„Die Anleiherenditen bleiben niedrig“
Kai Johannsen.
Herr Krämer, die Europäische Zentralbank (EZB) und die US-Notenbank gehen davon aus, dass die Inflation ein temporäres Phänomen ist. Teilen Sie diese Einschätzung?
Seit Jahresanfang haben die Märkte nur zwei Themen: den Pandemieverlauf und die Inflation. In diesem Jahr hat sich die Inflationsentwicklung deutlich beschleunigt, und die USA und Deutschland haben die höchsten Teuerungsraten seit Jahrzehnten. Dabei handelt es sich vielfach um Einmaleffekte wie etwa die CO2-Steuer oder bestimmte einmalige Nachholeffekte. Es gehören auch Basiseffekte dazu wie etwa die wieder angehobene Mehrwertsteuer oder die Energiepreise, die vorher stark gefallen waren. In Deutschland werden wir per Jahresende wohl bei einer Inflationsrate von 4,5% sein, in den USA sind es aktuell über 5%. Es deuten sich aber auch strukturelle Veränderungen an.
Und welche?
Wir haben über viele Jahre eine Disinflation erlebt aufgrund von Liberalisierungen und Rückzug des Staates etwa. Das ändert sich nun gerade. Durch expansive Geld- und Fiskalpolitik, demografische Veränderungen und den Kampf gegen den Klimawandel sehen wir Veränderungen bei der Teuerung. Die Inflation wird deshalb in den nächsten zwei Jahrzehnten steigen und über den bisherigen niedrigen Inflationsraten liegen, aber von den gegenwärtig hohen Raten kommen wir wieder ein Stück weit zurück.
Womit rechnen Sie in der Geldpolitik der Fed und der EZB in den kommenden Monaten?
Die Fed ist da weiter voraus, weil der Konjunkturaufschwung schon weiter ist als in der Eurozone. Deshalb steht die Fed auch allmählich davor, die Geldpolitik wieder zu verändern. Im August ist nun in den USA das Zentralbanktreffen in Jackson Hole, im September die nächste Fed-Sitzung. In den kommenden Wochen werden sich die US-Notenbanker wohl hinsichtlich eines Taperings äußern. Die EZB ist von diesem Schritt noch weiter weg, nicht zuletzt deshalb, weil wir in der Eurozone keine ernsthaften Inflationsgefahren haben. Deshalb hat die EZB auch keinen Grund, derzeit etwas an der Gangart zu ändern. Im März 2022 läuft PEPP aus, und ich gehe davon aus, dass diese Maßnahmen dann auch nicht mehr verlängert werden, es sei denn, wir bekommen neuerliche Probleme in der Pandemie. Aber das Programm wird wohl nicht einfach so auslaufen, sondern die EZB wird die Käufe im Rahmen anderer Programme fortführen, indem dort die Volumina erhöht werden.
Wann erwarten Sie denn die erste Leitzinsanhebung in den USA und in der Eurozone?
Das ist noch ein Stück weit weg. Die Fed wird erst mal die Käufe der Anleihen reduzieren. Die Märkte stellen sich darauf ein, dass es womöglich im zweiten Halbjahr 2023 zum ersten Zinsschritt kommen könnte. Bei der EZB gibt es diesbezüglich kaum eine belastbare Markterwartung. Bis 2024 gehe ich davon aus, dass die EZB überhaupt nicht an der Zinsschraube drehen wird.
Ist das Niedrig- und Negativrenditeumfeld an den Anleihemärkten somit die kommenden Monate weiterhin für Sie intakt?
Seit den achtziger Jahren sind die Bondrenditen in den USA durchgängig gefallen, nach einer vorangegangenen Phase höherer Renditen. Gegenwärtig kann man durchaus sagen, dass dieses Niedrigrenditeumfeld weiterhin vorhanden ist, eine wirkliche Zinswende haben wir nicht gesehen, und diese ist aktuell auch nicht zu befürchten. Die Marktzinsen sind aktuell auch unter Berücksichtigung der Renditesteigerungen im ersten Halbjahr historisch betrachtet weiter sehr niedrig. In den USA ist das Zinsniveau bei einer zehnjährigen Rendite von um die 1,2% und einer Inflationsrate von über 5% aber einfach zu niedrig. Deshalb glaube ich, dass die Zinsen sich ein Stück weit nach oben bewegen werden. Bei einer zehnjährigen Bundrendite von um die minus 0,5% und einer Inflationsrate per Jahresende von um die 4,5% kann man sich Bundesanleihekäufe eigentlich nicht mehr erklären – bei einer Realrendite von minus 5%. Summa summarum: Die Anleiherenditen bleiben niedrig, werden sich von diesen extrem tiefen Niveaus aber ein Stück weit nach oben absetzen. Eine Konsolidierung im Bullenmarkt, wenn man so will.
Wo sehen Sie denn die zehnjährige Bundrendite und die zehnjährige US-Staatsanleiherendite Ende dieses Jahres und Mitte 2022?
