IM INTERVIEW: ROBERT SUBBARAMAN

"Das ist die Mutter aller Lockerungen"

Der Chefökonom für die asiatischen Märkte von Nomura über die zweite Welle und andere Pandemierisiken

"Das ist die Mutter aller Lockerungen"

Die Aktienmärkte treibt derzeit die Angst vor einer zweiten Infektionswelle um. Vor allem die Nachrichten aus den USA und China sorgen für Verunsicherung. Robert Subbaraman, Chefökonom für die asiatischen Märkte ex Japan bei Nomura, beschäftigt sich bereits mit den Risiken für Aktien in einer Post-Covid-Welt. Herr Subbaraman, Nomura vergleicht das Risiko für eine zweite Infektionswelle in verschiedenen Ländern anhand von Mobilitätsdaten und Neuinfektionsfällen. Wie steht es um Deutschland?Was wir machen, ist ziemlich einfach und keine hohe Wissenschaft. Wir verfolgen die Entwicklung ausgewählter Mobilitätsdaten von Google seit den ersten Lockerungen des Lockdowns und verbinden sie mit der Zahl der kumulierten Covid-Fälle (siehe Grafik) in insgesamt 45 Ländern. Das gibt Investoren schnell einen globalen Überblick über das Infektionsgeschehen. Deutschland findet sich hier in der Gruppe von Ländern, die zwar steigende Mobilität erkennen lassen, aber auch mögliche Anzeichen einer zweiten Welle. Ähnlich ist es in Schweden, das ja einen sehr eigenen Weg eingeschlagen hat. In der wirklichen Gefahrenzone befinden sich aber vor allem Schwellenländer aus Lateinamerika, wo die Mobilität wieder anzieht, aber eben auch die Zahl der Infektionen weiter zügig steigt. Zuletzt haben vor allem Infektionszahlen aus China und den USA die Sorgen vor einer zweiten Welle geschürt. Haben die Märkte dieses Risiko bisher unterschätzt?Ich liege vielleicht etwas außerhalb des Konsensus der Ökonomenmeinungen, aber ich habe viel Sympathie dafür, wie die Märkte bisher auf die Pandemie reagiert haben. Die Ansicht, dass sie sich während der Coronakrise von der Realwirtschaft abgekoppelt hätten, ist weit verbreitet und wird oft mit dem Verweis auf die hohe Arbeitslosigkeit begründet. Ja, es handelt sich um einen außergewöhnlichen Einbruch der Weltwirtschaft. Aber es gibt auch einen außergewöhnlichen, global koordinierten Stimulus. Beinahe alle betroffenen Länder haben erhebliche monetäre und fiskalische Impulse auf den Weg gebracht. Ich denke, es ist wichtig, das mitzubedenken. Was nutzt der Stimulus, wenn eine zweite Welle analog zur Entwicklung der Spanischen Grippe vor hundert Jahren über die Weltwirtschaft rollt?Am Ende wird es darauf ankommen, wie lange die Gesundheitskrise andauern wird. Ein großer Unterschied im Vergleich zu vergangenen großen Rezessionen ist, dass es sich hier nicht um eine Finanzkrise handelt, die auf Exzesse zurückgeht. Es handelt sich um einen exogenen Schock. Es gibt keine Blase, die geplatzt ist und ein schmerzhaftes Deleveraging erforderlich macht. Wir befinden uns auch nicht im Krieg, der Kapitalstock ist beinahe unangetastet geblieben. Wenn wir über die Gesundheitskrise also relativ schnell hinwegkommen, bleibt von ihr vor allem eine superlaxe Politik übrig. Das ist eine attraktive Aussicht für die Aktienmärkte. Wenn die zweite Welle ausbleibt, bekommen Aktien dank Corona so etwas wie die zweite Luft?Wenn ich mit Investoren spreche, sagen viele von ihnen, dass eine zweite Welle wahrscheinlich passieren wird. Doch um die Märkte wirklich aus der Spur zu bringen, müsste es eine ziemlich große zweite Welle sein. Viele professionelle Investoren sind heute unter 40 Jahre alt, ein Großteil ihrer Karriere hat sich seit 2008 abgespielt. Sie sind es gewohnt, dass der Staat ihnen aus der Klemme hilft. Das hier ist die Mutter aller Lockerungen. Es hat bisher gut geklappt, warum sollte es dieses Mal also nicht klappen? Diese Erfahrung spielt sicher ebenfalls eine Rolle. Schätzen Sie die Lage ähnlich unerschrocken ein?Ich mache mir mehr Sorgen um die Weltwirtschaft, wenn wir erst aus der Covid-Krise herausgekommen sind. Ich denke, dass der Exit aus der Pandemie sehr schwierig für die Märkte sein wird. Mir gehen langsam die Formen für die Beschreibung dieser Entwicklungen aus, aber wir hatten ja so etwas wie eine V-förmige Erholung der Aktienmärkte. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich das über die Zeit nicht aufrechterhalten lässt. Welche Risiken treiben Sie mit Blick auf die Post-Corona-Welt besonders um?Ein großes Thema ist die Einkommensungleichheit, die sich durch die Pandemie noch verschärft hat, sowohl innerhalb einzelner Länder als auch im Vergleich von verschiedenen Ländern. Wir sehen die Proteste über den Tod von George Floyd in den USA. Aber hinter dieser Protestbewegung steckt noch etwas anderes, denn Covid ist viel schlimmer für Arme als für Reiche. Ich vermute, dass irgendwann die Steuern steigen müssen, um die Defizite, die im Zuge der Fiskalstimuli gegen die Krise entstanden sind, wieder abzutragen. Und ich vermute, dass es die Reichen und die großen Technologieunternehmen sein könnten, die dann besonders zur Kasse gebeten werden. Wie sieht es mit der Zukunft der Globalisierung nach der Corona-Pandemie aus?Tendenzen zur De-Globalisierung hat es schon vor der Coronakrise gegeben, aber die Krise hat diese Tendenzen verstärkt und auch den Wunsch in vielen Ländern, wieder mehr Kontrolle und Souveränität zu erlangen, etwa durch das Stutzen von Zulieferketten, Onshoring und die Reduktion der Abhängigkeiten von anderen Volkswirtschaften. Nehmen geopolitische Risiken zu, wenn die Globalisierung erst an Tempo verloren hat?Wir beobachten in der Coronakrise vor allem eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und China. Noch bellen sie und beißen nicht, weil sie während der Pandemie zusätzlichen Schaden für ihre Volkswirtschaft vermeiden wollen. Der Konflikt könnte sich nach der Coronakrise aber weiter verschärfen. Was erwarten Sie mit Blick auf die Geldpolitik?Die Zentralbanken werden es nicht eilig haben, ihre Politik zu normalisieren. Aus der Perspektive der Notenbanken ergibt das Sinn, denn sie sind im Risikomanagement-Geschäft, und derzeit sind die Abwärtsrisiken deutlich größer. Aber auch wenn die Normalisierung der Geldpolitik noch in weiter Ferne liegt, stellt sie zumindest für die Aktienmärkte langfristig ein Risiko dar. Das Interview führte Stefan Paravicini.