Der graue Kapitalmarkt boomt
Von Wolf Brandes, FrankfurtUnerlaubte Finanzgeschäfte erleben einen Boom. Nach mehr als 1 300 Verdachtsfällen 2019 berichtet die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin), dass dieser Wert jetzt schon Mitte November übertroffen wurde. Ähnlich sieht es bei Maßnahmen durch die BaFin wie Untersagungen aus. “Dieses Jahr wird bei unerlaubten Geschäften erneut einen Rekord bringen”, sagt Thorsten Pötzsch, als Exekutivdirektor zuständig für den Bereich Abwicklung in der BaFin. Während sich die Anzahl der gemeldeten Fälle und das Einschreiten ermitteln lassen, bleibt die Höhe des Schadens weitgehend unbekannt. “Die Gesamtsumme des Schadens durch unerlaubte Geschäfte kann man nur schwer einschätzen. Die Untergrenze pro Jahr dürfte ein sehr substanzieller, dreistelliger Millionenbetrag sein”, so Pötzsch. Gefahr durchs InternetDas Coronajahr hat bei dubiosen Finanzgeschäften die Trends verstärkt. “Unerlaubte Geschäfte im Zusammenhang mit Online-Trading sind in unserer Statistik ein Spitzenreiter”, sagt Pötzsch. “Im Bereich der unerlaubten Geschäfte gehen von bestimmten Online-Plattformen sehr hohe Gefahren aus.” Dies wird durch die Stiftung Warentest bestätigt, die seit Langem gegen den grauen Kapitalmarkt zu Felde zieht.Neben unseriösen Tradingangeboten hat die Stiftung im laufenden Jahr vermehrt angebliche Festgeldofferten registriert. “Es gibt viele Facetten, von der frei erfundenen Einlagensicherung bis hin zu nicht existierenden Banken sowie angeblichen Partnerbanken, die nichts von einem Angebot wissen. Hinter den Angeboten stecken vermutlich zumeist Abzocker”, stellt Renate Daum, Anlageexpertin bei der Stiftung Warentest, fest. Unerlaubte Einlagengeschäfte liegen auch in der BaFin-Statistik ganz weit vorn. “Oft sind die Angebote sehr ähnlich, nur Namen, Adressen und Zinskonditionen werden ausgetauscht”, so Daum. BaFin-Mann Pötzsch bestätigt dies: “Bei vielen Anbietern von unerlaubten Geschäften kommen wir uns vor wie in der griechischen Mythologie, wenn wir ein Haupt abschlagen, wächst sofort ein neuer Kopf nach. Neue Firma, neuer Namen – oft nur mit einem Buchstaben verändert”.Nicht nur die Anbieter sind aktiv, auch in Sachen Regulierung tut sich etwas. “Bezüglich der Produktausgestaltung fällt auf, dass größere Skandale nun endlich Wirkung zeigen und darauf reagiert wird”, sagt Branchenexperte Stefan Loipfinger. Nach der P&R-Pleite scheine die BaFin Container als Direktinvestments zu “vermeiden”. Hier hat Loipfinger beobachtet, dass die früher beliebten Direktinvestments zugunsten von geschlossenen Fonds und Nachrangdarlehen zurückgedrängt werden. Als Konsequenz aus negativen Berichten über Goldanlagen und des Skandals um PIM-Gold soll jetzt das Vermögensanlagengesetz erweitert werden, um solche Anbieter prospektpflichtig zu machen. Das begrüßt Christian Ahlers vom Bundesverband der Verbraucherzentralen, aber: “Der graue Kapitalmarkt bleibt schlecht reguliert. Das fängt bei den vielen toten Winkeln an. Deswegen ist die Ausweitung der Prospektpflicht auf Goldanlagen gut.” Offen ist, ob die geplante Neuregelung ihr Ziel erreicht. “Leider wird das Gesetz den gewünschten Schutz nicht bewirken, da es in meinen Augen zu kurz greift”, vermutet Branchenexperte Loipfinger. “Damit werden nur die Anbieter erwischt, die eine Verzinsung versprechen.” Aber bei der Kombination Verkauf und Verwahrung bestehe das Risiko, dass das Gold nicht vorhanden sei. Die geplante Änderung ist Teil des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG), der derzeit in Berlin auf Ressortebene beraten wird.Wie mühsam die Eingrenzung des grauen Kapitalmarktes ist, zeigt sich an Vorhaben, die bislang liegen geblieben sind. Das im August 2019 verkündete Maßnahmenpaket zur Stärkung des Anlegerschutzes von BMF und BMJV fiel bislang offensichtlich nicht auf fruchtbaren Boden. Darin sollten zum Beispiel Blindpool-Konstruktionen und vieles mehr verboten werden.Probleme macht die Coronakrise geschlossenen Fonds. Diese Produkte galten früher als grauer Kapitalmarkt, sind inzwischen aber voll reguliert, brauchen also eine vollwertige Zulassung. Das Risiko der Investments, die mitunter hohen Kosten sowie die Illiquidität machen sie von der Art vergleichbar mit den Vermögensanlagen, bei denen es nur eine formelle Prospektpflicht gibt; geschlossene Fonds gelten daher als Investments für Privatanleger zum Teil weiterhin als problematisch.Der Sachwerte-Markt wird stark von Covid-19 geprägt. Klar, dass Initiatoren bei Bestandsfonds mit Flugzeugen und Hotelimmobilien Probleme haben. “Umgekehrt wirkt sich das auch auf das Neugeschäft aus. Dr. Peters hat einen gestatteten Hotelfonds vom Markt genommen, weil sie ihn nicht für platzierbar hielten”, so Loipfinger. Nach einem Rekordjahr klingt das nicht. Enger RechtsrahmenFraglich ist indes, ob die BaFin stets alles Mögliche tut, um Auswüchse am grauen Kapitalmarkt zu verhindern. Unbestritten ist, dass sie in einem engen Rechtsrahmen agieren muss. Bei manchen Fällen bleibt aber der Eindruck, dass die Skandale erst ans Tageslicht kommen mussten, ehe die Aufsicht nach außen sichtbar tätig wird. Auffällig ist auch, dass Verbraucherschützer oder Wettbewerbshüter schon mal gegen Anbieter vorgehen und zumindest dreiste Werbung unterbinden lassen, bevor die BaFin Maßnahmen ergreift. Die Entwicklungen bei unerlaubten Geschäften, aber sicherlich auch im teilregulierten grauen Kapitalmarkt, zeigen, dass in den kommenden Jahren für die Aufsicht viel zu tun ist.Für den Teilbereich der unerlaubten Geschäfte hat BaFin-Direktor Pötzsch noch einen Tipp parat: “Eine gute Methode herauszufinden, ob ein Anbieter seriös ist, ist neben unserer Unternehmensdatenbank die Recherche der Adresse im Internet. Spätestens wenn eine Internetsuche zeigt, dass unter der vermeintlichen Firmenadresse ein Fish-and-Chips-Shop zu finden ist, sollte man die Finger davonlassen.”