IM GESPRÄCH: ALEXANDER RAVIOL, LUPUS ALPHA

"Den menschlichen Faktor zulassen"

Experte für alternative Anlagelösungen über Wertsicherungsmodelle in Marktkrisen

"Den menschlichen Faktor zulassen"

Das laufende Jahr hat sich als enormer Stresstest für alle Wertsicherungsstrategien erwiesen. Der extrem starke Anstieg der Volatilität an den Märkten im März belastete Absicherungsmodelle stark. Viele Assetmanager dürften es daher nicht geschafft haben, die Wertuntergrenze zu halten, sagt Alexander Raviol, Leiter Alternative Solutions bei Lupus Alpha.Von Wolf Brandes, FrankfurtDie Coronakrise hat für Alexander Raviol etwas von einem Schwarzen Schwan, “einem Ereignis, das wir uns alle damals so nicht vorstellen konnten. Auch als es in China schon losging, hätten wir einen Lockdown in Deutschland ausgeschlossen”, meint der Leiter Alternative Solutions der Anlagefirma Lupus Alpha. 2020 sei ein enormer Stresstest für alle Wertsicherungsstrategien gewesen. “Das Jahr war noch extremer als 2008. Der Anstieg der Volatilität im März ging wahnsinnig schnell und war sehr heftig. Ein bemerkenswerter Unterschied zu 2008 war außerdem, dass wir diesmal eine V-förmige Erholung an den Aktienmärkten hatten.”Das war nach der Finanzkrise ganz anders. Die Erholung an den Märkten kam viel später. Die heftigen Reaktionen im März, die zu ungemein schnellen Abstürzen in fast allen Assetklassen geführt haben, sind für Raviol gut erklärbar. Die Märkte hätten sich in den vergangenen Jahren stark verändert, es gebe viele regelgebundene Ansätze, und die Liquidität habe spürbar abgenommen. “Zum Höhepunkt der Krise haben wir uns entschieden, das Portfolio unseres Publikumsfonds mit Wertsicherungsstrategie umzubauen. Das war keine regelgebundene Entscheidung, sondern eine diskretionäre Maßnahme”, sagt der Manager.Die zur Absicherung eingesetzten Long-Strukturen seien im März zu teuer geworden. “Wir haben uns daher von diesen Positionen getrennt, haben Sicherung herausgenommen und sind auf die andere Seite gewechselt, indem wir Puts verkauften. Die Preise für Puts waren so hoch, da hätte schon die halbe Welt zusammenbrechen müssen.” In der Sicherung gefangenEine der wesentlichen Fragen beim Börsencrash im März war, ob Assetmanager es geschafft haben, die definierte Wertuntergrenze zu halten, also nicht ausgestoppt zu werden. Denn nur in dem Fall konnte man von der anschließenden Erholung der Märkte profitieren. Raviol vermutet, dass nicht bei allen Wertsicherungsstrategien die untere Grenze gehalten hat und dass viele Portfolios ihr Risikobudget verbraucht haben und nach wie vor in der Wertuntergrenze gefangen sind. Besonders beim Auftauchen Schwarzer Schwäne wie der Corona-Pandemie zeigt sich, “dass Wertsicherung nicht gleich Wertsicherung ist”, stellen auch die Experten von Metzler Asset Management klar. Wertsicherungskonzepte seien nur sinnvoll, wenn die Modelle auch in Zeiten unvorhersehbarer Ereignisse funktionierten.Unabhängig von einer Wertsicherung ist laut Raviol auch die Frage wichtig, mit welcher Aktienquote das Portfolio in den verschiedenen Marktsituationen gesteuert wird. Zu unterscheiden sei außerdem zwischen Absolute-Return-Ansätzen, die eine marktunabhängige Rendite versprächen, und Wertsicherungsstrategien für ein Portfolio – “egal was da drin ist”. Beim Thema Absolute Return ist Raviol mittlerweile zurückhaltend. Für sein Haus heißt Wertsicherung, dass man etwa zum Jahresanfang eine Untergrenze von beispielsweise 90 % definiert, unter die das Portfolio nicht fallen darf. Damit stellt sich die Frage der Umsetzung. Gefahren bei CPPI-Modellen”Bei klassischen Wertsicherungsstrategien wie CPPI oder deren modernen Nachfahren besteht immer die Gefahr, dass man in der Wertuntergrenze ausgestoppt wird”, so der Experte für Sicherungskonzepte bei dem Frankfurter Investmenthaus. “Es ist es wichtig, diese Herausforderung entsprechend zu adressieren, entweder durch Optionsstrategien oder ganz bewusst den menschlichen Faktor nicht außer Acht zu lassen, das heißt auch diskretionäre Entscheidungen zuzulassen.”Für Lupus Alpha und andere Assetmanager ist Wertsicherung inzwischen keine rein technische Frage mehr. “Rein mathematische Allokationsmodelle funktionieren hierbei nicht gut, weil die reale Welt durch Modelle nicht abbildbar ist. Die Marktbewegungen sind oft so extrem, dass man ohne eine diskretionäre Komponente kaum noch eine erfolgreiche Strategie fahren kann”, sagt Raviol. Aller Erfahrung nach liefern regelgebundene Ansätze beim Backtesting meist gute Ergebnisse. “Wenn man aber nach vorne schaut, sieht das anders aus. Rein regelgebundene Strategien werden der Realität nicht gerecht.”Bei der Ertragserwartung eines Portfolios mit Absicherung müssen Investoren bedenken, dass sie heutzutage keine substanziellen Erträge mehr aus einer Rentenanlage erzielen können. “Das heißt, bei einer zehnprozentigen Wertuntergrenze, einer angenommenen langfristigen Volatilität von 6 % und einer Sharpe Ratio von 0,5 bis 0,7 ist eine Ertragserwartung von etwa 3,5 % über Geldmarkt realistisch”, sagt Raviol. Angesichts der Marktentwicklungen hat Lupus Alpha die Wertuntergrenze für den Publikumsfonds schon vor Jahren von 95 % auf 90 % abgesenkt. Alles andere sei nicht mehr realistisch. Weniger DiversifikationWertsicherungsstrategien stehen seit geraumer Zeit vor der Herausforderung, dass die Diversifikationsmöglichkeiten bei den Assetklassen angesichts von Nullzinsen stark abgenommen haben. “Man muss auf die wenigen Assets setzen, die noch positive Erträge erwarten lassen”, erläutert Raviol die Konsequenzen. Ob man dann Wertuntergrenzen brauche, hänge von der jeweiligen Lage des Investors ab. Für strategische Investoren, die auch mal heftige Marktbewegungen durchstehen können, stellt sich die Frage nicht. “Denn natürlich kostet eine Sicherungsstrategie immer auch Geld. Insofern muss man genau drüber nachdenken, ob und wie viel Sicherung man braucht.”