IM INTERVIEW: KIT JUCKES, SOCIÉTÉ GÉNÉRALE

"Die Erwartungen verändern sich"

Währungsanalyst rechnet mit einem Ende der Dollar-Aufwertung - China wird immer bedeutender

"Die Erwartungen verändern sich"

Der Dollar hat 2018 entgegen den Erwartungen vieler Marktakteure zum Euro deutlich aufgewertet. Doch diesem Trend werde die Luft ausgehen, auch wegen den Konsequenzen aus der extrem lockeren Geldpolitik der Regierung von US-Präsident Donald Trump. Warum der Euro vor einem Comeback steht und wie wichtig China für den Währungsmarkt geworden ist, erläutert im Interview der Börsen-Zeitung Kit Juckes, Analyst der Société Générale in London.- Herr Juckes, viele Marktakteure hatten für dieses Jahr mit einem schwachen Dollar gerechnet. Gerade in den vergangenen Wochen hat der Greenback jedoch deutlich aufgewertet und steht auf Jahressicht um rund 5 % gegenüber dem Euro im Plus. Was sind die Gründe für die Rally?Es gibt zwei Begründungen. Zunächst ist die US-Wirtschaft stark gewachsen, und die Renditen von US-Anleihen sind im Vergleich zu anderen Märkten gestiegen. Die US-Notenbank erhöhte durchgehend die Zinsen, und wenn sie im Dezember den vierten Zinsschritt in diesem Jahr unternimmt, wird sie die Geldpolitik stärker gestrafft haben, als viele Akteure erwartet hatten. Die US-Volkswirtschaft wurde zweifelsohne unterstützt von der fiskalischen Lockerung unter Präsident Donald Trump, während zu Jahresbeginn noch die Erwartung eines späten Zyklus in den USA und die Sorge vor sich ausweitenden Haushaltsdefiziten vorherrschte, was für den Dollar nicht positiv gewesen wäre. Kurzfristig profitiert der Dollar aber von der lockeren Fiskalpolitik. Außerdem profitiert der Dollar von der allgemeinen Schwäche der Schwellenländer, nachdem in der Vergangenheit die ultralockere Geldpolitik Kapital in Dollar-bezogene Anlagen überall in der Welt fließen ließ. Dieser Trend drehte sich in diesem Jahr um. Die Rückflüsse stärkten zusätzlich den Dollar.- Und wie sieht es auf der Euro-Seite aus?Der Markt war nicht nur sehr negativ für den Dollar in 2018 gestimmt, sondern auch sehr positiv für den Euro. Der Euro konnte die Erwartungen aber nicht erfüllen, wie sich auch an den jüngsten Konjunkturdaten aus Europa zeigte. Die Erholung in der Eurozone hat in diesem Jahr unter den Erwartungen gelegen. Statt Optimismus zum Wachstum gab es Pessimismus zur europäischen Politik: der Streit zwischen der Kommission und Italien über den Haushalt und die Schwäche der CDU in Deutschland.- Wird sich der Trend für den Euro – auch wegen der Erwartungen an die Geldpolitik und der langfristigen strukturellen Probleme der USA – im kommenden Jahr wieder drehen?Sobald sich die US-Wirtschaft abschwächt, wird dies angesichts des US-Haushaltsdefizits von einer Billion Dollar negativ für den Dollar sein. Die Haushaltspolitik von Präsident Trump ist wie eine Dose Red Bull: Sie verleiht für eine gewisse Zeit Flügel, aber am Ende kann es wehtun. Wir sehen in den USA einen Anstieg der Arbeitskosten bei nur geringem Produktivitätswachstum. Mit höheren Zinsen steigt der zweite Kostenfaktor für Unternehmen, und zusammen mit den höheren Kosten in Verbindung mit der US-Handelspolitik bringt dies eine Wende im Gewinnzyklus mit sich. Dies ist einer der besten Indikatoren für das Drehen des Konjunkturzyklus. Die Abschwächung der US-Wirtschaft wird also in einer Zeit erfolgen, in welcher der Dollar überbewertet ist und das Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit hoch sind. Das ist ziemlich negativ.