Der Insolvenzwelle auf der Spur
Von Ann-Kristin Möglich und Ralf Raebel*)
Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie haben in vielen Branchen zu starken wirtschaftlichen Einbußen geführt und so die Angst vor einer Welle an Unternehmens- und Privatinsolvenzen geschürt. Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftskrisen ist die erwartete Insolvenzwelle bei Unternehmen während der Coronakrise bisher aber ausgeblieben.
Die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften in Deutschland beläuft sich laut dem aktuellen IWH-Insolvenztrend des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) im August auf 570 – der Wert liegt 11% unter jenem des Vormonats und markiert damit ein Allzeittief. Die Insolvenzzahlen fallen zudem 15% niedriger aus als im Vorjahresmonat, in dem die Insolvenzantragspflicht noch ausgesetzt war. Zwar trägt die gute wirtschaftliche Entwicklung zur entspannten Situation bei den Insolvenzen bei, allerdings haben selbst in der langanhaltenden Boom-Phase zwischen 2010 und 2018 immerhin etwa 1000 Personen- und Kapitalgesellschaften monatlich Insolvenz angemeldet. Die Zahl der betroffenen Jobs liegt 23% unter dem bisherigen Tiefststand aus dem Juni 2021 und 82% unter dem Vorjahreswert.
Niedrige Zahlen trügen
Das IWH liefert mit dem IWH-Insolvenztrend deutlich schneller als die amtliche Statistik ein monatliches Update zum bundesweiten Insolvenzgeschehen für Personen- und Kapitalgesellschaften. Die Ergebnisse weisen nur geringfügige Abweichungen von den amtlichen Zahlen auf, die mit etwa zwei Monaten Zeitverzug eine umfassende Einschätzung der Lage erlauben. Nach Auffassung von IWH-Experten reflektieren die anhaltend niedrigen Insolvenzzahlen aufgrund staatlicher Stützungsmaßnahmen jedoch nicht das tatsächliche Insolvenzgeschehen. Um einen wachsenden Rückstau an Insolvenzen zu vermeiden, sollten laufende Unterstützungsmaßnahmen zügig überprüft werden. Exemplarisch verweisen die IWH-Experten hierbei auf das Kurzarbeitergeld, das derzeit noch immer undifferenziert auch für gescheiterte Unternehmen in Branchen gezahlt wird, die von der Pandemie nicht betroffen sind und einen Boom erleben.
Vielfach wird in diesem Zusammenhang auch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht angeführt, welche zu einer volkswirtschaftlich unerwünschten Lebensverlängerung sogenannter Zombie-Unternehmen geführt habe. So waren in Deutschland vom 1. März bis zum 30. September 2020 Unternehmen, deren Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie beruhte und die Aussichten darauf hatten, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, von der Insolvenzantragspflicht befreit. Seit dem 1. Oktober 2020 ist ein Insolvenzantrag bei Zahlungsunfähigkeit wieder verpflichtend, bei Überschuldung galt die Befreiung weiterhin bis zum Jahresende 2020. Für Unternehmen, bei denen die Auszahlung der seit dem 1. November 2020 vorgesehenen staatlichen Hilfeleistungen noch ausstand, war die Insolvenzantragspflicht bis Ende April 2021 weiterhin ausgesetzt.
Nach unseren Erkenntnissen ist die Illiquidität jedoch weit überwiegend vor der Überschuldung ursächlich für eine Unternehmensinsolvenz. Insofern ist es beim Blick in die Insolvenzstatistik des Statistischen Bundesamtes nicht verwunderlich, dass mit Einsetzen der Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit seit Oktober 2020 der Abwärtstrend bei den beantragten Unternehmensinsolvenzen gestoppt wurde. Im März 2021 lag die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen sogar 12,8% über dem entsprechenden Vorjahresmonat, im April noch 6,9%. Trotz des vollumfänglichen Wiedereinsetzens der Insolvenzantragspflicht ab Mai des laufenden Jahres lagen die beantragten Regelinsolvenzen in diesem Monat insgesamt 3,7% unter ihrem Vorjahreswert.
Ein tieferer Blick in die Insolvenzstatistik zeigt allerdings, dass diese im von der Pandemie stark betroffenen Dienstleistungssektor gegen den allgemeinen Trend deutlich gestiegen sind (+29,7%). Die durch Covid-19 befürchtete Insolvenzwelle in stark angeschlagenen Branchen bleibt daher nicht gänzlich aus, wird aber durch den allgemeinen Abwärtstrend bei den Insolvenzen überkompensiert. Auch haben viele Betriebe nach unseren Beobachtungen durch massive betriebswirtschaftliche Gegenmaßnahmen wie die Kostensenkung durch Entlassung von Mitarbeitern (insbesondere bei Mini-Jobbern) ihr Überleben zumindest über die Lockdown-Phasen sichergestellt. Dazu dürfte auch das neu eingeführte Rechtskonstrukt der (temporären) Störung der Geschäftsgrundlage nach §313 BGB beigetragen haben. Nach diesem wurden beispielsweise eigene Mietzahlungsverpflichtungen im Zweifel einseitig unter Inkaufnahme eines späteren Rechtsstreits bis auf null gekürzt oder einvernehmlich mit dem Vermieter deutlich reduziert, um die eigene Liquidität zu schonen. Das zu Beginn des Jahres eingeführte Konstrukt der präventiven Restrukturierung dürfte nach unseren Erkenntnissen bislang jedoch noch nicht maßgeblich zur Vermeidung von Insolvenzen beigetragen haben. Dies dürfte sich allerdings auf mittlere Sicht ändern. Als Folge hiervon würden die amtlichen Insolvenzzahlen weiterhin auf reduziertem Niveau ausgewiesen, da ein Großteil der sonst anstehenden Insolvenzen im Vorfeld privatrechtlich restrukturiert werden wird. Diese präventiven Restrukturierungen vollziehen sich jedoch außerhalb der amtlichen Insolvenzstatistik und werden auch in keiner anderen Erhebung erfasst. Da es sich bei der Einführung des präventiven Restrukturierungsrahmens im Wege des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) um die nationale Umsetzung der europäischen Restrukturierungsrichtlinie (EU) 2019/2013 handelt, dürfte sich die skizzierte Entwicklung letztlich ähnlich auch in anderen EU-Jurisdiktionen abspielen.
Keine Entwarnung
Für Investoren in Asset-Backed Securities (ABS) bedeuten die sinkenden Insolvenzzahlen damit keine Entwarnung, da ein Großteil der anstehenden Verluste künftig dennoch realisiert wird. Bei präventiven Restrukturierungen könnten die Verwertungserlöse zwar höher ausfallen als es bei einer Insolvenz der betreffenden Unternehmen der Fall wäre, jedoch sind die hierbei zu realisierenden Verluste nicht null. Erst die (fiktive) Summe aus den realisierten Verlusten durch präventive Restrukturierungen und tatsächlichen Insolvenzen reflektiert das wahre Schadensausmaß. Der aktuelle Aufschwung dürfte einen Teil der anstehenden Restrukturierungen respektive drohenden Insolvenzen auf das nächste Jahr und noch später verlagern. Dies ist für Verbriefungen vorteilhaft, da die Verlustverarbeitung in den Strukturen dann zeitlich gestreckt erfolgen kann. Negativ betroffen von dieser skizzierten Entwicklung wären dennoch alle unternehmensbezogenen Verbriefungen, nach unserer Einschätzung insbesondere aber KMU-Verbriefungen.
*) Ann-Kristin Möglich und Ralf Raebel sind ABS-Analysten bei der DZBank.