Bei einem angenommenen leichten linearen Anstieg könnte die zehnjährige US-Treasury-Rendite von aktuell 1,2% per Jahresultimo auf 1,5% heraufgehen. Mitte 2022 könnte sie dann bei um die 2% liegen. Bei der zehnjährigen Bundrendite könnte es von minus 0,5% auf minus 0,2% per Jahresende gehen und per Mitte 2022 auf 0%. In den USA sehe ich einen größeren Aufwärtsdruck als in der Eurozone wegen der besseren konjunkturellen Dynamik. Der Spread zwischen US-Treasuries und Bunds sollte sich demzufolge leicht ausweiten.
Sind Inflation-Linked Bonds für Anleger in diesem Umfeld eine gute Wahl? Für wen eignen sie sich?
Die Linker haben derzeit einen negativen Realzins. Der Kupon steigt im Zeitablauf mit der Inflationsrate an. Damit sind die Linker die einzige Assetklasse, die Anlegern eine 1:1-Absicherung gegen die eingetretene Inflation bieten kann. Wer also für die Zukunft an höhere beziehungsweise weiter steigende Inflationsraten glaubt, findet hier eine attraktive Assetklasse vor. Aktuell hat man aber einen negativen laufenden Zinsertrag, der Nominalwert ist auf Endfälligkeit betrachtet aber vor der Inflation geschützt. Wichtig ist hierbei die Break-even-Inflationsrate. Dies ist die Inflationsrate, die etwa in den kommenden zehn Jahren eintreten muss, damit man mit den Linkern den gleichen Zinsertrag erzielt wie mit herkömmlichen Bundesanleihen gleicher Laufzeit ohne Inflationsschutz. Dieser Break-even liegt in den USA momentan bei circa 2,5%. Wer also glaubt, dass die Inflation in den USA in der Zukunft während der Laufzeit des Linkers über 2,5% liegt, für den sind Linker ein interessantes Investment, wenn er den Linker per Endfälligkeit hält.
Sollten Anleger auf variabel verzinsliche Anleihen setzen?
Bei variabel verzinslichen Anleihen ist der Kupon bekanntlich an den Geldmarkt gekoppelt. Hier erfolgen quartalsweise oder halbjährliche Anpassungen des Zinses. Diese Papiere haben derzeit auch einen negativen Realzins. Die Floater bieten aber in einem steigenden Zinsumfeld einen gewissen Inflationsschutz, weil dann der Zins ja nach oben angepasst wird. Momentan liegen die Renditen bei auf Euro lautenden Floatern auch im negativen laufenden Renditebereich. Und bis die EZB mal die Zinsen anhebt und dann hier auch bei den Sätzen Anpassungen nach oben erfolgen, wird es wohl noch ein paar Jahre dauern, weshalb die Papiere aktuell für Anleger in der Eurozone nicht so attraktiv erscheinen. Dies ist nur attraktiv, wenn man sehr starke Inflationsängste hat und mit frühzeitigen Zinsanpassungen der EZB rechnet, die sich dann am Geldmarkt niederschlagen.
Wie sieht es mit Gold und Rohstoffen aus: Ist das gegenwärtig eine Alternative?
Das ist im Moment eine sehr attraktive Assetklasse. In der Inflationsentwicklung, die wir jüngst gesehen haben, steckt zu einem gewissen Teil auch die Entwicklung auf den Rohstoffmärkten drin. Das konnte man gut am Ölpreis sehen, der ausgehend von null Dollar beziehungsweise kurzzeitig sogar negativen Preisen in der Folgezeit sehr stark angestiegen ist. Das gilt auch für viele andere Rohstoffe wie etwa Kupfer oder Palladium. 2020 kam der Einbruch, danach der Wiederanstieg der Preise. Gold ist bekanntlich der klassische Inflationsschutz, allerdings ist dieser heute nicht mehr so gut wie zu Zeiten der sehr hohen Inflationsraten der siebziger Jahre, als hier quasi eine 1:1-Abdeckung des Goldpreises mit der Inflationsentwicklung erfolgte. Früher war Gold auch eine Währungsalternative zum Dollar, das hat sich im Laufe der Jahre aber immer mehr entkoppelt und besteht heute in dieser Form nicht mehr.
Wie sehen Sie die Perspektiven von Wandelanleihen?
Wandelanleihen sind im gegenwärtigen Umfeld eine sehr gute Investmentmöglichkeit, auch angesichts des unsicheren Inflationsumfelds, da man an der Aktienkursentwicklung nach oben partizipiert, aber bei Kursrückschlägen der Aktie durch den Bondcharakter geschützt ist. Man hat also ein asymmetrisches Chance-Risiko-Profil. Viele Technologieunternehmen aus den USA haben Wandelanleihen in der Refinanzierung eingesetzt. Das birgt ein gewisses Risiko, weil die Firmen oftmals nicht im Investment-Grade-Bereich benotet sind. Wer es risikoärmer möchte, sollte auf Investment-Grade-Wandelanleihen aus Europa gehen.
Das Interview führte