Serie: Börsenbetreiber im Beauty Contest (1)

Deutsche Börse hinkt im Marketing hinterher

US-Börsen ködern Unternehmen mit den Chancen eins Börsengangs, in Deutschland werden Anwälte mit Pflichtheften auf Kandidaten losgelassen. Warum es in Deutschland so wenige Börsengänge gibt – und was die Deutsche Börse dagegen unternimmt. Teil 1 im Beauty Contest der Börsenbetreiber.

Deutsche Börse hinkt im Marketing hinterher

Serie – Börsenbetreiber im Beauty Contest (Teil 1)

Deutsche Börse hinkt im Marketing hinterher

Globaler Delisting-Trend setzt Börsenbetreiber unter Druck – Wettbewerb unter Börsenplätzen nimmt zu

phh Frankfurt
Von Philipp Habdank, Frankfurt

US-Börsen ködern Unternehmen mit den Chancen eines Börsengangs, in Deutschland werden Anwälte mit Pflichtheften auf Kandidaten losgelassen. Warum es in Deutschland so wenige Börsengänge gibt – und was die Deutsche Börse dagegen unternimmt. Teil 1 im Beauty Contest der Börsenbetreiber.

Dass deutsche Sandalen aus Neustadt beim Gang aufs Börsenparkett lieber den weiten Weg in die USA antreten, anstatt die rund 150 Kilometer nach Frankfurt, war für die Deutsche Börse eine empfindliche Niederlage. Nicht finanziell. Das verlorene IPO-Mandat von Birkenstock an die New Yorker Stock Exchange (NYSE) kann die Deutsche Börse verschmerzen. Doch in der Außenwirkung hat der Börsenstandort Deutschland dadurch sicher nicht an Glanz gewonnen.

Weltweite Börsenflucht

Börsenbetreiber stehen unter Druck. Weltweit werden mehr Unternehmen von der Börse genommen, als neue an die Börse gehen. „Das ist kein deutsches Phänomen, sondern ein globales, mit Ausnahme der asiatischen Börsen, die weiterhin wachsen“, sagt EY-Partner Martin Steinbach, der das IPO-Geschäft des Wirtschaftsprüfers in Europa, dem Nahen Osten und Afrika leitet. In den westlichen Märkten reiche der Zugang neuer Emittenten nicht mehr aus, um die Abgänge zu kompensieren.

Gleichzeitig nimmt der Wettbewerb unter den Börsenbetreibern zu. Die Deutsche Börse konkurriert national mit über 10, in Europa mit 50 und weltweit mit 100 Börsenplätzen. Im Rahmen der Artikelserie „Börsenbetreiber im Beauty Contest“, beleuchtet die Börsen-Zeitung, was die größten Börsen unternehmen, um neue Unternehmen aufs Parkett zu locken. Steinbach zufolge wählen weltweit zwar immer noch 90% aller Unternehmen den Heimatmarkt als Börsenplatz. Doch allein darauf sollten sich Börsenbetreiber nicht verlassen.

Umtriebige US-Börsen

Insbesondere die beiden großen US-Börsen Nasdaq und Nyse sind im deutschen Markt sehr umtriebig. „Amerikanische Börsen wie die Nasdaq sind bei Wachstumsunternehmen viel präsenter, sie betreiben viel aktiveres Beziehungsmarketing, um potenzielle Börsenkandidaten für sich zu gewinnen“, sagt Eva Wiecko, die das Eigenkapitalmarktgeschäft der Investmentbank-Boutique Rothschild in Deutschland und Österreich leitet.

In der Ansprache der Amerikaner stehen die Chancen im Fokus. Hierzulande ist das anders: „In Deutschland informiert man sich häufig erst über den Anwalt, der dann über die Pflichten aufklärt, die auf das Unternehmen zukommen und erst dann spricht man über die Vorteile“, so Wiecko.

Zu wenig ausländische IPOs in Deutschland

Auch Steinbach beobachtet in Deutschland die Präsenz ausländischer Börsen. Die Euronext habe in Frankfurt mittlerweile sogar ein Büro und die Nasdaq und NYSE seien auf Konferenzen präsent. Allein, dass diese Börsenbetreiber hier unterwegs sind, wertet Steinbach als Signal, dass Deutschland ein attraktiver Markt ist. „Es liegt also offenbar nicht am mangelnden Potenzial, dass in Deutschland vergleichsweise wenige Börsengänge stattfinden“, sagt Steinbach.

Es liegt also offenbar nicht am mangelnden Potenzial, dass in Deutschland vergleichsweise wenige Börsengänge stattfinden.

