Das große Jahr der Tech-Werte

Die Coronakrise hat für dramatische Veränderungen in der Arbeitswelt gesorgt. Technologieriesen wie Amazon haben die Chance erkannt und sind folglich die großen Gewinner an der Wall Street.

Das große Jahr der Tech-Werte

Von Norbert Kuls, New YorkIn die Geschichtsbücher wird das Jahr 2020 zweifellos wegen der Corona-Pandemie eingehen – an der Wall Street wird es auch als Jahr der großen Technologiewerte in Erinnerung bleiben. Dies hatte viel mit den wirtschaftlichen Folgen des Virusausbruchs zu tun, was für eine beschleunigte Digitalisierung der Wirtschaft sorgte und die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen der Technologiekonzerne ankurbelte.Nach formidablen Kursgewinnen der führenden Tech-Firmen kommen am Ende des Jahres erstmalig vier amerikanische Konzerne auf einen Börsenwert von mehr als 1 Bill. Dollar. Der iPhone-Hersteller Apple überschritt im August erstmals die 2-Bill.-Dollar-Marke, auf ihn folgen derzeit der Softwarekonzern Microsoft (1,7 Bill.), der Online-Einzelhändler Amazon (1,7) und der Internetriese Alphabet/Google (1,2). Auf Platz 5 steht das soziale Netzwerk Facebook mit 790 Mrd. Dollar. Aufsteiger des Jahres ist auf Platz 6 der kalifornische Elektroautohersteller Tesla. Nach einem Kursgewinn von fast 700% im Jahr 2020 bringt Tesla jetzt über 630 Mrd. Dollar auf die Börsenwaage. Damit ist das Unternehmen, das erst kürzlich in den Benchmark-Index S&P 500 aufgenommen wurde, nahezu 100 Mrd. Dollar mehr wert als der nächst größere US-Konzern, Warren Buffetts Konglomerat Berkshire Hathaway. Die Titel spielen in einer eigenen Liga: Auf die sechs größten Tech-Werte entfällt fast ein Fünftel des gesamten Börsenwerts des S&P500. Entsprechend kletterte der technologielastige Nasdaq Composite seit Jahresanfang um 43 % – fast dreimal so stark wie der S&P 500, der seit Anfang 2020 um gut 15 % zulegte. Der 30 Standardwerte umfassende Dow Jones Index, in dem Technologieaktien weniger stark gewichtet sind, lag zuletzt nur um 6,3 % im Plus.Die versöhnlichen Resultate zum Jahresende lassen fast die Panik vergessen, die den Aktienmarkt im Februar und März im Griff hatte. Nach einem Rekordjahr 2019 und einem soliden, von der Hoffnung auf steigende Gewinne getriebenen Jahresauftakt brachen die Kurse im späten Februar und im März ein, als der von der amerikanischen Regierung lange verharmloste Virusausbruch zur Pandemie wurde. Bis zum Tiefpunkt am 23. März war der breitgefasste S&P 500 im Vergleich zum Jahresanfang um 34 % abgesackt. Drastische MaßnahmenDie drastischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, die Schließung von Geschäften, Ausgangsverbote, geforderte räumliche Distanz zwischen Menschen, brachten die Wirtschaft fast zum Erliegen. Der Wendepunkt an den Börsen folgte auf rasche Leitzinssenkungen der Notenbank und auf ein gigantisches Konjunkturprogramm des Kongresses. Börsianer wetteten danach trotz steigender Arbeitslosenzahlen wieder auf eine konjunkturelle Erholung nach einem gleichwohl unbestimmbaren Ende der Pandemie.Es gab natürlich auch Verlierer an den Börsen. Universalbanken wie J.P. Morgan Chase litten trotz eines robusten Investment Banking unter niedrigen Zinsen und hohen Rückstellungen für notleidende Kredite. Fluggesellschaften machten die Reiseeinschränkungen schwer zu schaffen. Der Flugzeughersteller Boeing, in diesem Jahr das Schlusslicht im Dow Jones, litt zudem unter dem erst kürzlich aufgehobenen Flugverbot seiner Krisenmaschine 737 Max. Die Kurse von Ölkonzernen wie ExxonMobil, die im August aus dem Dow Jones flog und gegen den Softwarekonzern Salesforce ausgetauscht wurde, gerieten angesichts des globalen Wirtschaftsabschwungs unter Druck.Die Triebfeder der Börsen waren indes Aktien, die von den pandemiebedingten Veränderungen der Arbeitswelt profitierten. Unternehmen schickten Angestellte ins Homeoffice. Schulen und Universitäten stellten auf digitalen Unterricht um. Videokonferenzen wurden zum Standard, was etwa das Geschäft des erst im April 2019 an die Börse gegangenen Softwareanbieters Zoom Video beflügelte, dessen Aktienkurs sich in diesem Jahr mehr als verfünffachte. Genauso stark legte die Aktie von Peloton zu, einem Anbieter von digitalen Heimtrainern und Fitnessprogrammen. Die Baumarktkette Home Depot, die vom Um- und Ausbau von Häusern und Wohnungen profitierte, wurde mit einem – gleichwohl etwas mäßigeren Plus von knapp 22 % – zu einer der Top-Aktien im Dow Jones. Das Geschäft des Unterhaltungskonzerns Disney wurde zu einem gewissen Grad von steigenden Abonnentenzahlen des neuen Streamingdienstes Disney+ gerettet, obwohl die Freizeitparks schließen mussten.Das Internet wurde im Jahr 2020 endgültig zur wichtigsten Kommunikationsplattform, was die Kurse von Unternehmen beflügelte, die Infrastruktur, Hardware, Software oder Werbeflächen dafür bereitstellten. Microsoft, Amazon und Alphabet profitierten von der Nachfrage nach Rechnerkapazitäten in der Cloud, die sie an andere Konzerne vermieten. Amazon bediente zusätzlich die hohe Nachfrage nach online bestellten Waren, und Apple konnte noch nicht einmal die pandemiebedingte Verzögerung der neuen iPhone-Generation etwas anhaben. Selbst der wachsende politische Widerstand gegen die Marktdominanz der Tech-Konzerne stoppte den Höhenflug nicht – zumindest bisher. Aufgehellte StimmungIm November hellte sich die Stimmung an den Börsen vollends auf, weil die Präsidentschaftswahlen mit dem Sieg des Herausforderers Joe Biden ein von der Wall Street erhofftes klares und nicht anfechtbares Ergebnis brachten und sich die Zulassung eines Impfstoffs abzeichnete. “Im November haben wir bei einer Menge Dinge Klarheit bekommen”, sagt Shawn Cruz, Stratege beim Onlinebroker TD Ameritrade. Die große Frage nach dem Ende der Pandemie wird sein, wie nachhaltig die Veränderungen sein werden. Anleger scheinen bislang aber zuversichtlich, dass der Siegeszug der Tech-Riesen noch eine Weile anhalten wird.