IM INTERVIEW: GUY WAGNER, BANQUE DE LUXEMBOURG INVESTMENTS

"Der amerikanische Markt ist derzeit historisch teuer"

Chief Investment Officer: Europas Aktien kommen besser weg als ihre US-Pendants - SAP als langfristiges Investment angesehen - Nike gilt als Kaufkandidat

"Der amerikanische Markt ist derzeit historisch teuer"

Guy Wagner, Chief Investment Officer von Banque de Luxembourg Investments (BLI), legt im Interview der Börsen-Zeitung dar, wo Anleger jetzt investiert sein sollten. Chancen sieht er zum Beispiel in Asien. Als historisch teuer stuft er den US-Aktienmarkt ein.- Herr Wagner, an den internationalen Aktienmärkten rechnen viele Analysten mit einer ausgeprägteren Korrektur. Teilen Sie diese Einschätzung?Das haben wir sehr häufig: Wenn die Märkte über einen langen Zeitraum angestiegen sind, dann sprechen viele von einer bevorstehenden Korrektur. Die Kurse sind in den vergangenen Jahren auch stärker gestiegen als die Gewinne der Unternehmen, weshalb die Bewertungen jetzt vergleichsweise teuer sind. Es ist ja fast schon rekordverdächtig, wie lange der S & P-500-Index keine Korrektur von 15 % gesehen hat. Tatsache ist jedoch, dass größere Korrekturen an den Aktienmärkten in der Vergangenheit von drei Faktoren ausgelöst wurden: einem starken Anstieg der Zinsen, einem Rückgang bei den Unternehmensgewinnen oder einem größeren politischen Schock. Das Umfeld aus Zinsen und Gewinnentwicklung hat sich jedoch nicht deutlich verändert, auch wenn die Fed mit der Erhöhung ihrer Leitzinsen begonnen hat. Sie macht dies jedoch sehr moderat, und in anderen Ländern wird noch überhaupt nicht von Zinserhöhungen gesprochen. Die langfristigen Zinsen haben voriges Jahr in vielen Ländern wahrscheinlich ihr historisches Tief erreicht, erfahren jetzt aber auch keinen enormen Anstieg. Von der Zinsseite sehe ich nichts, was die Aktienmärkte stark beunruhigen sollte.- Und von der Gewinnseite?Die Gewinnentwicklung in vielen Märkten ist nicht gerade berauschend, aber die Gewinne sind auch nicht rückläufig. Die Konjunktur scheint sich etwas zu verbessern, so dass die Analysten ihre Gewinnschätzungen sogar eher nach oben revidieren. Der dritte Faktor ist die geopolitische Entwicklung, aber darauf können wir keine Anlagestrategie aufbauen. Allgemein lässt sich außerdem sagen, dass die gegenwärtige Aktienhausse eine der unbeliebtesten Haussen überhaupt ist. Die Investoren sind nicht euphorisch wie etwa im Jahr 2000 bei der Technologie-Bubble. Das ist eher etwas, was mich beruhigt. Es ist eine komische Hausse, weil jeder spürt, dass viele Dinge noch nicht in Ordnung sind. Dazu gehört etwa die Verschuldung von Haushalten und Staaten, die nicht abnimmt, sondern immer nur zunimmt. Das Wachstum ist eher moderat. Das alles führt allerdings dazu, dass die Zinsen niedrig bleiben und Bewertungen an den Aktienmärkten nicht unter Druck geraten.- Wie stehen die europäischen Aktienmärkte im Vergleich zum US-Markt oder den asiatischen Märkten da?Der amerikanische Markt ist derzeit historisch teuer, Europa steht demgegenüber besser da. Aber auch das muss man etwas relativieren. Die Zusammensetzung des S & P 500 im Vergleich zu europäischen Indizes ist in qualitativer Hinsicht besser. Denn es sind weniger Finanzwerte, weniger zyklische Firmen und weniger Telekom- und Versorgeraktien in diesem Index enthalten. Diese Branchen werden tendenziell niedriger bewertet. Im US-Index sind auch deutlich mehr Unternehmen wie Apple oder Microsoft enthalten, die eher auf Zukunftstrends, zum Beispiel die Digitalisierung, ausgerichtet sind. In den europäischen Indizes sind solche Wachstumsnamen meistens wenig in den großen Indizes vertreten. Wachstumswerte findet man in Europa eher bei den Small und Mid Caps. Und diese Werte sind auch sehr gut gelaufen. Vor diesem Hintergrund habe ich auch etwas Probleme damit, den US-Markt niedriger zu gewichten und europäische Aktien höher zu gewichten.