Virgin Galactic

Das Hobby des Milliardärs

Ob sich der Weltraumtourismus jemals zu einem nennenswerten Geschäft entwickelt, wie von Richard Branson, dem Gründer von Virgin Galactic, erwartet, steht in den Sternen.

Das Hobby des Milliardärs

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Die Tagesschau hat dem Thema eine ganze Minute der viertelstündigen Sendezeit gewidmet: Die Eroberung des Weltraums durch den Menschen hat einen großen Fortschritt gemacht, denn erstmals ist ein Milliardär in den Weltraum geflogen. Streng genommen hat es sich bei dem Flug von Sir Richard Branson, dem Gründer der in den USA börsennotierten Virgin Galactic Holdings, gar nicht um einen Weltraumflug gehandelt. Erreicht wurde von Sir Richard lediglich eine Höhe von 86 km, während der Weltraum gemäß der international anerkannten Kármán-Linie erst bei 100 km Höhe anfängt. Das Flugzeug erreichte auch nicht etwa die Kreisbahn einer Erdumrundung, was der Menschheit bereits mit dem ersten Raumflug von Juri Gagarin im Jahr 1961 gelang.

Schädlich für Ozonschicht

Der kürzlich erfolgte erste Weltraumspaziergang von Taikonauten der neuen chinesischen Raumstation war dem Flaggschiff der deutschen Fernsehnachrichten hingegen keinen Bericht wert, obwohl hier echtes Neuland betreten wurde: Erstmals hielt sich die gesamte Besatzung einer Raumstation außerhalb derselben auf. Viel zu berichten gab es in den Fernsehnachrichten somit in Sachen Branson eigentlich nicht. Der konkurrierende Milliardär und Amazon-Gründer Jeff Bezos versäumte es auch nicht, über seine eigene Weltraumfirma Blue Origin auf die genannten Umstände hinzuweisen sowie darauf, dass der Antrieb des Höhenflugzeugs mit dem Treibstoff HTPB und Stickoxyd äußerst schädlich für die Ozonschicht sei.

Die Tagesschau ist wohl einer der meistens gut gemachten PR-Aktionen Bransons auf den Leim gegangen, deren Zweck mittlerweile auch klar zu erkennen ist: Mit dem Höhenflug sollte offensichtlich eine Kapitalerhöhung von Virgin Galactic medial untermauert werden. So teilte das Unternehmen mit, dass es neue Aktien im Volumen von bis zu 500 Mill. Dollar verkaufen könne und dazu eine Übereinkunft mit Credit Suisse, Morgan Stanley und Goldman Sachs eingegangen sei, dass diese von Zeit zu Zeit neue Aktien verkaufen sollen. Diese Ankündigung kam jedoch bei Anlegern nicht gut an, weil sie in Ermangelung von Unternehmensgewinnen auf stetig steigende Kurse angewiesen sind, um Rendite zu erzielen. Binnen fünf Handelstagen hat die unter dem Kürzel „SPCE“ notierende Aktie an der New York Stock Exchange fast 20% an Wert eingebüßt. Allerdings kann man nicht behaupten, dass die Börsen-Performance von Virgin Galactic generell ein Fehlschlag wäre, denn binnen eines Jahres hat sich das Kursniveau der Aktie mehr als verdoppelt – derzeit geht an den Börsen eben fast alles. Allein im Juni hatte die Aktie 90% an Wert zugelegt, sodass Analyst Pete Skibitski von Alembic Global warnte, die Bewertung der Aktie habe „exzessive Niveaus“ erreicht.

Rückwärtsfusion

Das bereits 2004 gegründete Unternehmen war Ende 2019 als erste Aktie aus dem Bereich „Weltraumtourismus“ per Rückwärtsfusion mit einem Special Purpose Vehicle (Spac) an die Börse gegangen. Mit dem Börsengang kam Virgin Galactic auf eine Marktkapitalisierung von rund 2,4 Mrd. Dollar, jetzt sind es bereits knapp 10 Mrd. Dollar. Die Aktie entwickelte sich seither auch zu einer der viel diskutierten Lieblingsaktien privater „Wallstreetbets“-Kleinaktionäre in den USA.

Derzeit schreibt das Unternehmen Verluste, 2020 lief beispielsweise ein Nettoverlust von 644,9 Mill. Dollar auf, bei Erlösen von nur 238000 Dollar. 2019 hatte es immerhin noch Erlöse von 3,8 Mill. Dollar gegeben. Im ersten Quartal 2021 gab es dann überhaupt keine Erlöse mehr. Allerdings hat das Unternehmen inzwischen die Genehmigung der amerikanischen Flugaufsichtsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) für kommerzielle Flüge erhalten. Virgin Galactic darf also Weltraumtouristen ins All – oder gemäß den bisherigen Fähigkeiten zumindest in die Nähe des Alls – befördern. Gemäß der Konsensschätzung der Analysten ist damit aber zumindest bis einschließlich 2023 kein positiver Gewinn je Aktie verbunden. Vom Unternehmen selbst gibt es keinerlei Prognosen, wann die Gewinnschwelle erreicht werden könnte. Dementsprechend sind die Analysten für amerikanische Verhältnisse eher zurückhaltend gegenüber der Aktie eingestellt. Lediglich drei Häuser raten zum Kauf und sechs lediglich zum Halten der Aktie. Hinzu kommt eine Einstufung mit „Underweight“. Zum Verkauf rät indes kein einziger Analyst. Zwar gibt es nach Unternehmensangaben bereits rund 600 Reservierungen für einen Höhenflug zum Preis von jeweils rund 250000 Dollar. Die Analysten von Paragon Intel weisen allerdings darauf hin, dass diese Liste seit 2018 kaum länger geworden ist, zumal auch die Kapazitäten des Unternehmens kaum ausreichten, die Liste abzuarbeiten. Aktuell verfügt Virgin Galactic über gerade einmal zwei der als „Space­ships“ bezeichneten Höhenflugzeuge. Hinzu kommt, dass sich auch Wettbewerber um eine entsprechende FAA-Lizenz bemühen.

Zweifelhafte Perspektive

Ob sich der Weltraumtourismus wie von Branson erwartet jemals zu einem nennenswerten Geschäft entwickelt, steht freilich in den Sternen. Der erdnahe Weltraum ist insofern ein knappes Gut, als es bereits jetzt eine enorme Verschmutzung des erdnahen Orbits durch Weltraumschrott jeglicher Größe gibt, die mit jedem Raumflug und mit jedem Satelliten größer wird. Es ist also durchaus denkbar, dass die Staatengemeinschaft der Nutzung des Weltraums zu Selbstverwirklichungszwecken zahlungskräftiger Kunden einen Riegel vorschieben muss. Zwar gibt es Schätzungen, dass die Weltraumwirtschaft bis 2040 einen Jahresumsatz von 1 Bill. Dollar erreichen könnte. Dies wird jedoch vor allem darauf zurückzuführen sein, dass bislang staatliche Aktivitäten in die Privatwirtschaft verschoben werden, wobei allerdings der Staat weiter die Rechnung zahlt – das Vorbild ist hier die Firma SpaceX des Milliardärskollegen Elon Musk.

Die Werthaltigkeit der Aktie liegt also vor allem im Hype der Anleger – Parallelen zu Assets wie Bitcoin drängen sich auf. Positiv könnte man aber anmerken, dass es Sir Richard auf bemerkenswerte Weise gelungen ist, sich sein privates Hobby Raumfahrt durch Anleger finanzieren zu lassen.