Im InterviewGrant Bowers, Franklin Templeton

„Der Markt sieht bei KI-Lösungen nur die Spitze des Eisbergs“

Die Euphorie um künstliche Intelligenz verleiht dem Chipdesigner Nvidia und großen Tech-Werten an der Börse Aufwind. Portfoliomanager Grant Bowers von Franklin Templeton sieht in Zukunft jedoch auch Chancen in anderen Industrien. Gerade im Pharmasektor biete KI Potenzial zu massiven Kostensenkungen.

„Der Markt sieht bei KI-Lösungen nur die Spitze des Eisbergs“

Im Interview: Grant Bowers

"Der Markt sieht bei KI nur die Spitze des Eisbergs"

Portfoliomanager von Franklin Templeton rechnet mit breitem Boom in diversen Industrien – Mehr Regulierung voraus

Die Euphorie um künstliche Intelligenz verleiht dem Chipdesigner Nvidia und großen Tech-Werten an der Börse Aufwind. Portfoliomanager Grant Bowers von Franklin Templeton sieht in Zukunft jedoch auch Chancen in anderen Industrien. Gerade im Pharmasektor biete KI Potenzial zu massiven Kostensenkungen.

Herr Bowers, die Euphorie um künstliche Intelligenz (KI) hat den US-Aktienmärkten im laufenden Jahr viel Schwung verliehen. Aber wie nachhaltig ist der Boom?

Natürlich erfährt KI an den Börsen momentan hohe Aufmerksamkeit und es gibt mit Sicherheit auch viele Marktteilnehmer, die dem Schlagwort blind nachjagen. Sorgen, dass es sich bei dem Boom um einen Hype-Zyklus wie beim Metaverse, beim Web 3.0 oder bei Kryptowährungen handelt, sind da nachvollziehbar. Ich glaube aber, dass sich das Anlagethema KI stark von den anderen Beispielen unterscheidet, weil es für eine große Zahl an Unternehmen einfach viel stärker greifbar ist. KI ermöglicht ganz reale Kostensenkungen und Produktivitätssteigerungen.

Dafür braucht es aber doch erst einmal hohe Ausgangsinvestitionen. Inwiefern bremst die angespannte Liquiditätssituation vieler Unternehmen daher die KI-Entwicklung?

Aktuell beobachte ich da eigentlich wenig Zurückhaltung. Wir befinden uns in einer Art KI-Wettrennen, jeder will etwas mit dem Thema zu tun haben. Das zeigt sich ja allein daran, wie oft das Schlagwort in den Quartalspräsentationen fällt. Selbst Firmen aus dem Kiesbergbau bezeichnen sich heute als KI-Profiteure. Die Wahrheit ist, dass wir uns noch in einer sehr frühen Phase befinden und nicht alle Gewinner des Trends sein werden – hier kommen wir als Portfoliomanager ins Spiel. Wir wollen die Unternehmen finden, die wirklich disruptive KI-Anwendungsfälle besitzen und diese auch monetarisieren können.

Wie gehen Sie dabei vor?

Wir suchen vor allem Unternehmen, die ihre eigenen Daten kontrollieren oder eine große Menge an Daten verwalten. Wer keine Daten in seinem Besitz oder Zugriff hat, für den bietet der Einsatz von großen Sprach- oder Machine-Learning-Modellen auch keinen wirklichen Vorteil. Denn diese entwickeln ihre höchste Effizienz und ihren wertvollsten Output ja, wenn sie mit möglichst vielen Informationen gefüttert werden.

Womit wir bei den US-Technologieriesen sind, die gewaltige Mengen an Informationen und Daten kontrollieren. Doch bei diesen erscheint das originäre Innovationspotenzial nachzulassen. Microsoft hat durch eine Partnerschaft mit OpenAI einen Schub in Sachen KI erhalten. Werden wir solche Kooperationen künftig häufiger sehen oder wird es sogar verstärkt zu Übernahmen fortschrittlicherer Entwickler kommen?

Größere Übernahmen sind für Big Tech aufgrund regulatorischer und kartellrechtlicher Bedenken in den USA heute nur noch sehr schwierig zu realisieren. Es ist aber durchaus möglich, dass wir mehr Partnerschaften sehen und auf Basis dieser auch die organische Entwicklung wieder anzieht. Das zeigt sich bei Microsoft ja auch schon Der Konzern will zum Beispiel eine zusätzliche Gebühr für die Nutzung des KI-Assistenten innerhalb seiner Office-Programmsuite erheben. Und Kunden sind bereit, für einen verbesserten Service mehr Geld in die Hand zu nehmen.

Allerdings wohl nur, wenn dieser auch verlässlich funktioniert. Sowohl die KI-Assistenten von Microsoft als auch Alphabet haben nach ihren jeweiligen Vorstellungen auch mit Falschinformationen auf sich aufmerksam gemacht…

Das stimmt. Deshalb halte ich es für gut vorstellbar, dass innovative Unternehmen künftig etwas defensiver mit ihren Entwicklungen umgehen werden. Gerade bei Alphabet sieht der Markt in Bezug auf KI-Lösungen bisher wohl nur die Spitze des Eisbergs. Der Konzern beschäftigt sich seit mehr als einem Jahrzehnt auf fortschrittlicher Ebene mit dem Thema und hat enorm viel in lernfähige Algorithmen investiert. Und dann gibt es Unternehmen wie Amazon, die zwar nicht über ein eigenes Large-Language-Modell verfügen, aber über unglaubliche Datenmengen und Computing-Power. Sie sollten also in der Lage sein, KI-Lösungen anderer Anbieter zu adaptieren.

