IM INTERVIEW: SÖREN HETTLER, DZ BANK

"Das Pfund hat mehr zu verlieren als der Euro"

Devisenanalyst zu den Auswirkungen von Brexit, Nationalismus und Populismus auf den Währungsmarkt - Risiken der türkischen Geldpolitik

"Das Pfund hat mehr zu verlieren als der Euro"

Ob Brexit, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten oder das Erstarken europafeindlicher Parteien in der Eurozone: Abschottung, Populismus und Nationalismus gewinnen in der westlichen Politik an Bedeutung. Über die Auswirkungen dieser Entwicklungen für den Devisenmarkt äußert sich im Interview der Börsen-Zeitung Sören Hettler, Devisenanalyst bei der DZ Bank in Frankfurt. Seine These: Solange Notenbanken unabhängig agieren, halten sich negative wirtschaftliche Auswirkungen von Populismus in Grenzen.- Herr Hettler, in Europa und in Nordamerika ist in der Politik eine Tendenz zu Populismus, Nationalismus und Abschottung zu beobachten. Sie haben in einer Studie die Auswirkungen dieses Trends auf den Währungsmarkt untersucht. Wirken sich der Brexit, die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten oder die hohen Zustimmungswerte für europafeindliche Parteien, etwa in den Niederlanden oder Österreich, bereits auf den Devisenmarkt aus?An den Devisenmärkten hat das bislang noch keine großen, nachhaltigen Spuren hinterlassen. Vielmehr bewegt sich die Volatilität als Maß für die vorhandene Unsicherheit auf einem historisch unauffälligen Niveau. Auch Trends, die sich auf zunehmend nationalistische Tendenzen zurückführen ließen, sind nicht zu beobachten.- Wie lässt sich das erklären?Der Hauptschlüssel, um an den Devisenmärkten Eindruck zu hinterlassen, sind die Notenbanken. Die politische Gemengelage und die nationalistischen Tendenzen sind demnach vorrangig dann für die Wechselkursentwicklung von Bedeutung, wenn sie die Geldpolitik beeinflussen. Eine direkte Einflussnahme könnte beispielsweise über Stellenbesetzungen im Entscheidungsgremium der Notenbank oder eine Änderung des geldpolitischen Mandats erfolgen. Indirekt würden Maßnahmen wirken, die für die fundamentalen Rahmenbedingungen der Zentralbanken relevant sind.- Der Währungsmarkt ist in seinem Wesen ein grenzüberschreitender Markt. Falls es zu mehr Abschottung kommt, welche Auswirkungen könnte das auf das Handelsgeschehen bei Devisen haben?Das ist nicht nur ein Thema für die Zukunft, man merkt das auch jetzt schon. Es ist zwar vor allem die Regulatorik wie beispielsweise härtere Eigenkapitalanforderungen, die zu sinkenden Umsatzvolumina geführt hat. Wenn nun aber dazukommt, dass der Welthandel insgesamt abnimmt oder Länder den Kapitalfluss regulieren, dann würde das nicht nur Auswirkungen auf die Kurse, sondern auch auf die Handelsvolumina haben. In der Türkei gab es ja beispielsweise schon die Andeutung von Präsident Recep Tayyip Erdogan zur Einführung von Kapitalverkehrskontrollen. Sollte es zu einem globalen Handelskrieg kommen, so wären solche Beschränkungen durchaus in einer größeren Zahl von Ländern vorstellbar. Warum sollten Politiker dann nur den Warenhandel beschränken, wenn sie auch den Kapitalfluss beeinflussen könnten? Im Moment ist ein solches Szenario aber noch unwahrscheinlich.- In den USA gibt es Überlegungen für eine Lockerung der Bankenregulierung.Nun, da reden noch ein paar Leute mehr mit als nur der Präsident. Wie wir schon gesehen haben, gibt es selbst in einem präsidial geprägten System wie in den USA Korrektive. Außerdem werden auch die USA sich nicht komplett von internationalen Absprachen abkoppeln können – auch wenn die Tendenz anders als in Europa dort wieder eher in Richtung Deregulierung geht.- Halten sich Nationalisten überhaupt an internationale Absprachen?Es geht ja zu erheblichen Teilen um Abstimmungen auf der Ebene von Notenbanken oder Aufsichtsbehörden. Eine Regierung wird sich nicht auf Dauer Auseinandersetzungen mit Behörden oder ihrer eigenen Zentralbank liefern wollen.- Oder sie besetzen die Zentralbank neu.Sie spielen auf die Fed-Spitze an, aber das zieht sich wohl noch eine Weile hin. Und die amtierende Fed-Chefin hat ja bislang recht deutlich gemacht, dass sie von ihrem Kurs nicht abzuweichen gedenkt. Hinzu kommt: Was der US-Präsident von seinen Ankündigungen bislang umgesetzt hat, wirkt nicht entscheidend auf die Ausrichtung der Zentralbankpolitik.- Bedeutet das, für den Devisenmarkt würde sich dann etwas verändern, wenn populistische Politiker die Notenbanken umgestalten?Ja, etwa durch eine Änderung des Mandats oder Eingriffe in die Unabhängigkeit. Wenn man sieht, dass eine Notenbank sich zu stark an der Staatsspitze orientiert, dann hat das meistens negative Folgen. Eine unangebracht expansive Politik und ein mittelfristig sinkendes Potenzialwachstum können damit einhergehen. Man sieht das in der Türkei, wo die Notenbank derzeit stark am Staatspräsidenten orientiert ist und versucht, eine restriktive Politik durch die Hintertür zu machen. Das kann eine Weile gutgehen, aber wenn es schlecht läuft, wird die Notenbank zeigen müssen, wofür sie sich letztendlich entscheidet.