- Haben die USA überhaupt noch Spielraum, im Abschwung ihr Haushaltsdefizit auszuweiten?Das Problem ist, dass es mit der Abkühlung wachsen wird – und bereits sehr groß ist. Die Vereinigten Staaten haben eine privilegierte Situation aus dem Status des Dollars, weshalb sie eine Haushaltspolitik betreiben können, die wir hier als unvernünftig bezeichnen würden. Das Problem für den Währungsmarkt ist, dass die Leute gut zwölf Monate zu früh skeptisch für den Dollar gestimmt waren. Wir stehen im Moment auf dem falschen Fuß.- Um in den USA zu bleiben: Wie wird das Land reagieren, wenn sich das Wachstum wegen des nachlassenden Fiskalimpulses abschwächt und gleichzeitig die Inflation steigt?Das kommt natürlich auf das Ausmaß an. Wir erwarten ein Lohnwachstum von 3 % – und das in einem Land ohne jegliches Produktivitätswachstum. Je stärker sich die Wirtschaft abschwächt, desto schwerer wird es für die Fed, auf steigende Preise zu reagieren. Ich denke, wir werden keinen dramatischen Zyklus bekommen. Die Fed versucht einiges zu ignorieren, aber der Lohnanstieg verkompliziert ihr Leben ein wenig.- Wie viele Zinsschritte der Fed im Jahr 2019 sind aktuell in den Dollar-Kurs eingepreist? Und was erwarten Sie?Der Dollar-Kurs reagiert auch darauf, was anderswo in der Welt passiert. Im Moment hat der Markt aber eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit eingepreist, dass der US-Leitzins in zwölf Monaten bei 2,75 %, also 75 Basispunkte höher als derzeit, liegen wird. Der Markt erwartet im Moment also keine Zinsen von 3 % in einem Jahr. Ich denke, dass es nicht so schnell gehen wird. Wichtiger als die Frage, ob es drei oder vier Zinsschritte geben wird, ist die Frage, was der Markt für die Zeit danach denkt, also wie die Geldpolitik im Jahr 2020 sein wird.- Wird der Zinserhöhungszyklus dann an Schwung verlieren?Ja, wir werden ganz klar in 2020 eine Abschwächung sehen. Die Fed selbst ist auch nicht sehr optimistisch, und das zeigt sich ja auch an der recht flachen Renditekurve.- Überträgt sich das in einen schwächeren Dollar? Und wann könnte es so weit sein?Sollte sich die Fed ihren Zinsprognosen, den Dots, annähern und den langfristig neutralen Zins erreichen, so dürfte dies nicht sehr viel Auswirkungen auf den Dollar haben. Wenn allerdings ein Zins von 3 % zu einer Rezession führt, dann würden wir einen schwächeren Dollar sehen. Viel wichtiger wird allerdings, wie sich die chinesische Geldpolitik entwickelt und was die Europäische Zentralbank tun wird. Die Eurozone ist wichtiger, aber China ist unsicherer, weil wir keinerlei Guidance erhalten.- Nach der jüngsten Pressekonferenz von EZB-Präsident Mario Draghi hat sich die Erwartung für einen ersten Zinsschritt von Spätsommer oder Herbst auf das Jahresende verschoben. Hat das den Euro jüngst bereits geschwächt?Der Euro ist aktuell schon am unteren Ende unserer Prognosespanne. Und es besteht die Gefahr eines weiteren Abrutschens, weil die Politik schwierig ist und jüngste Daten schwach waren. Das Problem ist, dass Europa stark vom Welthandel abhängt und leidet, wenn sich die Weltwirtschaft abkühlt oder der Handelskonflikt sich verschärft. In solch einem Umfeld würde es schwieriger werden, über den ersten Zinsschritt zu diskutieren. Die vom Markt angenommene Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung der EZB im September 2019 ist von 75 % zu Jahresbeginn auf aktuell 40 % gefallen. Man geht also eher von Oktober aus. Erinnern Sie sich, zu Jahresbeginn haben viele eine Zehnjahresrendite bei Bundesanleihen von 1 % vorhergesagt, und aktuell sind es um 0,4 %. Das erklärt, warum der Euro abgewertet hat.- Die Europäische Zentralbank – EZB – beendet aller Voraussicht Ende 2018 ihre Anleihekäufe. Wie wird sich dies auswirken?Andere Käufer müssen einspringen für Euro-Staatsanleihen. Das bedeutet, dass die Kapitalflüsse sich zum Vorteil des Euro verändern werden. Aber wenn die Wirtschaft damit nicht klarkommen kann, dann wird es keinen Unterschied machen.