Der Preis der Unsicherheit
Von Stefanie Holtze-Jen *)Proteste, Streiks und Unruhen beherrschen scheinbar das tägliche Medienbild. Doch der Devisenmarkt zeigt sich unbeeindruckt. Aber warum erreichen uns diese Nachrichten eigentlich gar nicht, obwohl uns die Berichterstatter im Minutentakt globale Neuigkeiten vor die Haustür bringen und uns mit spannenden Überschriften in ihren Bann ziehen wollen? Vielleicht weil wir ja die expansive Geldpolitik der Notenbanken haben, die uns fortlaufend versichern, dass sie sofort gegensteuern würden, sollten die Volkswirtschaften von solchen Neuigkeiten negativ beeinflusst werden. Und wenn dies nicht helfen sollte, wird die Fiskalpolitik mit in die Verantwortung genommen. Ist also alles gut? Dann wäre die derzeit rekordniedrige Volatilität an den Devisenmärkten eine angemessene Reaktion. Oder vielleicht doch nicht? Denn Entwicklungen, die bisher unter der Oberfläche gebrodelt haben, treten mittlerweile doch hie und da zutage. Chiles Peso auf RekordtiefNachdem die Proteste in Chile zur Absage des Asien-Pazifik-Gipfels im November und der Weltklimakonferenz im Dezember geführt haben, fiel nun auch die Währung auf ein Allzeittief. Die chilenische Zentralbank kündigte nach Abwertung der Landeswährung um 15 % zum Dollar seit Anfang November daher eine 20 Mrd. Dollar schwere Intervention am Devisenmarkt zur Stützung des chilenischen Peso an. Auch Brasiliens Währung ist in den vergangenen Wochen deutlich unter Druck geraten. Die brasilianische Notenbank reagierte mit einer überraschenden Intervention. Zwar profitieren viele brasilianische exportorientierte Unternehmen von der Kursschwäche der heimischen Währung, aber eine abrupte Abschwächung ist schlecht für die Stimmungslage am Markt und kann schnell zu einer Reallokation von Zuflüssen führen.Auch im Iran, in Ecuador, Argentinien, Bolivien und Hongkong brodelt es. Der gemeinsame Nenner der Proteste ist die Unzufriedenheit über soziale Ungerechtigkeit und zunehmende Perspektivlosigkeit der Bevölkerung. Im Umfeld einer sich global abschwächenden Wirtschaftsaktivität wird die Herausforderung, sozialen Ausgleich zu gewährleisten, jedoch immer größer.Die Devisenmärkte unterdessen wiegen sich dank der expansiven Politik der Zentralbanken in Sicherheit. Die Notenbanken, deren Spielraum freilich weiter schrumpft, rufen wiederum nach der Fiskalpolitik. Und der Mechanismus funktioniert. Auch dies beruhigt die Anleger.Das Umfeld niedriger Volatilität hat viele Investoren zu Käufen höher verzinslicher Währungen motiviert. Wie schnell das Zinsdifferential durch eine gegenläufige Währungsentwicklung ausgeglichen werden kann, zeigt sich nun wieder.Die aktuelle Risikoeinschätzung an den Märkten basiert auf der Erwartung einer Einigung im Handelskonflikt. Dabei warten wir seit fast acht Wochen auf die Teileinigung, die sogenannte “Phase eins” eines umfassenderen Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und China. Stand heute gibt es nicht einmal ein Datum und einen Ort, an dem das Abkommen besiegelt werden könnte. Einziger Anhaltspunkt ist der 15. Dezember. Hoffnung auf EinigungAn diesem Tag würden die angekündigten US-Zölle auf chinesische Importe wie Mobiltelefone, Laptops und Spielzeug im Wert von 156 Mrd. Dollar in Kraft treten. Im Vorfeld findet in China noch die Central Economic Work Conference (CEWC) statt, bei der das Thema der Auswirkungen des Handelskonflikts auf die lokale Wirtschaft im Mittelpunkt stehen wird. Deshalb besteht die Hoffnung, dass beide Seiten großes Interesse an einer Einigung vor dem 15. Dezember haben. Auch der unkontrollierte Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU), das zweite Sorgenkind der Marktteilnehmer, scheint mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewendet. Jedoch steht die Wahl des neuen Parlaments am 12. Dezember noch aus, und ein genauer Fahrplan kann noch nicht geschrieben werden. Notenbanken im FokusDie Monatsmitte hält mehr bereit. Am 11. Dezember entscheidet die Federal Reserve über die weitere Geldpolitik. Am 12. Dezember steht die erste Sitzung der Europäischen Zentralbank unter der neuen Präsidentin Christine Lagarde an. Am 12. und 13. Dezember findet der EU-Gipfel in Brüssel statt. Auf der Agenda stehen neben dem Klimawandel der langfristige EU-Haushalt und die Überarbeitung des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).Die Volatilität an den Devisenmärkten bleibt nur auf ihren Tiefstständen, wenn sich der Optimismus fortschreiben lässt. Enttäuschungen sind nicht eingeplant, und auch die zum Jahresende sinkende Liquidität und Handelsbereitschaft scheint teilweise ausgeblendet. Unsere Aufmerksamkeit jedoch ist geschärft, denn deutliche Währungsabwertungen hat es bereits in Chile und Brasilien gegeben, denen sogar mittels Interventionen Einhalt geboten werden musste. Es ist zu früh, sich in Sicherheit zu wiegen.Die weitere Entwicklung in Lateinamerika und bei anderen höher verzinslichen Emerging-Markets-Währungen muss im Auge behalten werden. Mittelabflüsse aus den Schwellenländern gingen zugunsten des Dollar. Positionierung im YenFür den Fall, dass sich das Bild am Markt eintrübt oder der illiquidere Markt am Jahresende für höhere Schwankungen sorgt, bietet es sich an, den japanischen Yen im Portfolio zu haben. Genauso wie der Schweizer Franken erfährt der Yen in unsicheren Zeiten Sicherer-Hafen-Zuflüsse und wertet auf. Sollte der Dollar bei Abflüssen aus Schwellenländern Zuspruch bekommen, wäre dies ein Argument für eine Positionierung im Yen oder Schweizer Franken gegen den Euro. *) Stefanie Holtze-Jen ist Chief Currency Strategist der DWS.