Delistings – unmoralische Angebote an der Börse
Gastbeitrag: Anlagethema im Brennpunkt (350)
Delistings – unmoralische Angebote an der Börse
Value-Investoren hatten in den vergangenen Jahren einen schweren Stand. Während eine Handvoll vor allem US-amerikanischer Technologiewerte mit ihrer Kursentwicklung alles in den Schatten stellten, wurden weite Teile des Aktienmarktes von dieser Entwicklung völlig abgehängt. Für Fondsmanager war es in dieser Phase ohnehin schon schwer, mit den entsprechenden Aktienindizes Schritt zu halten. Eine extreme Konzentration auf wenige Einzeltitel ist nach den meisten Fondsstatuten und Jurisdiktionen nicht zulässig – und im Sinne der Lehrbücher zur Portfoliotheorie auch nicht sinnvoll. Alternativ könnte man geneigt sein, sich genau in der entgegengesetzten Ecke des Spektrums aufzuhalten: nicht in hoch bewerteten Mega Caps, sondern in nach allen Maßstäben extrem günstig bewerteten Small Caps.
Jahrzehntelang funktionierte der Ansatz recht gut, Aktien guter Unternehmen in zyklischen Tiefs zu kaufen und sie dann einige Jahre später, in einem normalisierten Marktumfeld, wieder zu verkaufen. Bis der Gesetzgeber 2015 auf die Idee kam, die Aktionärsrechte im Falle eines Rückzugs des Unternehmens von der Börse zu „stärken“ – mit der Neufassung des §39 BörsenGesetz und der klaren Regelung zur notwendigen Höhe des Abfindungsangebots an die Minderheitsaktionäre im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz. Seitdem gilt im Allgemeinen: Die Gegenleistung bei einem Delisting-Erwerbsangebot in Deutschland muss mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der Wertpapiere während der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung des Delistings entsprechen. Das klingt nach einer fairen Regelung, ist in der Praxis aber ein Freifahrtschein zur Ausbootung von Minderheitsaktionären. Und das geht ganz einfach, wie das folgende Beispiel illustriert.
Großaktionäre im Vorteil
Ein Großaktionär ist unzufrieden mit der Aktienkursentwicklung seines Unternehmens, die seines Erachtens nicht den inneren Wert angemessen widerspiegelt. In bestimmten Marktphasen – so auch in den vergangenen drei Jahren – handeln zum Beispiel viele Beteiligungsgesellschaften deutlich unter den addierten Einzelwerten ihrer Beteiligungen. Niemand weiß das besser als der Großaktionär, der in vielen Fällen auch entweder im Vorstand oder im Aufsichtsrat vertreten ist. Während der Plan für ein Delisting reift, wird sich das Unternehmen – insbesondere bei Interessengleichheit oder Verflechtung von Vorstand und Großaktionär – vermutlich nicht mit positiven Aussagen hervortun. Ist der Kurs dann sechs Monate in Folge ausreichend schwach, kommt das Delisting-Erwerbsangebot mit einer allenfalls minimalen Prämie auf den gewichteten Durchschnittskurs. Diejenigen Aktionäre, die die Aktie in der Vergangenheit deutlich teurer gekauft haben und in Erwartung einer mittelfristigen Erholung beteiligt geblieben sind, sehen sich plötzlich mit einer neuen Wirklichkeit konfrontiert. Sofern sie das wenig attraktive, Verlust realisierende Angebot nicht annehmen, besitzen sie eine illiquide Aktie, die an keinem geregelten Markt mehr notiert wird. Für viele professionelle Anleger ist das in ihren Anlagerichtlinien ausgeschlossen und sie sind quasi gezwungen, das Angebot anzunehmen.
Was wie ein Einzelfall klingt, hat tatsächlich Schule gemacht in Deutschland. Während von 2016 bis 2018 nur eine Handvoll Unternehmen, häufig in Sondersituationen, von der neuen Delisting-Regulierung Gebrauch gemacht hatten, waren es in den vergangenen drei Jahren schon rund 30. Für Value-Investoren mit einer Buy-and-Hold-Strategie sollte daher der kritische Blick auf ihre Mitaktionäre und die Interessenlage im Unternehmen unverzichtbarer Bestandteil der Analyse werden.
Unser Gastautor Pascal Spano ist Leiter Research bei Metzler Capital Markets.