Martin Steinbach, EY

Umgekehrt wünscht sich Wiecko von deutschen Börsen mehr Ambitionen im Ausland. „Als drittgrößte Volkswirtschaft sollten der Welt und größte Volkswirtschaft Europas sollten wir in Deutschland auch die Ambition haben, Unternehmen aus anderen EU-Ländern für ein Listing nach Deutschland zu holen“, sagt Wiecko. Wenn beispielsweise die schwedische Börse aufgrund der Stärke lokaler Investoren für Traton attraktiv genug für ein Dual Listing sei, dann müsse das für deutsche Börsenplätze ebenfalls möglich sein.

Umstrittene Zweitnotierung

Die Deutsche Börse führt ein Gegenbeispiel ins Feld. „Tui hat gerade ihr Zweitlisting aufgegeben und konzentriert sich nur noch auf Frankfurt“, sagt Stefan Maassen, Head of Capital Markets & Corporates. Ob eine Zweitnotierung sinnvoll ist, hänge von der Situation des Unternehmens ab. Insbesondere bei kleineren Unternehmen würde sich die Handelsliquidität häufig auf einen der beiden Handelsplätze konzentrieren. Darüber hinaus würde ein Dual Listing die Komplexität erhöhen, sowohl was die Berichtspflichten als auch die Regulatorik betreffe. Mit der Anzahl deutscher Börsengänge und dem globalen Delisting-Trend ist Maassen aber auch nicht zufrieden. Um das zu ändern, führe die Deutsche Börse viele Gespräche mit Emittenten, um über die Vorteile des Listing-Standorts Deutschland zu sprechen.

Darüber hinaus richtet die Deutsche Börse laut Maassen regelmäßig Workshops an, um Unternehmen kapitalmarktfähig zu machen. „Wir haben viele Initiativen, um Unternehmen zu zeigen, dass die höhere Sichtbarkeit durch einen Börsengang ein Vorteil ist“, sagt Maassen.

Initiativen der Deutschen Börse

Als Beispiel nennt er das Deutsche Eigenkapitalforum, über das die Deutsche Börse Unternehmen mit Investoren und auch Family Offices zusammenbringe. „Im vergangenen Jahr hatten wir auf dem Eigenkapitalforum 255 Emittenten, die ihre Equity Story präsentiert und über 3.000 Einzel-Meetings mit über 1.100 Investoren, Family Offices und Research Analysten geführt haben“, sagt Maassen.

Die Deutsche Börse bringe sich außerdem bei der Initiative für Wagnis- und Wachstumskapital für Deutschland ein – der sogenannten WIN-Initiative. Sie fokussiert sich laut Maassen auf die Investorenseite. Das ist auch nötig, denn Investmentbankerin Wiecko kritisiert, dass der deutsche Börsenplatz im Verglich zu den USA über weniger Kapital und vor allem weniger lokale Investoren verfüge.

Doch auch in den USA ist der Börsengang kein Selbstläufer. „Wenn ein Unternehmen wie Lilium in den USA an die Börse geht und die Aktie seitdem über 90% an Wert verloren hat, dann sieht man, dass auch ein Listing in den USA nicht zwingend eine gute Aktienperformance garantiert“, sagt Maassen. Und auch unter den Biotech-Unternehmen sei Biontech das einzige deutsche Unternehmen, das an der US-Börse momentan substanziell über dem IPO-Preis handle.

Nicht alles Gold, was glänzt

Maassen erkennt aber an, dass sich in den USA für Biotech-Unternehmen ein ganz anderes Ökosystem entwickelt hat. Dort gäbe es beispielsweise Wissenschaftlicher auf der Investoren- und Bankenseite, die diese Unternehmen und Industrien ganz anders angehen würden. In Deutschland müsse beispielsweise die Forschung und das wissenschaftliche Research stärker kommerzialisiert werden.

Was wir noch mehr machen können, ist die Vermarktung des Kapitalmarktes voranzutreiben.

Stefan Maassen, Deutsche Börse

Doch vor allem im Marketing kann sich die Deutsche Börse von ihren US-Konkurrenten noch etwas abschauen. Das sieht offenbar auch Maassen so: „Was wir noch mehr machen können, ist die Vermarktung des Kapitalmarktes voranzutreiben. Da sind wir schon dabei, aber hier haben wir noch Potenzial, mehr zu machen."

Börsen im Dilemma

Finanziell lukrativer ist für Börsenbetreiber anderes Geschäft. Die Erlöse aus dem Wertpapierhandel, der Wertpapierabwicklung und dem Daten- und Indexgeschäft sind in den Bilanzen der Börsenbetreiber deutlich höher als die reinen Listing-Gebühren. „Aber ohne Aktien schmilzt die Basis für die gesamte Wertschöpfungskette“, mahnt Steinbach.

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