IM INTERVIEW: RALF ZIMMERMANN, BANKHAUS LAMPE

"Dax attraktiver als der S & P 500"

Stratege hält zweistelliges Wachstum der Unternehmensgewinne im nächsten Jahr für kaum wahrscheinlich

"Dax attraktiver als der S & P 500"

Kur vor dem Jahresende tut sich der Dax wieder schwer, die Schwelle von 10000 Punkten zu überwinden. Ein Grund dürfte die Unsicherheit über die Aussichten der Unternehmensgewinne sein, die letztlich für das Potenzial des Markts ausschlaggebend sind. Die Börsen-Zeitung hat Ralf Zimmermann, Aktienstratege beim Bankhaus Lampe, zu seiner Einschätzung des deutschen Aktienmarkts befragt.- Herr Zimmermann, in was für einem Umfeld wird sich der Aktienmarkt Ihrer Meinung nach im kommenden Jahr befinden?Die globale Wirtschaft wird im nächsten Jahr zwar wachsen, aber weiterhin nur mit einem unterdurchschnittlichen Tempo. Es wird sich nicht, wie viele hoffen, beschleunigen. Unsere Volkswirte rechnen mit einem erneut bei nur 3,2 % liegenden Weltwirtschaftswachstum. Das ist wenig verglichen mit dem Durchschnitt seit 2000 von 3,9 % und passt nicht zu dem vom Markt erwarteten Anstieg bei den Unternehmensgewinnen.- Was erwarten Sie für die Unternehmensgewinne?Der Konsens glaubt an ein Gewinnplus bei den Dax-Unternehmen von 10 % – in der Vergangenheit waren im Schnitt aber nur 7 % möglich. Überdurchschnittliches Gewinnwachstum einerseits und unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum andererseits – diese Schere wird in irgendeiner Form geschlossen werden. Und zwar unserer Meinung nach dadurch, dass die Analysten ihre Schätzungen weiter nach unten revidieren werden – wie bereits in den vergangenen Jahren. Unsere Gewinnprognose liegt bei moderaten plus 5 % für den Dax. Das ist kein Drama, aber es bleibt abzuwarten, wie der Markt auf die Abweichung reagieren wird.- Was glauben Sie?Die Reaktion wird vom Bewertungsniveau abhängen. Mitte Oktober lag das KGV des Dax bei rund 11,5, nun beträgt es wieder knapp 13. Auf einem solchen Niveau ist der Markt sicher anfälliger für Enttäuschungen und Gewinnmitnahmen. Aber wenn die Europäische Zentralbank anfängt, massiv Staatsanleihen zu kaufen und wichtige Frühindikatoren steigen, können Gewinnenttäuschungen zunächst einmal überlagert werden. Wir erwarten im Jahresverlauf eine Achterbahn am Aktienmarkt, mit einem Höhepunkt zur Jahresmitte und einer erneuten Abwärtsbewegung in der zweiten Hälfte. Zunächst kann eine aggressive EZB den Dax bis auf 10 900 beflügeln, allerdings droht die nachfolgende Wachstumsernüchterung ihn zum Jahresende wieder auf 10 100 zu drücken. Eine stetige Aufwärtsbewegung ist unwahrscheinlich, höhere Volatilität bleibt uns erhalten. Es gibt zu viele Risiken, als dass der Markt einfach durchstarten könnte.- Und die wären?Anhaltend hohe geopolitische Unsicherheiten, die angespannte Bewertung der US-Aktien, eine Federal Reserve, die kurz vor einer Leitzinswende steht. Aber vor allem auch das bereits erwähnte unterdurchschnittliche Wachstum des BIP und der Gewinne, das enttäuschen wird bzw. welches das Potenzial für eine Bewertungsexpansion begrenzt. Dazu zählt auch die Unsicherheit über China. Selbst wenn der zweitgrößten Volkswirtschaft eine weiche Landung gelingen sollte, wovon wir ausgehen, wird das Wachstumstempo sichtbar zurückgehen. Das von uns erwartete Kaufprogramm der EZB dürfte zwar noch höhere Bewertungen auslösen. Bei einem KGV von 14 wäre aber ein Gewinnwachstum von 5 % einfach nicht genug, vor allem nicht, weil wichtige Frühindikatoren wie der Ifo-Index nicht anhaltend zulegen werden.- Sie rechnen aber damit, dass er zunächst steigen wird?Ja, weil die Abwärtsbewegung seit Sommer 2014 überzogen war. Die anstehende Aufwärtsbewegung dürfte aber nicht ewig währen, weil die Weltwirtschaft mit gravierenden strukturellen Problemen zu kämpfen hat. Insbesondere ist die gesamtwirtschaftliche Schuldenquote seit 2008 deutlich gestiegen. Wir haben seit der Krise nicht nur keine Schulden abgebaut, sondern weitere Schulden oben draufgepackt. Das beschränkte Wachstum ist der Preis der vergangenen und anhaltenden Schuldenexzesse. Für den Aktienmarkt ist die Entwicklung von Konjunktur und Unternehmensgewinnen aber zunächst nicht das dominierende Thema.- Sondern?Die Aktienmärkte hängen nach wie vor am Tropf der Notenbanken. Was die Notenbanken tun oder nicht tun, was sie sagen oder nicht sagen, wird 2015 so entscheidend sein, wie es in den sechs Jahren seit 2008 der Fall war.