- Gerade Populisten neigen zu einem laxen Umgang mit der Wahrheit und schaffen sich künstliche Paralleluniversen. Kann das zum Problem für die Notenbanken werden?Die entscheidende Frage ist: Wie sehr wird das Handeln der Notenbanken faktisch beeinflusst. Solange man sich nur auf politischer Ebene bewegt und es keine greifbaren Konsequenzen gibt, ist das auch nur Wahlkampfgetöse im weiteren Sinne.- Die britische Brexit-Entscheidung ist ja ein Beispiel für eine Art Abschottungspolitik. Sehen Sie bereits Konsequenzen für den Markt?Die sich auch aus dem Brexit ergebenden Konsequenzen für das Wachstum und die Geldpolitik wurden vom Devisenmarkt durch die erhebliche Abwertung des Pfundes vorweggenommen, von der Unsicherheitskomponente mal abgesehen.- Wird der Austritt selbst nach Artikel 50 des Vertrages von Lissabon folglich keine Auswirkungen mehr auf das Pfund haben?In den vergangenen Wochen haben wir durch die allgemeine Trump-Euphorie an den Märkten und durch die Hoffnungen auf eine enge Beziehung zwischen Großbritannien und den USA ein wieder stärkeres Pfund gesehen. Ich glaube aber nicht, dass sich dies durchhalten lassen wird, wenn sich in den Gesprächen zeigt, dass die EU nicht so verhandlungsbereit ist, wie manche Briten sich das wünschen. Wenn Premierministerin Theresa May ein Freihandelsabkommen erreichen will, dann muss sie in anderen Bereichen nachgeben – was wiederum in ihrem Lager schwer zu verkaufen sein wird. Wenn sich ein harter Brexit abzeichnet, dann müsste das Pfund deutlich nachgeben. Wir reden dann zwar nicht von der Parität in Euro/Pfund, aber einem Kurs von deutlich über 0,90 Pfund. Auch wenn Europa enge Handelsbeziehungen zu Großbritannien besitzt, so hat das Pfund mehr zu verlieren als der Euro.- Bleiben wir beim Euro, der auch so seine politischen Probleme hat. Populisten in den verschiedenen Ländern wollen insbesondere aus der Eurozone ausscheiden. Wie groß ist das Risiko, dass einzelne Länder aus der Währungsunion ausscheiden oder diese gar ganz zusammenbricht?Wir halten das derzeit für unwahrscheinlich. Ein Austritt kleinerer Länder wie Griechenland wäre verkraftbar. Es sind inzwischen Mechanismen aufgebaut, die dies abfedern und gegenhalten können. Es wäre etwas anderes bei Kernstaaten der Eurozone wie Frankreich. Aber selbst im unwahrscheinlichen Szenario eines Wahlsieges der Präsidentschaftskandidatin des Front National, Marine Le Pen, wäre das nicht ganz einfach wegen einer nötigen Verfassungsänderung beziehungsweise einer Volksabstimmung. Aber offen gesagt: Eine Eurozone ohne Frankreich ist nicht vorstellbar. Würde die politisch und wirtschaftlich zentrale Partnerschaft zwischen Berlin und Paris wegfallen, dann wäre das auch für die EU insgesamt eine deutliche Schwächung. Klar ist auch, dass die Europäische Zentralbank alles in ihrer Macht stehen tun würde, um ausufernden Spekulationen hinsichtlich eines Auseinanderbrechens der Währungsunion entgegenzutreten.- Wie wäre es bei einem kleinen Euro-Mitgliedsland wie Österreich oder den Niederlanden?Die Frage ist dann in erster Linie, ob es zu Ansteckungseffekten kommt. Solange es keinen Nachahmungseffekt hat, wäre ein Austritt eines einzelnen kleineren Landes schädlich, aber ökonomisch verkraftbar und damit für die Ausrichtung der Geldpolitik von nachrangiger Bedeutung. Die Wahrscheinlichkeit von Domino-Effekten wird aber überschätzt. Nachahmungseffekte würden auch davon abhängen, ob das erste austretende Land sich anschließend gut oder schlecht entwickeln würde. Wenn es sich schlecht entwickelt, dürfte die Zustimmung für einen Alleingang in anderen Ländern nachlassen.- Wie wären die Perspektiven eines neuen Schilling oder eines neuen Gulden am Devisenmarkt? Beide waren ja schon vor der Währungsunion an die D-Mark gebunden.Die Frage wäre schon, ob ein neuer Schilling wirklich eigenständig bestehen könnte. Wichtig in einem solchen Fall wäre auch, ob es einen Außenhandelsüberschuss gibt. Wenn es ihn gibt und wenn zudem ein gewisses Vertrauen in eine Regierung vorhanden ist, muss man nicht gleich mit einer massiven Abwertung rechnen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit dafür deutlich größer, als dass solch eine neue Währung aufwertet.- Mit Donald Trump haben die US-Bürger einen Präsidenten mit populistischen Neigungen gewählt, der sich zudem eine isolationistische Politik ankündigte. Wie wird sich dies auf den Dollar auswirken?In den USA wird derzeit über eine Steuerreform diskutiert. Sollte hierbei ein steuerlicher Grenzausgleich eingeführt werden, der Vorteile für US-Exporteure mit sich bringt und zugleich Importeure belastet, könnte dies im schlimmsten Falle den Grundstein für weltweite handelspolitische Auseinandersetzungen legen. Zentralbanken kleinerer, offener Volkswirtschaften sollten in der Folge expansiver agieren und damit ihre Währungen unter Abgabedruck bringen. Die US-Volkswirtschaft und folglich auch die Ausrichtung der Federal Reserve sowie der US-Dollar würden hingegen zumindest im internationalen Vergleich kaum belastet.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.