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Der Euro-Carry ist gekommen, um zu bleiben

Von Stefan Schaaf, Frankfurt Börsen-Zeitung, 2.9.2015 Die Vorhersage von Devisenkursen ist aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren auf den Markt eine komplexe Herausforderung - manche mögen spöttisch auch von Glückssache sprechen. Doch derzeit...

Der Euro-Carry ist gekommen, um zu bleiben

Von Stefan Schaaf, FrankfurtDie Vorhersage von Devisenkursen ist aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren auf den Markt eine komplexe Herausforderung – manche mögen spöttisch auch von Glückssache sprechen. Doch derzeit dürfte es für die diesbezüglich ohnehin Kummer und Spott gewohnten Devisenstrategen besonders schwer sein, Prognosen zu treffen. Dies gilt insbesondere für den global wichtigsten Währungskurs Euro-Dollar. Zahlreiche Modelle werden derzeit wohl Fehlsignale aussenden, die sich nicht mit dem Marktgeschehen vereinbaren lassen.Hintergrund für diese Entwicklung ist eine veränderte Rolle des Euro an den Finanzmärkten, die sich während der vergangenen Monate herausgebildet und in diesem Sommer während der Griechenland-Krise und des China-Crashs gezeigt hat. In beiden Situationen ist die Gemeinschaftswährung nämlich zum Dollar angestiegen, teils verstärkt noch durch geringe Liquidität. Die Kursentwicklung entsprach jedenfalls nicht den Vorhersagen vieler Strategen, die sich zu Jahresbeginn einen Wettlauf darum lieferten, wer die Parität von Euro und Dollar am frühesten prognostizierte. Möglicherweise haben viele dieser Modelle auf Basis von Konjunkturdaten und Zinsdifferenzen – den klassischen Instrumenten der Währungsprognose – gearbeitet. Was sie offenbar nicht berücksichtigten, ist die neue Rolle des Euro als Finanzierungswährung für Carry Trades.Bei diesen spekulativen Geschäften leihen sich Investoren Geld in niedrig verzinsten Währungen und legen es in Währungen mit höheren Zinsen an. Seitdem im Zuge der quantitativen Lockerung der Europäischen Zentralbank (EZB) das Zinsniveau in der Währungsunion sich um die Nulllinie bewegt, ist der Euro-Carry entstanden. Hierbei verschulden sich Investoren in Euro und investieren in höher verzinste Anlagen, beispielsweise in australischen Dollar. Allerdings werden viele Carry Trades nicht am Kassamarkt für Bonds abgewickelt, sondern erfolgen derivativ: Investoren gehen short auf den Euro, kaufen also eine Position auf einen fallenden Euro, und gehen gleichzeitig long auf die höher verzinste Währung. Insofern geben die wöchentlichen Daten aus Chicago zur derivativen Positionierung von Anlegern am Devisenmarkt weniger Auskunft über die Erwartung an einen fallenden oder steigenden Euro-Kurs, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Vielmehr deutet ein Anstieg von Euro-Short-Positionen auf eine größere Risikobereitschaft der Investoren hin – und umgekehrt. Denn Carry Trades sind eine hochriskante Angelegenheit und werden in Phasen steigender Volatilität abgewickelt. “Die Erträge aus Carry Trades sind eine Kompensation für das Eingehen von Risiken”, erläutert Nikolai Roussanov. Der Ökonomie-Professor an der Wharton School der University of Pennsylvania und ausgewiesene Carry-Trade-Experte forschte in diesem Sommer mit Unterstützung des Bankhauses Metzler in Frankfurt. Baltic Dry Index als IndikatorAls einen der Haupttreiber für Carry Trades hat der Ökonom die Entwicklung der Produktivität zwischen Rohstoffexporteuren und -importeuren identifiziert: In konjunkturell guten Zeiten wachse die Produktivität in hoch industrialisierten Ländern wie Deutschland und Japan stärker als bei den Rohstoffproduzenten, was die Nachfrage nach Rohstoffen und damit die Rohstoffwährungen wie australischer und kanadischer Dollar steigen lässt. In konjunkturell schlechten Zeiten dreht sich dies um, so dass Carry Trades an Attraktivität verlieren. Roussanov hat die Transportkosten für Rohstoffe als Indikator für den Ertrag aus Carry Trades ausgemacht. Ein guter Indikator hierfür sei folglich der Transportkostenindex Baltic Dry.Die Rolle des US-Dollar sieht er zwischen den Finanzierungswährungen Euro und Dollar und den klassischen Anlagewährungen wie dem australischen und neuseeländischen Dollar. “Die USA sind global betrachtet immer auch ein Schock-Absorber, deshalb zeigt der US-Dollar auch ein anderes Verhalten”, so RoussanovTreffen Roussanovs Beobachtungen zu, würde dies die klassischen Prognosemodelle auf den Kopf stellen. Bislang galt: Eine robuste Konjunktur und steigende Produktivität in der Eurozone führen zur Erwartung steigender Zinsen, was den Euro stärkt. Künftig könnte die Argumentation lauten: Eine schwache Konjunktur in der Eurozone senkt die Risikobereitschaft – und der Euro steigt. Bedenkt man, dass automatisierte Handelssysteme auf Basis historischer Daten Korrelationen berechnen, so spricht vieles dafür, dass der Euro-Carry sich verfestigt. Dann würde der Euro mit der Marktvolatilität schwanken, ohne dass Carry Trades eingegangen oder abgewickelt werden müssen. Dies zeigt die Erfahrung mit dem Yen, der trotz chronischer Wachstumsschwäche und gigantischer Staatsverschuldung Japans als sicherer Hafen an den Devisenmärkten gilt. Schafft die Eurozone keine nachhaltige Erholung, droht dem Euro das Gleiche.