- Wie werden denn die erwarteten Anleihekäufe der EZB wirken?Aller bisherigen Erfahrung nach zunächst weiter positiv auf europäische Aktien. Wir haben die Wirkungen der Kaufprogramme der Notenbanken in den USA und in Japan untersucht und daraus Rückschlüsse für den Euroraum gezogen. Erstens hat es kein einziges Programm gegeben, bei dem die Märkte nicht gestiegen sind. Im Durchschnitt legten die Aktienkurse um rund 25 % zu. Zweitens wurden die Kurse weniger durch höhere Gewinne als durch steigende Bewertungen getrieben. Im Schnitt betrug die Bewertungsausweitung rund 1,5 KGV-Punkte. In den Fällen, in denen das zeitlich festzumachen war, war drittens zu beobachten, dass 50 % des gesamten Kursanstiegs vor Ankündigung von Anleihekäufen erfolgte und 50 % danach. Das heißt, der Markt nimmt Käufe der Notenbank vorweg, aber es waren auch nach Ankündigung noch weitere Kursgewinne zu erzielen. Auf längere Sicht hängt die Nachhaltigkeit von der Entwicklung der Frühindikatoren und der Unternehmensgewinne ab. Wenn das gesamtwirtschaftliche Momentum wieder nachlässt bzw. die Firmengewinne nicht hinreichend steigen, kommt es zu Gewinnmitnahmen und Kursrückgängen bei Aktien. Unter dem Strich also: Es gab ein Auf und Ab von Liquiditätseuphorie und Wachstumsernüchterung. Das war in Japan zu beobachten, und es droht eine Blaupause für die Euroland-Aktien zu werden.- Steht uns hier demnach die gefürchtete Japanisierung bevor?Sicher gibt es bedeutende Unterschiede – die europäische Wirtschaft ist offen, die japanische relativ abgeschottet. Leider gibt es aber Ähnlichkeiten wie das demografische Problem, das in den nächsten Jahren in der Eurozone sichtbarer werden wird. Außerdem werden die schwachen Banken im Euroraum nur sehr zögerlich abgewickelt oder rekapitalisiert.- Fallen die Gewinne als Träger einer Aufwärtsbewegung ihrer Meinung nach also aus?Jedes Jahr werden in der Vorweihnachtszeit die Prognosen mit einer Wunschliste herausgegeben: “Lieber Weihnachtsmann, lass die Gewinne deutlich steigen!” Der Weihnachtsmann denkt aber nicht daran. Seit 2011 wurden die Gewinnschätzungen in jedem einzelnen Jahr im Verlauf nach unten geschraubt; die Gewinnerwartungen sind stets enttäuscht worden. Wenn wir keine Beschleunigung des globalen Wachstums bekommen, wird es auch im neuen Jahr so sein. Gewinne sind nominale Größen, das heißt, sie haben eine Inflationskomponente. Wenn die Inflation sehr niedrig ist, steigen die Gewinne auch entsprechend weniger. Potenzial dazu gäbe es, wenn die aktuellen Margen niedrig wären. Wir haben aber bei den Margen ein historisch hohes Ausgangsniveau. Stärkere Zuwächse können da bei niedrigem Umsatzwachstum kaum erzielt werden. Die Bedingungen für einen prozentual zweistelligen Gewinnzuwachs sind nicht gegeben.- Wird die Schwäche des Dax im Vergleich zum S & P 500 enden?Der Dax ist aktuell eindeutig attraktiver als der S & P 500. Sein Bewertungsabschlag im Vergleich zum S & P 500 beträgt 21 %, während der historische Durchschnitt nur bei 18 % liegt. Es ist kein Zufall, dass die zurückliegende Spitze in der relativen Entwicklung des Dax gegen den S & P 500 mit dem Moment zusammenfiel, in dem eine Schlüsselgröße wie die Ifo-Geschäftserwartungen zu fallen begann. Mit deren Rückgang setzte die relative Schwäche des Dax ein. Angelsächsische Investoren haben daraufhin ihre Deutschland-Positionen deutlich abgebaut. Das heißt aber auch im Umkehrschluss, dass diese Anleger wieder zurückkehren werden, wenn der Ifo steigt. Diese Entwicklung hat schon eingesetzt. Es gibt verschiedene Gründe, warum die Geschäftserwartungen zunächst etwas anziehen sollten. Indizes wie der Ifo bewegen sich in Zyklen. Je stärker sie gesunken sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie wieder nach oben klettern. Im Oktober lagen die Ifo-Geschäftserwartungen auf einem Niveau, wie sie während der Eurokrise Ende 2011 vorherrschten.- Wie sehen Ihre sektoralen Empfehlungen für das kommende Jahr aus?Wir raten aus taktischer Sicht für die ersten beiden Quartale angesichts der von uns erwartenden Aufhellung bei den Frühindikatoren zu einer zyklischen Positionierung der Depots, insbesondere zu Auto, Chemie und ausgewählten Maschinenbauern. Konjunkturabhängige Aktien schneiden in Phasen, in denen sich die Ifo-Geschäftserwartungen verbessern, tendenziell besser ab. Zweitens entwickeln sich innerhalb des Finanzsektors in solchen Phasen die Banken besser als die Versicherer. Die Banken werden von den Staatsanleihekäufen der EZB – zunächst einmal – stärker profitieren, die Kurse für Anleihen und verbriefte Kredite werden hoch bleiben bzw. weiter steigen. Das wird es den Banken erleichtern, sich von Aktivitäten, die nicht zum Kerngeschäft gehören, zu trennen.- Und jenseits kurzfristigerer Empfehlungen?Aus langfristiger Sicht bleibt eine dividendenorientierte Strategie interessant, die neben Renditehöhe auch Dividendensicherheit und -wachstum berücksichtigt. Die Jagd nach Rendite wird angesichts des von der EZB oktroyierten Minizinsumfelds weitergehen. Das stützt nach wie vor deutsche Immobilienwerte.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.