- Welche drei Namen favorisieren Sie in Europa und warum?Wir haben in Europa drei Fonds, einen für Large Caps, einen für Small Caps und einen für Familienunternehmen. SAP ist ein Name, den man langfristig im Portfolio haben sollte. Bei den Familienunternehmen ist es Datalogic, das im Bereich der Barcodes tätig ist. Bei den Small Caps ist es Loomis, das seine Dienstleistungen bei Geldtransporten, aber auch bei der Identifikation von Falschgeld oder der Reparatur von beschädigten Banknoten anbietet. Man muss aber auch bei diesen Namen sagen, dass die Kurse teilweise bereits stark gestiegen und die Unternehmen damit hoch bewertet sind. Langfristig ergeben diese Bewertungen Sinn, aber es besteht eben auch ein Rückschlagrisiko.- Was sind in wirtschaftspolitischer Hinsicht in den USA derzeit noch Treiber des US-Aktienmarktes?Der Konsum macht 70 % des Bruttoinlandsproduktes der USA aus und ist damit der Wachstumsmotor. Die Investitionstätigkeit der Unternehmen hat sich leicht verbessert, bleibt historisch betrachtet aber immer noch schwach. Die Staatsausgaben haben das Wachstum in den vergangenen Jahren eher gedrückt, weil man versucht hat, das Haushaltsdefizit wieder herunterzubekommen. Der Außenhandel spielt in den USA keine gravierende Rolle. Die USA haben ein Defizit, das eher auf das Wachstum drückt. Beim privaten Konsum hat ein Umdenken stattgefunden. Viele Haushalte sind nicht mehr bereit, den Konsum kreditfinanziert zu steigern. Der Konsum legt heute jährlich nicht mehr mit Steigerungsraten von 3 bis 3,5 % zu, sondern eher mit Raten von um die 2 %. Das bringt dann in den USA ein strukturell schwächeres Wachstum mit sich. Es wird derzeit viel über die vorgesehenen Steuererleichterungen gesprochen. Aber man muss hier die Details abwarten, um zu sehen, ob diese wirklich das Wachstum stärken können.- Welche zwei oder drei Namen favorisieren Sie in den USA am meisten, und was sind die Gründe?Microsoft ist eine der größten Positionen im Fonds. Medtronic und Becton Dickinson sind im Gesundheitsbereich zwei Namen, die wir favorisieren und die auch zu den größeren Positionen zählen. Und ein Wert, den wir uns in der jüngeren Vergangenheit wieder verstärkt angesehen haben, ist Nike. Der Kurs ist stark zurückgekommen, da es ein paar Enttäuschungen gegeben hat. Auf dem gegenwärtigen Kursniveau ist der Wert für uns aber schon wieder ein Kaufkandidat.- Die Fed hat im Sommer dieses Jahres angekündigt, das Tempo aus den Zinsanpassungen zu nehmen. Auf wie viele Schritte stellen Sie sich noch für dieses Jahr ein?Der Markt stellt sich darauf ein, dass die Zinsanpassungen nach oben weniger stark ausfallen, als es die Fed bislang kommuniziert hat. Er erwartet im Schnitt weniger als 40 Basispunkte. Was uns auffällt, ist, dass die Fed jahrelang Gründe gesucht hat, um die Zinsen nicht zu erhöhen und nun das Gegenteil der Fall ist. Sie versucht, sich einen Spielraum zu verschaffen, um die Zinsen gegebenenfalls auch wieder senken zu können, wenn es mit der Wirtschaft bergab gehen sollte. Ich sehe die Zinsen am kurzen Marktende in den USA nicht deutlich über 2 % gehen.