Sie sprachen eingangs von einer großen Zahl an Unternehmen als Profiteur des KI-Trends, bisher nehmen die Marktteilnehmer mit dem Chipdesigner Nvidia und den von Ihnen genannten Tech-Werten aber mal wieder nur eine kleine Anzahl an Titeln in den Blick. Wo liegt darüber hinaus noch Potenzial?

Zunächst einmal liegt der Fokus sicherlich zu Recht auf den Unternehmen, die ein KI-Wachstum erst möglich machen. Nvidia, Alphabet und Microsoft werden also auch weiterhin zu den großen Profiteuren gehören. Allerdings sehen wir lernfähige Algorithmen im Rahmen unseres US-Growth-Aktienportfolios als logische Fortsetzung eines Trends zur digitalen Transformation, der sich seit Jahren über viele Sektoren erstreckt. Und während der KI-Boom nach heutigem Maßstab vor allem die Vertreter der Halbleiter-, Software- und Cloud-Computing-Branche beflügelt, werden sich in den kommenden ein bis zwei Jahren auch Gewinner aus der traditionellen Industrie, der Energiebranche und dem Gesundheitssektor hervortun.

Welche konkreten Chancen sehen Sie für Pharma- und Healthcare-Unternehmen durch künstliche Intelligenz?

Pharmakonzerne werden KI beispielsweise nutzen, um Tests für Medikamente und Wirkstoffe effizienter zu gestalten. Durch Simulationen mittels Machine Learning können sie Kosten erheblich senken. Bisher beinhalten klinische Studien und Tests einen Aufwand von hunderten Millionen Dollar. Medikamente gegen Krankheiten, von denen nur zehntausende Patienten weltweit betroffen sind, finden damit gar nicht den Weg in die Entwicklung. Durch KI lassen sich jedoch potenziell tausende Modelldurchläufe gleichzeitig simulieren. Auch die Diagnosemöglichkeiten mittels KI sind hochinteressant. Wenn die Technologie bei Bluttests oder MRT ein erstes Screening erstellt, kann sie dem Arzt mögliche Beschwerdeursachen aufzeigen, an die er selbst vielleicht gar nicht gedacht hat. Im Anschluss ist der Mediziner immer noch in der Lage, die KI-basierte Diagnose anzupassen oder zu vervollständigen.

Gerade im medizinischen Bereich spielt die Datensicherheit jedoch eine große Rolle. Was bedeutet das in Realität für den Einsatz von KI im Healthcare-Sektor?

Es kommen sicherlich noch mehr regulatorische Vorgaben auf den Markt zu, die zwischen verschiedenen Wirtschaftsräumen auch voneinander abweichen werden. Das sorgt für eine gewisse Komplexität. Historisch gesehen ist Europa bei der Regulierung neuer Technologien Vorreiter gewesen, in Sachen Datenschutz- und Datensicherheitsrichtlinien ist die EU führend. Ich denke, dass sich dies fortsetzen dürfte. Die Aufsichtsbehörden werden den Fokus sehr stark darauf legen, den Einsatz von KI, ob in der Medizin oder anderswo, transparent zu machen.

Was heißt das?

Für Kunden muss beispielsweise klar sein, dass sie mit einem Chatbot interagieren und nicht mit einem realen Mitarbeiter. Wer eine KI-gestützte Diagnose erhält, muss auch wissen, wie diese zustande gekommen ist. Die große Furcht in Bezug auf KI ist, dass die Technologie verborgen im Hintergrund agieren und menschliche Arbeitnehmer mit ethischem Verständnis ersetzen wird. Transparenz ist also wichtig, um Vertrauen zu schaffen und eine große Bandbreite von KI-Anwendungen zu ermöglichen. Über die Zeit werden die Menschen KI stärker als Assistenten und Copiloten begreifen.

Nutzen denn auch Sie künstliche Intelligenz schon als Copiloten, zum Beispiel um Investmentideen zu generieren oder bestimmte Marktsegmente zu analysieren?

Wir verwenden die Technologie zunehmend häufiger für Proxy-Abstimmungen und ESG-Analysen. KI hilft uns, alternative Datensätze zusammenzustellen und auszuwerten. Wir probieren zudem ein paar KI-Anwendungen aus, die möglicherweise Potenzial für Assistenzfunktionen in der Portfoliosteuerung bieten. Allerdings ist eben ganz wichtig, dass KI ein äußerst nützliches Hilfsmittel sein kann, den Menschen aber nicht ersetzen wird. Unsere Analysten und Portfoliomanager sind ja nicht nur als Entscheidungsträger wichtig, sondern auch als Ansprechpartner für Kunden. Auch der Wert des persönlichen Kontakts zu CEOs und CFOs von Unternehmen, in die wir investieren, ist nicht zu unterschätzen.

Das Interview führte Alex Wehnert.

Das Interview führte Alex Wehnert.