- Heißt das, es besteht die Erwartung eines anhaltend starken Dollar?Die Erwartungen verändern sich derzeit. Der Markt war in den spekulativen Positionen zuletzt sehr positiv für den Dollar und sehr negativ für den Euro gestimmt. Auch das europäische Bild ist derzeit mehr und mehr enttäuschend. Wenn man das zwölf Monate nach vorne denkt, so ist es kaum vorstellbar, dass das Bild für den Euro noch trübsinniger wird. Angesichts der derzeitigen Bewertung sollte es für den Euro positiv sein, wenn die EZB in den kommenden Monaten einen Zinserhöhungszyklus einleitet. Wenn das nicht passiert, werden wir zwölf Monate der Enttäuschung erleben.- Die Märkte haben bisher kaum darauf reagiert, dass Angela Merkel im Dezember nicht mehr als CDU-Vorsitzende antritt und nach der nächsten Bundestagswahl, also spätestens 2021, nicht mehr Kanzlerin sein wird. Welche Auswirkungen kann der Wechsel an der Spitze Deutschlands haben?Nun, wir hatten wenige deutsche Kanzler, seit ich ein Teenager war. Wir sind an Stabilität in Deutschland gewöhnt als eine Untermauerung des europäischen Projekts. Der Markt weiß noch nicht so recht, was er mit dieser Nachricht zu Angela Merkel anfangen soll, natürlich auch, weil sich die Politik ja noch nicht ändert. Der Wechsel an der Spitze Deutschlands wird dann zum Thema, wenn das nächste große politische Problem auftaucht. Man sollte nicht vergessen, dass wir in einem Jahr in einer Welt ohne Angela Merkel und Mario Draghi leben werden, weil dessen Amtszeit endet. Ein Grund für die Schwächung des Euro war ja auch die wachsende Unsicherheit über die politische Landschaft in Deutschland und in Europa insgesamt.- Schauen wir noch einmal auf den Dollar. Welche Konsequenzen hat dessen Stärke für die Schwellenländer?Historisch betrachtet haben Phasen eines starken Dollars die Schwellenländer-Investoren nicht erfreut. Ein Grund für den stärkeren Dollar ist ein Rückgang der Kapitalflüsse aus den Vereinigten Staaten heraus in Form von Dollar-Krediten an Schwellenländer. Die Fed verringert ihre Bilanz, und anstatt dass Investoren in Dollar-bezogene Anlagen außerhalb der USA anlegen, kommt das Kapital nun zurück. Darunter litten Länder mit hohem Leistungsbilanzdefizit wie die Türkei.- Welche Bedeutung hat hier China?Die chinesische Geldpolitik hat einen inzwischen viel größeren Einfluss auf die Währungsmärkte, als dies global anerkannt wird. Der Yuan hat den größten Anteil am handelsgewichteten Währungskorb sowohl der EZB als auch der Fed, und für Länder wie Australien oder Korea ist er unter Handelsgesichtspunkten noch wichtiger. Meiner Einschätzung nach stärkt es auch den Dollar, dass die chinesischen Behörden den Yuan sich weiter abschwächen lassen könnten.- Würde eine Verschärfung des Handelskonflikts zwischen den USA und China – zuletzt kamen aus Washington Drohungen mit noch höheren Zöllen – den Yuan schwächen?Schauen Sie, es ist sehr schwierig, die chinesische Geldpolitik vorherzusagen. Aber: Die chinesische Volkswirtschaft schwächt sich ab und der Leistungsbilanzüberschuss schrumpft. Wenn ich für den Yuan verantwortlich wäre, würde ich ihn angesichts einer sich abschwächenden Wirtschaft und des Handelsstreits schwächen. China wird versuchen, eine Phase der Stabilität im Kurs zu haben, aber mir erscheint es unausweichlich, dass der Dollar im ersten Halbjahr 2019 gegenüber dem Yuan an Wert gewinnt.- Als es letztes Mal eine starke Bewegung im Dollar-Yuan-Kurs gab, schoss die Volatilität an den Kapitalmärkten hoch. Besteht also das Risiko von Kursverlusten?Im Moment sehen wir eine langsame Yuan-Abwertung, die aber in Verbindung mit der Volatilität an den Aktienmärkten gesehen wird. Würden die Chinesen jetzt den Yuan deutlich abwerten lassen, hätten wir schwierige Weihnachten.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.