- Und auf was stellen Sie sich für 2018 ein?Für 2018 erwartet der Markt noch zwei bis drei Schritte. Diese Einschätzung kann ich teilen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang die starke Verschuldung vieler Länder, die aus diesem Grund keine höheren Zinsen vertragen. Dass dieses Schuldengebilde nicht zusammenbricht, liegt daran, dass die Zinsen und damit der Schuldendienst so niedrig sind. Das wäre bei deutlich ansteigenden Zinsen verständlicherweise nicht mehr der Fall. Deshalb glaube ich, dass die Zinsen ausgehend von den USA nicht stark steigen werden. Die Zinsen werden nicht mehr auf einem Niveau ankommen, das man in früheren Phasen als normal angesehen hat.- Wo sehen Sie den US-Leitzins am Ende des Normalisierungspfades?Nicht weit höher als 2 %. Die Fed sieht ihn allerdings auf einem höheren Niveau.- Am US-Arbeitsmarkt herrscht Vollbeschäftigung. Die US-Konjunktur befindet sich aber schon im neunten Jahr des Aufschwungs. Die Inflationsentwicklung dümpelt mehr vor sich hin, als dass sie deutlich nach oben weist. Könnten ein Wirtschaftsumschwung und die schwache Inflationsentwicklung der Fed einen Strich durch die “Zinspolitikrechnung” machen?Es gibt zweifelsohne Gründe, warum die Inflation so niedrig ist, auch wenn Frau Yellen immer wieder betont, dass sie die niedrige Inflation nicht nachvollziehen kann. Neue Technologien wirken oft deflationär. Durch neue Unternehmen wie Uber oder Airbnb entsteht Druck auf die Preise. Und in manchen Bereichen haben wir ja auch Inflation. In der Realwirtschaft sehen wir dies im Immobilienbereich, und an den Finanzmärkten steigen die Aktien- und Anleihekurse.- Wie bewerten Sie die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank (EZB) zu den Anleihekäufen vom Donnerstag?Wie erwartet, hat Mario Draghi seinen Worten Taten folgen lassen und beginnt nun vorsichtig mit dem Ausstieg aus dem QE, indem die EZB ab Januar nur noch die Hälfte an Anleihen kaufen wird. Wir sind aber weit davon entfernt, dass die EZB ähnlich wie die Fed ihre Bilanz verkleinern wird. Eine Zinserhöhung steht in der Eurozone aber noch nicht auf der Tagesordnung.- Sind Europas Aktien- und Rentenmärkte ausreichend vorbereitet auf den Liquiditätsentzug durch die EZB?Man kann vieles an den Zentralbanken kritisieren, aber sie versuchen mit aller Macht zu vermeiden, dass die Märkte durch den QE-Ausstieg in unruhiges Fahrwasser geraten. Das, was die Zentralbanken letzten Endes umsetzen, versuchen sie auch so gut wie möglich anzukündigen. Das Letzte, was die Zentralbanken wollen, ist, einen Einbruch der Aktienmärkte auszulösen. Die Politik der vergangenen Jahre war auf diesen Wealth-Effekt ausgelegt. Man hat versucht, die Kurse von Risikoaktiva wie Aktien und riskanteren Anleihen zu stimulieren.- Wann rechnen Sie mit den ersten Zinsschritten der EZB?Im Moment frühestens 2019.- Wie stehen die asiatischen Aktienmärkte im Vergleich zu den europäischen Pendants da?Allgemein sind die asiatischen Märkte billiger. Wir sehen auch, dass die asiatischen Märkte, aber auch die lateinamerikanischen Märkte, von einem schwächeren Dollar profitieren. Die Bewertungen sind auf den gegenwärtigen Niveaus als attraktiv anzusehen.- Welche drei Unternehmen halten Sie in Asien für besonders aussichtsreich?In Vietnam haben wir beispielsweise die Aktie von Vinamilk gekauft. Dabei handelt es sich um den größten Molkereibetrieb des Landes. In Südkorea halten wir eine Position in Hanssem, das ist praktisch der Ikea aus Südkorea. In diesem Land haben wir des Weiteren eine Position in LG Household & Health Care. Diese Firma ist unter anderem im Bereich Kosmetik tätig. Südkorea ist ein Markt, den wir uns in der jüngeren Vergangenheit verstärkt angeschaut haben, weil er als relativ billig anzusehen ist. Es gilt in diesem Markt jedoch immer, auch das politische Risiko zu berücksichtigen.—-Das Interview führte Kai Johannsen.