler Schwellenländeraktien und filtern diese zunächst nach den üblichen Liquiditätskriterien. Wir gehen aber einen Schritt weiter und untersuchen den Dividendenstrom und gewichteten Aktien gemäß ihrem Dividendenstrom. Das führt zu einer höheren Gewichtung von Aktien mit einer höheren Dividende.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.