IM INTERVIEW: BASTIAN GRIES, ODDO BHF ASSET MANAGEMENT

"Das Schlimmste steht uns im zweiten Quartal bevor"

Spreads gelten mittelfristig als attraktiv - Weitere Rating-Herabstufungen erwartet - Liquiditätssituation der Credit-Märkte normalisiert sich

"Das Schlimmste steht uns im zweiten Quartal bevor"

Credit-Experte Bastian Gries vom Assetmanager Oddo BHF AM erwartet im Zuge der Corona-Wirtschaftskrise weitere Ratingherabstufungen. Im zweiten Quartal werde man die Auswirkungen der prekären Lage noch stärker spüren. Die Zentralbankmaßnahmen führen laut Gries aber auch zu einer verbesserten Liquiditätssituation des Marktes. Herr Gries, es ist zur deutlichen Ausweitung der Credit-Spreads als Reaktion auf die schnelle Ausbreitung von Covid-19 sowie die mit den Eindämmungsmaßnahmen verbundenen wirtschaftlichen Folgen gekommen. Anschließend gab es eine teilweise Spread-Einengung. Liegt im Investment-Grade-Bereich der europäischen Corporates nun eine adäquate Risikobepreisung vor?Die Risikoaufschläge für europäische Corporates haben sich zuletzt zwar eingeengt, handeln aber weiterhin auf deutlich erhöhten Niveaus, was die hohe makroökonomische Unsicherheit, aber auch die massiven geldpolitischen Maßnahmen widerspiegelt. Kurzfristig halte ich die Risikobepreisung bei Spreads mit etwa 180 Basispunkten (BP) für adäquat. Falls die derzeitigen Lockerungsmaßnahmen voranschreiten und somit eine makroökonomische Erholung im zweiten Halbjahr erfolgt, erscheinen die Risikoaufschläge mittelfristig weiterhin attraktiv. Wie beurteilen Sie aktuell die Spreads von Financials gegenüber Corporates?Die derzeitige Krise geht nicht vom Finanzsektor aus. Daher haben sich erstrangige Senior-Anleihen von Finanzunternehmen in der Korrekturphase im März zwar wie in solchen Phasen üblich deutlich schlechter entwickelt als Corporates, aber immer noch besser als zu Zeiten der Finanzkrise. In der Spitze betrug der Aufschlag etwa 40 BP. Aufgrund der Maßnahmen der EZB wie der Ausweitung der Kaufprogramme und neuer langfristiger Liquiditätsprogramme für den Bankensektor hat sich die Prämie für die Senior-Anleihen wieder reduziert. Wo stehen wir aktuell im langfristigen Vergleich bei Financials und Corporates gleichermaßen?In der Regel handeln die Risikoaufschläge für Senior-Anleihen in den beiden Segmenten auf ähnlichen Niveaus. Momentan liegt der Aufschlag für erstrangige Anleihen bei Financials mit 200 BP noch etwa 20 BP oberhalb der Spreads für Non-Financial Corporate Bonds. Aufgrund der makroökonomischen Unsicherheit erscheint das für uns plausibel. Grundsätzlich sind zum Beispiel die Kreditprofile der Banken heute deutlich solider als zu Zeiten der Finanzkrise. So ist die Kapitalausstattung in den vergangenen zehn Jahren deutlich verbessert und in vielen Fällen das Kapitalmarktgeschäft stark reduziert worden. Die Langzeittender der EZB stellen zudem die Liquidität zu günstigen Konditionen sicher. Wir gehen daher in unserem Kernszenario von einer weiteren Normalisierung der Risikoaufschläge im zweiten Halbjahr aus. Die makroökonomischen Aussichten sind mit hoher Unsicherheit behaftet, denn es ist schwer abschätzbar, über welchem Zeithorizont die Wirtschaft wieder hochgefahren werden kann und ob je nach Lockerungen eine zweite Infektionswelle anstehen könnte. Wie bewerten Sie die Q1-Zahlen der Unternehmen und die Ausblicke?Die Q1-Ergebnisse entsprechen weitgehend den Markterwartungen und beinhalten in den meisten Fällen einen sehr schwachen Monat März. Die Risikoaufschläge sind von den Ergebnissen daher weniger betroffen. Viele Unternehmen ziehen allerdings aufgrund der mangelnden Visibilität ihre Ausblicke für das Jahr 2020 zurück. Ratingagenturen passen in vielen Fällen die Ratingausblicke auf negativ an. Die prekäre wirtschaftliche Situation wird zudem in der steigenden Risikovorsorge europäischer Banken für potenzielle Ausfälle in der Zukunft deutlich. Den Marktteilnehmern ist daher klar, dass uns im zweiten Quartal 2020 das Schlimmste noch bevorsteht. Wie differenzieren Sie zwischen bestimmten Sektoren wie etwa Autos und Gesundheitssektor?Aus unserer Sicht macht es aufgrund der makroökonomischen Unsicherheit momentan Sinn, weniger zyklische Sektoren zu bevorzugen. Zudem profitieren viele Unternehmen aus dem Gesundheitswesen oder Telekommunikationsbereich von der jetzigen Situation. Zyklischere Sektoren wie Automobile oder Öl & Gas offerieren zwar deutlich erhöhte Risikoprämien, allerdings bleibt der Erholungspfad in diesen Bereichen bis auf Weiteres unklar. Hinzu kommen zum