"Die Banken haben das Tal der Tränen durchschritten"
Der österreichische Aktienmarkt profitiert von der wirtschaftlichen Stabilisierung Russlands. Grund dafür ist das hohe Gewicht der beiden Großbanken Erste und Raiffeisen sowie von Immobilienunternehmen im Leitindex ATX, die alle ein starkes Standbein in Osteuropa haben. Bei den Banken sei die Talsohle durchschritten, sagt im Interview der Börsen-Zeitung Alois Wögerbauer, Manager des Österreich-Fonds beim Vermögensverwalter 3 Banken-Generali.- Herr Wögerbauer, der Wiener Leitindex ATX hat in diesem Jahr bereits rund 11 % an Wert gewonnen und damit den Euro Stoxx 50 als Leitindex der Eurozone überholt, der nur auf rund 9 % Plus kommt. Diese Rally hat der Wiener Börse Aufmerksamkeit verschafft. Wie würden Sie den Markt charakterisieren?Der Wiener Aktienmarkt ist sehr stark bankenlastig und rein zyklisch. Der ATX ist daher in seiner Struktur nicht mit dem Dax vergleichbar. Wenn Sie die beiden österreichischen Großbanken Erste Bank und Raiffeisen Bank International zusammenzählen, dann kommen Sie auf ein Marktgewicht von 22 bis 23 %. Würden in Frankfurt Commerzbank und Deutsche Bank mehr als 20 % des Dax ausmachen, so stünde er nicht da, wo er steht. Ein weiterer Punkt ist, dass andere Indexschwergewichte im ATX wie Immofinanz mit ihrem starken Osteuropa-Geschäft oder auch der Maschinenbauer Andritz oder der Stahlkonzern Voestalpine zyklische Werte sind. Im ATX fehlt vollkommen das defensive Element. Wir haben keine Novartis, Nestlé oder Bayer.- Im Zuge der Finanzkrise und der europäischen Staatsschuldenkrise haben sich Bankaktien im allgemeinen schlecht entwickelt. Das dürfte dann auch den Wiener Aktienmarkt belastet haben?Ja, die Bankenlastigkeit war der Hauptgrund für die Underperformance insbesondere der vergangenen beiden Jahre. Erste und Raiffeisen waren ohnehin durch das belastet, durch das man heutzutage als Bank belastet wird. Hinzu kommt das starke Osteuropa-Geschäft; so hat die Erste massiv Geld in Rumänien und Ungarn verloren. Das hat natürlich die Kurse und dementsprechend auch den Index belastet. Um es zu verdeutlichen: Die Aktie der Raiffeisenbank International stand vor der Lehman-Pleite 2008 bei gut 100 Euro, heute kostet sie nach einigen Kapitalerhöhungen, die man auch noch dazurechnen muss, gerade einmal etwas über 13 Euro.- Nun hat der österreichische Aktienmarkt in diesem Jahr gedreht. Was hat dazu geführt?Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens haben die Banken in der Kommunikation sehr gut gearbeitet, so dass wieder etwas Planbarkeit hineingekommen ist. Die Erste hat erklärt, dass sie alles abgearbeitet hat; entsprechend hat sie sich auch gut entwickelt. Raiffeisen hat sehr klar gesagt, dass die Situation zwar herausfordernd sei, man aber viele Pläne habe wie den Verkauf des Polen-Geschäftes. 2015 werde das Jahr der Restrukturierung sein. Für Raiffeisen ist allerdings der russische Markt sehr wichtig, von hier kamen in den vergangenen Jahren bis zu 80 % des Gewinns. Dennoch: Die Banken haben das Tal der Tränen durchschritten. Der zweite Grund für die Bodenbildung war, dass wir in Österreich sehr viele Immobilien-Aktien haben, die auch im Index enthalten sind. Es gab diverse Übernahme-Thematiken; so versuchte die Deutsche Wohnen vergeblich, die Conwert zu übernehmen. Die Übernahmespekulationen haben dazu geführt, dass wieder mehr internationale Investoren mit einem Auge auf Österreich schauen.- Sie haben das Thema Russland und Osteuropa angesprochen mit Blick auf Raiffeisen. Wie eng ist der ATX mit der geopolitischen Krise in der Ukraine korreliert?Ja, das ist er. Wobei ich sage: leider. Wir haben hier eine gewisse Oberflächlichkeit, die nicht neu ist. Internationale Investoren, insbesondere die Angelsachsen, sind sehr oberflächlich und – ich habe das selbst erlebt – geografisch nicht ganz sattelfest. Österreich wird von ihnen und auch von manchem Londoner Investor eins zu eins mit Osteuropa gleichgesetzt. Das ist ein emotionaler Effekt, der sachlich nicht korrekt ist. Sicherlich, die beiden Großbanken und auch die Immofinanz sind mit erheblichen Osteuropa-Thematiken ausgestattet. Ein Unternehmen wie Voestalpine ist aber in vielen Nischen erfolgreich und macht Geschäfte in aller Welt. Diese haben kaum mit der österreichischen Konjunktur zu tun und hängen auch nicht wirklich von Osteuropa ab. Die Oberflächlichkeit hat uns vor allem 2014 geschadet, als viele Investoren auf der Spitze der Ukraine-Krise gesagt haben: Alles, was nach Osteuropa riecht, meide ich, was zur deutlichen Underperformance des Wiener Marktes beigetragen hat.