IM INTERVIEW: MARTIN SIEGEL, STABILITAS

"Der Markt wird erkennbar gepusht"

Edelmetallexperte: Aktien von Goldminen haben noch Potenzial - 2 400 Dollar pro Unze denkbar

"Der Markt wird erkennbar gepusht"

Die Edelmetalle erleben einen Höhenrausch, der den Goldpreis erstmals über die Marke von 2 000 Dollar getrieben hat. Obwohl leidenschaftlicher Experte für Edelmetalle und Goldminenaktien, ist Martin Siegel alles andere als euphorisch. Seiner Einschätzung nach hat das Edelmetall nun den teuren Bereich erreicht. Herr Siegel, der Goldpreis bewegt sich in diesem Jahr im Steigflug nach oben und hat jetzt erstmals die 2 000-Dollar-Marke durchbrochen. Was treibt ihn?Angesichts der Negativzinsen mangelt es den Anlegern an Alternativen. In der Folge kommt es zu einer Bewegung in Sachwerte wie Gold oder eben auch Aktien oder Immobilien. Im Grunde genommen haben wir seit dem Jahr 2001 eine Flucht in Sachwerte, bei der manchmal Gold wie bereits in den Jahren bis 2011, in anderen Phasen aber Aktien oder Immobilien die Hauptziele sind. Alle Sachwerte haben seit 2001 deutlich zugelegt. Es ist einfach endlos Geld da. Angesichts der Wachstumsschwäche wird es nicht für Investitionen gebraucht, sondern muss angelegt werden. Gold, Immobilien und die Aktienbewertungen befinden sich auf Allzeithochs. Welche Rolle spielen die immensen wirtschaftspolitischen Impulse?Die Marktteilnehmer können sich auf die Zusage der Zentralbanken verlassen, jedes Defizit zu finanzieren, um das marode Finanzsystem am Leben zu erhalten. Die Fiskalpolitik pumpt Geld in die Wirtschaft, mit geringen Aussichten, dass die dadurch entstehenden Schulden zurückgezahlt werden. Offiziell wird zwar ein Plan für die Rückzahlung der Schulden aufgestellt. Aber die Anleger wissen, dass sie niemals zurückgezahlt werden. Wozu sollte man unpopuläre Sparmaßnahmen beschließen, wenn man doch Geld drucken kann? Die Zeche zahlen allerdings die Sparer und die Leistungsbezieher. Denn sie erhalten immer weniger für ihr Geld. Die Preise müssen angesichts der Geldflut irgendwann steigen. Muss man nicht auch von einem Misstrauensvotum angesichts der massiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen sprechen?Es ist klar eine Abstimmung mit den Geldbeuteln. Es ist kein Vertrauen in die Wirtschaft mehr vorhanden. Wie viel Luft hat denn der Goldpreis noch nach oben?Nachdem die psychologische Marke von 2 000 Dollar überwunden worden ist, finden diejenigen, die langfristig eingekauft haben, ein ideales Umfeld zum Verkauf ihrer Goldbestände vor. Die Situation ist ungefähr wie im Jahr 2011. Nach dem damals erreichten Rekordhoch von 1912 Dollar ging es vier Jahre lang abwärts. Man kann solche Zyklen spielen, und ich könnte mir vorstellen, dass es sich nun wiederholt. Aber wie hoch könnte der Goldpreis denn steigen?Ich habe seit Jahren einen Zielbereich von 1 700 bis 1 900 Dollar. Damit ist Gold jetzt leicht überbewertet. Die Goldminenbetreiber können jetzt ihre Produktion ausweiten, das heißt das Angebot erhöhen. Das höhere Angebot wird dafür sorgen, dass der Preis fällt. Noch wird es allerdings durch die Investoren überdeckt. Bei Goldpreisen über 1 800 Dollar wird langfristig die Produktion gestützt. Hinzu kommt, dass die Minengesellschaften auch das Geld haben, ihre Exploration auszubauen. Da der Goldpreis nun über die Schwelle von 2 000 Dollar gestiegen ist, müsste der Schwung stark genug sein, dass er auch über 2 100 Dollar klettert. Selbst ein Anstieg auf 2 400 Dollar ist denkbar. Der Markt wird nämlich erkennbar gepusht. Das sieht man daran, dass selbst Häuser nun aggressive Ziele bis 3 000 Dollar ausgeben, die sich zuvor wenig mit Gold beschäftigt haben. Droht demnach ein Rückschlag wie nach dem alten Rekord des Jahres 2011?Einen größeren Rückschlag kann ich mir durchaus vorstellen. Es ist ja auch die Frage zu stellen, ob die Inflation tatsächlich in absehbarer Zeit steigen wird. Angesichts der aktuellen Energiepreise kann man da Zweifel haben. In der langfristigen Perspektive ist es ein ungünstiger Zeitpunkt, Gold zu kaufen. Zwar könnten wir eine Übertreibung kriegen. Grundsätzlich ist Gold aber derzeit teuer. Haben Aktien von Goldminenbetreibern noch Potenzial?Die Goldminenbetreiber befinden sich in einer sehr guten Situation, die Aktien haben durchaus noch Bewertungspotenzial. Sie stehen sogar besser da als im Jahr 2011, weil nicht nur der Goldpreis hoch ist, sondern anders als damals die Energiekosten niedrig sind. Zudem sind die Aktien günstig bewertet. Sie haben Aufwärtspotenziale von zwischen 10 % und 50 %, ohne dass der Goldpreis weiter steigen müsste. Einige Unternehmen haben Dividendenrenditen um 4 %, manche tätigen Zukäufe. Meiner Meinung nach werden wir in der Branche noch höhere Bewertungen sehen. Welche Kriterien sind für Sie bei der Einzeltitelauswahl wichtig?In erster Linie achte ich auf die Gewinnfähigkeit eines Unternehmens. Es sollte Gewinne erwirtschaften und möglichst auch eine Dividende zahlen. Ferner sollte es in der Lage sein, seine Gewinne in den kommenden beiden Jahren zu steigern. Ferner achte ich auf die Reserven, das heißt darauf, ob die Goldgehalte der Reserven steigen oder sinken. Außerdem sollten die Kosten im Griff sein, wobei die Energiekosten besonders wichtig sind. Dividenden sind mittlerweile ein wichtiges Kriterium geworden, während früher kaum Dividenden gezahlt wurden. Zu beachten sind ferner politische Risiken. Welche sind das?Es gibt Länder mit besonders hohen politischen Risiken wie etwa Ecuador, das in der Vergangenheit die Goldsteuer drastisch erhöht hat. Generell muss man bei Goldförderern mit hohen Aktivitäten in solchen Risikoländern, zu denen auch Venezuela und Kolumbien oder auch afrikanische Staaten mit religiös motivierten Unruhen, die die Förderung beeinträchtigen können, zählen, vorsichtig sein. In Ländern wie Australien und Kanada gibt es solche Risiken dagegen nicht. Um für ein Engagement in Frage zu kommen, muss eine Aktie mit Aktivitäten in problematischen Regionen besonders attraktiv sein, was die Profitabilität oder die Bewertung betrifft. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.