Beispiel die strukturellen Veränderungen in der Autobranche, welche per se mit hohen Investitionen verbunden sind und auch schon vor der Coronakrise für erhöhte Risikoaufschläge gesorgt haben. Sind Marktteilnehmer auf der richtigen Seite, die jetzt versuchen, durch die schlechten Unternehmensergebnisse und Konjunkturzahlen, die wohl für das zweite Quartal kommen werden, quasi “hindurchzuschauen”, und den Blick schon auf ein besseres drittes Quartal richten?Investoren befinden sich derzeit in einem Spannungsumfeld von massiv schlechter werdenden Fundamentaldaten und unterstützenden geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen. Die Risikoaufschläge für die Credit-Märkte erreichen normalerweise zu Beginn einer Rezession ihren Höhepunkt. Die konjunkturellen Frühindikatoren für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor sollten die Talsohle erreicht haben. Wenn nunmehr die Lockerungsmaßnahmen zu einer graduellen Erholung der wirtschaftlichen Aktivität im zweiten Halbjahr führen, könnten die Ergebnisse für das zweite Quartal eine untergeordnete Rolle spielen. Es hat in Europa und anderswo die Ankündigung umfangreicher fiskalpolitischer Maßnahmen gegeben. Hinzu kommen unterstützende Programme der Zentralbanken. Das zusammen soll die negativen ökonomischen Folgen zumindest abmindern. Wie beurteilen Sie diese Maßnahmen?Die EZB und die Federal Reserve haben sehr schnell auf die Marktverwerfungen reagiert. Wir beobachten momentan, dass sich die Liquiditätssituation in den Märkten wieder normalisiert. Zudem ist die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Credit-Märkte durch die Interventionen der Zentralbanken gewährleistet, was bei einem Finanzierungsvolumen von etwa 10 Bill. Dollar für die Weltwirtschaft von entscheidender Bedeutung ist. Die fiskalpolitischen Maßnahmen in Deutschland erscheinen ebenso überzeugend. Auf EU-Ebene erwarten wir weitere Programme, um die Wirtschaftsleistung nach der Coronakrise ausreichend zu stimulieren. Sind Unternehmensanleihen jetzt auch ein geldpolitisches Instrument der EZB?Über die verschiedenen Programme kauft die EZB nunmehr Unternehmensanleihen in einem Volumen von bis zu 25 bis 30 Mrd. Euro monatlich. Dies geschieht mitunter auch durch eine aktive Teilnahme am Primärmarkt. Der Einfluss auf die Entwicklung der Credit-Märkte ist aus unserer Sicht erheblich. Wie beurteilen Sie das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts? Denken Sie, dass es zu der angesprochen Abwägung der Verhältnismäßigkeit kommen und die Bundesbank weiter kaufen wird?Ich denke, dass die EZB in der Lage sein sollte, die Verhältnismäßigkeit des Ankaufprogrammes PSPP zu erläutern. Daher sollten sich unmittelbar keine Einschränkungen für die Kaufprogramme der EZB und die Aktivitäten der Bundesbank ergeben. Allerdings könnten sich mittelfristig Fragen zur Flexibilität des jüngst lancierten Pandemieprogramms PEPP ergeben, wenn zum Beispiel Emittenten-Grenzen oder Kapitalquoten stringent einzuhalten wären. Grundsätzlich richtet sich die EZB allerdings an dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus, welcher 2018 zu einer anderen Einschätzung kam. Europäische Unternehmen und Banken mit Investment-Grade-Rating sind mit soliden Kreditprofilen und hohen Cash-Beständen in diese Krise gegangen. Hierdurch sollten sich schwächere Ergebnisse in zyklischen Sektoren doch abfedern lassen. Erwarten Sie Finanzierungsengpässe oder gar eine Finanzkrise?Wir erwarten weitere Ratingherabstufungen. Einige Unternehmen werden aus dem Investment-Grade-Bereich in das Segment der spekulativen Hochzinsanleihen herabgestuft werden. Das ist ein normaler Prozess in einer Rezession. Die Ausfallraten für High-Yield-Emittenten werden zudem dieses Jahr stark ansteigen. Investment-Grade-Unternehmen können sich weiter über den Kapitalmarkt refinanzieren. Aufgrund der geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen erwarten wir derzeit keine Finanzkrise. Erwarten Sie nochmals eine große Verkaufswelle mit erheblichen Spread-Ausweitungen und der Gefahr von Abwärtsspiralen durch zwangsweise Verkäufe von Credits beziehungsweise Credit-Fonds?Falls es zu keiner zweiten großen Infektionswelle in den nächsten Monaten kommt, erscheint dieses Szenario aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich. Zum einen sollte sich die wirtschaftliche Aktivität nunmehr zumindest graduell erholen. Zudem sollte der “Backstop” durch die Zentralbanken einer stärkeren Ausweitung der Spreads entgegenwirken. Das Interview führte Kai Johannsen.