Die hohe Kunst des Anti-Mainstream

Contrarian-Investments sind nach langen Marktzyklen reizvoll - Anleger tun sich schwer mit der Strategie

Die hohe Kunst des Anti-Mainstream

Contrarian-Strategien sind unter Vermögensverwaltern dünn gesät. Reglements, Konventionen oder Bequemlichkeit lassen oft eine Strategie, die sich möglichst nahe an Benchmarks orientiert, als bessere Alternative erscheinen. Gerade in Spätphasen ausgeprägter Aufwärtsbewegungen kann sich das rächen.Von Dietegen Müller, FrankfurtContrarians sind Investoren, die früh und mutig einsteigen, oder allgemeiner formuliert: Positionen in Phasen der Marktentwicklung ergreifen, die von der Masse der Investoren nicht geteilt werden. Als besonders einträglich gelten Contrarian-Investments in Phasen, in denen die Preisentwicklung am Markt selbst zum Thema geworden ist. Sie sollten also nicht dem Herdentrieb und damit womöglich dem Fehlverhalten einer breiten Masse an Investoren folgen.Derzeit deutet viel darauf hin, dass sich die Aktienhausse schon in fortgeschrittenem Stadium befindet. Doch fehlen klare Zeichen einer kollektiven Euphorie – zu groß sind nach den Erfahrungen der Finanzkrise wohl immer noch schmerzliche Erinnerungen. Dies dürfte die Risikobereitschaft dämpfen, auch wenn die Bewertungen nach gängigen Maßstäben bereits hoch erscheinen.Deshalb ist es nicht so eindeutig, dass im derzeitigen Marktumfeld Contrarian-Strategien das Allheilmittel gegen künftige Verluste bieten. Auch wäre die Wahrnehmung des Contrarian als Marktteilnehmer, der grundsätzlich nur Gegenpositionen einnimmt, zu verkürzt. Denn aktive Investoren haben immer einen gewissen Grad an Gegenläufigkeit zum Markt, sonst würden sie reine Indexreplizierung machen – ein Vorwurf, der vielen aktiven Managern allerdings gerade gemacht wird. Contrarians gelten aber innerhalb des Spektrums “aktiver” Manager eher als Randerscheinung. Stephen Anness und Andy Hall, zwei Fondsmanager des US-Fondsriesen Invesco, halten Contrarians trotzdem in einem Diskussionspapier vier Qualitäten zugute: den Willen, bestehende Weisheiten herauszufordern und idealerweise zu widerlegen, zweitens die Fähigkeit, weiter zu sehen und Kreativität und Einfallsreichtum zu zeigen, drittens das Bedürfnis, Ungenauigkeiten in vorherrschenden Paradigmen zu erkennen sowie viertens standhaft eine Position gegen die Meinung der Mehrheit zu vertreten. Anness und Hall raten zu einem “disziplinierten und rigorosen Vorgehen” und nicht zu einem “unfokussierten grundsätzlichen Infragestellen”. Bewertungsfragen zentralEin Ansatzpunkt für Contrarians sind Bewertungsfragen. Entscheidend sei, sich nicht nur auf “günstige” Unternehmen zu beschränken. Es gelte auch, zwischen “günstig” und “unterbewertet” zu differenzieren, was eine tiefgehende Kenntnis des Geschäfts und der Dynamik in der Industrie voraussetze, schreiben Anness und Hall. Eine breite Spanne an Faktoren sei zu berücksichtigen: der Mittelzufluss, der Wert der Vermögenswerte im Verhältnis zur Anzahl der Aktien, die Kapitalrendite im Vergleich zu den Kapitalkosten, die Fähigkeit, Gewinnwachstum zu erzielen, die Qualität des Management-Teams sowie das Verbesserungspotenzial, sei es durch eigene Kraft oder Eingriffe des Managements. Auch sei zur Vermeidung von einseitigen Ausrichtungen in bestimmten Bereichen ein weltweiter Blick stets vonnöten – ein gewisser Grad an Weltläufigkeit sollte echten Contrarians also zu eigen sein.Prominente Vertreter dieser Spezies sind unter anderem Hedgefonds und angelsächsische Vermögensverwalter. Der US-Investor Oaktree Capital setzt gezielt auf Contrarian-Ansätze und hat sich in Deutschland einen Namen gemacht, indem er in der Reederei-Krise im Jahr 2009 in Beluga Shipping (heute Hansa Heavy Lift) investiert hatte. Oaktree schreckt vor Investments in am Rande der Insolvenz stehende Unternehmen nicht zurück. Mit Beluga hatte Oaktree keine glückliche Hand: Es kam zu einem Gerichtsverfahren gegen Ex-Beluga-Eigner Nils Stolberg wegen Kreditbetrugs, das Verfahren läuft noch. Breite Auswahl an FondsEin Contrarian ist auch Julian Robertson, der seinen Tiger Fund im Jahr 2000 schließen musste, weil er in der Tech-Bubble zu früh gegen die Technologietitel gewettet hatte – seine Einschätzung hat sich später als zutreffend erwiesen. Kürzlich hatte sich Robertson zum US-Biotech-Sektor geäußert und – noch vor der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten – eine Einstiegsgelegenheit gesehen. Die Titel hatten nach kritischen Äußerungen von Hillary Clinton zu exzessiven Preisen im Spezialpharmazeutika-Markt verloren.Seit der Wahl Trumps hat der Nasdaq-Biotech-Sektorindex rund ein Fünftel an Wert gewonnen. Contrarian-Fonds können über längere Zeit deutlich schlechter als der breite Markt abschneiden. Die Streuung des Anlageerfolgs ist breit. Die Deutsche Asset Management (DWS) hatte eine Zeit lang den Deutschen Invest II Global Contra Strategy auf dem Markt, der aber klein blieb und 2016 wieder aus dem Handel genommen wurde. Anfang 2016 hatte der Fonds noch in Rohstoffwerte wie Freeport McMoran, aber auch in Blue Chips wie Verizon, AT & T, Philip Morris oder FMC investiert.Auch Michael Hasenstab von Franklin Templeton gilt als ein Contrarian-Investor, vor allem im Anleihensegment, wo er mit seinem Engagement in der Ukraine jedoch wenig Glück hatte. Abgesehen von Invesco, die über Powershares eine Contrarian-Strategie anbietet, hat etwa die Fondsgesellschaft Threadneedle einen Contrarian-Fonds auf US-Large-Caps aufgelegt, in dem Apple, Citigroup, J.P. Morgan und Alphabet sowie Microsoft derzeit die Top-Positionen sind. Schroder ist mit dem Recovery Fund im Rennen, und Newton Real Return, Dreman Value Management und Investec bieten ebenfalls Contrarian-Strategiefonds an.Eine Nummer kleiner ist der auf europäische Werte spezialisierte Fonds des Bad Homburger Fondsanbieters Fidecum, der unter anderem auf Alstom, Eni, Renault, Axa, Aegon, Salzgitter und Crédit Agricole setzt. Der Indexanbieter Russell bietet zudem Russell Fundamental Indexes an, die sich auf andere Gewichtungen stützen als die Marktkapitalisierung und deshalb gleich auch als “Contrarian”-Substrat für Exchange Traded Funds gehandelt werden. BlackRock Gold and General setzt wiederum auf Goldminentitel, eine von Contrarians gern vereinnahmte Spielwiese.