- Der russische Markt und der Rubel-Kurs haben zum Jahresbeginn ja ebenfalls gedreht. Dann dürfte dieses negative Sentiment doch aus österreichischen Aktien herausgehen.Ja, das ist es. Ich befürchte allerdings, dass uns diese Grundthematik erhalten bleiben wird – ob man das richtig findet oder nicht.- Die Oesterreichische Nationalbank hat kürzlich ihre Wachstumsprognose für das Land angehoben. Kommt jetzt die Aufholjagd zu Ländern wie Spanien, das derzeit eines der wachstumsstärksten OECD-Länder ist?Österreich hinkt derzeit dem Rest Europas bei der Wachstumsrate hinterher. Dabei muss man allerdings auch fair bleiben, denn es gibt gewisse Basiseffekte: Wenn ich in der Konjunkturdelle nach 2008 weniger verliere als Spanien, dann kann ich natürlich nicht so viel aufholen.- Was sind die Gründe für das geringere Wachstum?Wir haben in Österreich eine ziemlich intensive Diskussion über Regulatorien, nicht nur im Bankbereich, etwa auch über die geringe Flexibilität des Arbeitsmarktes. Aber letztlich ist das alles für die Wiener Börse ein Non-Event, weil die dort notierten Firmen Global Player sind. Deshalb ist der Einfluss der Konjunkturentwicklung in Österreich für die in Wien notierten Firmen überschaubar. Wenn überhaupt, dann ist die Konjunktur ein Sentiment-Thema.- Welche Anlagestrategie verfolgen Sie vor diesem Hintergrund als aktiver Fondsmanager?Mein Ansatz ist ein klassischer Stock-Picking-Ansatz mit massiven Abweichungen zum Index, wobei ich keine Positionen auf fallende Kurse eingehe. Ein gutes Beispiel ist die Erste Bank, die im ATX mit gut 15 % gewichtet ist. 2014 hatte ich sie mit nur 2 % im Fonds gewichtet, aktuell sind es rund 8 %. Ich betreibe aktives Management in Reinkultur: keine Derivate, keine Optionen, keine Futures. Dazu kommt eine erhebliche Beimischung kleinerer Werte. Es gibt in Österreich viele Small Caps etwa im ATX Prime unterhalb des ATX, die auf der europäischen Bühne gar nicht so wahrgenommen werden. Durch die regionale Nähe hat man als Fondsmanager dann Vorteile. Bei der Anlagestrategie gibt es im Vergleich zum Vorjahr erhebliche Veränderungen: Ich bin erstmals wieder in den Banken investiert, die auch wieder zu meinen Top-Holdings gehören. Der Buchwert des Eigenkapitals bei Raiffeisen liegt bei knapp 30 Euro je Aktie, der Kurs aber nur bei gut 13 Euro. Der zweite Schwerpunkt sind Immobilienaktien. Ich glaube, eine Immofinanz, eine CA Immo oder eine Buwog sind attraktiv, weil sie gut geführt sind. Die Aktien von Immofinanz und CA Immo liegen zudem unter ihrem Buchwert.- Welche Einzelaktien favorisieren Sie neben diesen beiden Branchenthemen?Austria Micro Systems produziert Chips für die Mobilfunkindustrie, aber auch für die Autoindustrie und Medizintechnik. Deshalb profitiert sie von der Digitalisierung der Wirtschaft. Ähnliches gilt für den Leiterplattenhersteller AT & S, ein tolles Unternehmen aus der Steiermark. Dann gibt es eine Porr, die sich im Baubereich neu aufstellt und Chancen durch das Thema Infrastruktur hat. Europa hat aus meiner Sicht nicht zu wenig Geld, sondern zu wenig Projekte. Von der Gewichtung her erhöhe ich derzeit Do & Co. Die Firma übernimmt das gesamte Catering während der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich 2016.- Von welchen Werten lassen Sie derzeit die Finger?Deutlich untergewichtet sind Öl und Versorger. Von der OMV bin ich schwer enttäuscht. Seit Jahren gelingt es ihr nicht, eine klare Strategie zu kommunizieren. Mal will man in der Türkei ins Geschäft kommen, mal wieder nicht. Dann sagt man, das Tankstellennetz bringt nichts, dann will man es doch wieder behalten. Ähnliches gilt für die beiden Versorger Verbund und EVN. Das ist ähnlich wie bei Eon und RWE in Deutschland. Die Versorger sind zu stark von politischen Einflüssen abhängig. Zudem sehe ich nicht unbedingt ein Geschäftsmodell, das mich überzeugt.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.