Brasilien

Dem Real droht höhere Volatilität

Der brasilianische Real ist zuletzt in ruhigeres Fahrwasser gelangt. Längerfristig droht aber wieder höhere Volatilität.

Dem Real droht höhere Volatilität

Von Wolfgang Kiener und

Alexander Kalb*)

Nach dem Absturz des Real infolge der Corona-Pandemie sowie dem Einbruch des Ölpreises bis auf unter 20 Dollar je Fass Brent Crude im April 2020 hat sich die brasilianische Währung bis Mitte 2021 zu­nächst als sehr volatil zum Dollar erwiesen. Einerseits sorgten Erholungen des Ölpreises (gegen Ende 2020) und anderer Export-Rohstoffe (im zweiten Quartal 2021: Eisenerz, Mais, Soja) für Rallys beim Real, andererseits ließen ihn die Corona-Pandemie und das mangelhafte Krisenmanagement des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro wiederholt stark abwerten. In den letzten Monaten ist bei einem Wechselkurs um 5,25 Real je Dollar jedoch eine gewisse Stabilität eingekehrt.

Glimpflich durch die Krise

Aus rein wirtschaftlicher Sicht ist Brasilien aufgrund der vergleichsweise geringen Einschränkungen zur Bekämpfung des Coronavirus bisher glimpflich durch die Krise gekommen. In Brasilien schrumpfte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2020 „nur“ um 4,4%, weit weniger als der lateinamerikanische Durchschnitt von ca. ­–7%. Für den vergleichsweise geringen Wirtschaftseinbruch gibt es allerdings noch einen weiteren entscheidenden Faktor: Zur Bewältigung der Coronakrise schnürte die brasilianische Regierung 2020 ein Hilfspaket im Umfang von ca. 100 Mrd. Dollar – weitaus mehr, als die meisten anderen Schwellenländer aufwendeten –, von dem ca. 40% der erwachsenen Bevölkerung profitierten. Mit dem Jahreswechsel 2020/2021 liefen die Hilfsmaßnahmen aus, sie wurden aber nach der (erneuten) Verschärfung der Ge­sundheitskrise alsbald neu aufgelegt, wenn auch in stark reduziertem Umfang. Auch der Jahresauftakt verlief vielversprechend: Mit einem Zuwachs von 1,2% gegenüber dem Vorquartal legte das reale BIP im ersten Quartal 2021 mehr zu als erwartet. Im zweiten Quartal stagnierte die Wirtschaft allerdings, auch weil Brasilien seit Monaten unter Trockenheit und Kälte leidet, die sowohl die Agrarwirtschaft als auch die Stromproduktion (Wasserkraft) beeinträchtigen. Je nach Entwicklung der Pandemie und auch der Stromversorgung ist 2021 eine kräftige Erholung mit einer Wachstumsrate von bis zu 5% möglich; 2022, im Jahr der Präsidentschaftswahlen, dürften die „Nachholeffekte“ keine große Rolle mehr spielen, so dass das Wachstum auf gut 2% zurückgehen sollte.

Hohe Staatsverschuldung

Auch dürfte die hohe Staatsverschuldung wieder mehr in den Vordergrund rücken, denn die großzügigen Coronahilfen haben zu einem massiven Anstieg der ohnehin hohen Schulden beigetragen. Mit der Verabschiedung einer umfassenden Rentenreform im Herbst 2019 sollten die Staatsschulden eigentlich auf ein tragfähiges Niveau zurückgeführt werden. Durch die Coronakrise und die damit verbundenen Ausfälle an Steuereinnahmen und Konjunkturprogramme ist das Haushaltsdefizit 2020 jedoch auf ein Rekordniveau von 14% und die Staatsverschuldung auf knapp 100% gemessen am BIP angestiegen – ein viel zu hoher Wert für ein Schwellenland.

Auch wenn Brasilien weltweit einer der am stärksten von der Coronakrise betroffenen Staaten ist und die Krise, wie so oft in diesem Land, durch politische Querelen verstärkt wird, bleiben gewisse Rahmenbedingungen dennoch re­lativ gut. Eine wichtige Rolle spielt die umsichtige Geldpolitik der weitgehend unabhängigen Zentralbank. Zwar steigt die Inflationsrate u. a. aufgrund hoher Lebensmittelpreise 2021 kurzfristig deutlich an, im Durchschnitt erwarten wir 2021 eine Teuerung von ca. 7,5%. Die Zentralbank erhöhte jedoch den Leitzins zuletzt um 100 Basispunkte auf 6,25% und dürfte diesen Kurs fortsetzen, so dass der Real hierdurch weiter Unterstützung erfahren und der Inflationsdruck gegen Jahresende wieder abflauen sollte. Sie verfügt darüber hinaus über ein komfortables Polster an Währungsreserven (ca. 25% des BIP), das auch in Krisenzeiten kaum ange­tastet wurde, und die Auslandsverschuldung befindet sich mit knapp 45% des BIP auf einem für ein Schwellenland akzeptablen Ni­veau.

In heimischer Währung

Die hohen Staatsschulden werden insofern relativiert, als 94% des Volumens der ausgegebenen Anleihen in heimischer Währung, d. h. in brasilianischen Real denominiert sind. Die Abhängigkeit vom Ausland hat sich im Coronajahr 2020 krisenbedingt ohnehin deutlich verringert, da das Leistungsbilanzdefizit auf 1,8% gemessen am BIP abgeschmolzen ist; 2021 dürfte das Defizit weiter zurückgehen. Somit ist das Land gut gegen Währungs- und Leistungsbilanzkrisen gewappnet. Als Grundproblem – neben der hohen Staatsverschuldung – bleibt, dass Präsident Bolsonaro keine der dringend notwendigen und ur­sprünglich geplanten Reformen, etwa des Steuersystems, der Verwaltung oder der Arbeitsgesetzgebung mehr umsetzt. Angesichts der Präsidentschaftswahlen im Herbst 2022 kämpft er nun vorwiegend um das politische Überleben. Er deutete sogar an, den Ausgang der Wahl nicht anzuerkennen – ähnlich wie Donald Trump in den USA –, falls das elektronische Wahlsystem nicht durch herkömmliche Wahlzettel ersetzt wird. Szenen wie in den USA bei der Erstürmung des Kapitols könnten sich dann in Brasilien wiederholen. Das Gefährliche daran ist: Anders als Trump hat Bolsonaro einen militärischen Hintergrund; ob sich große Teile des Militärs allerdings für einen möglichen Putschversuch mobilisieren ließen, bleibt fraglich. Die Chancen Bolsonaros, wiedergewählt zu werden, stehen derzeit denkbar schlecht: In Umfragen liegt Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, dessen Verurteilung wegen Korruption und Geldwäsche im Frühjahr wieder aufgehoben wurde, mit gut 40% weit vor Bolsonaro.

Ruhigeres Fahrwasser

Sollte Lula tatsächlich antreten, gewinnen und eine geordnete Machtübergabe erfolgen, dürfte das Land politisch wieder in ruhigere Fahrwasser kommen; gleichwohl rücken dann wirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund, denn Lula von der linken Arbeiterpartei PT könnte wichtige Reformen – darunter die Rentenreform – der konservativen Vorgängerregierungen wieder rückgängig machen. Angesichts der vielen ungelösten Probleme und Unsicherheitsfaktoren scheint es daher nur eine Frage der Zeit, bis die Phase der Stabilität des Real endet und hohe Volatilität zurückkehrt.

*) Wolfgang Kiener ist Senior Analyst Investment Research und Alexander Kalb ist Senior Economist bei der BayernLB.