US-Dollar

Die Inflation hilft der amerikanischen Währung

Die Inflation in den USA könnte in den kommenden Monaten rascher fallen als derzeit erwartet. Das würde den Dollar drücken.

Die Inflation hilft der amerikanischen Währung

Von Ulrich Leuchtmann*)

Am Devisenmarkt geht’s derzeit vor allem um ein Thema: Wie reagieren die Zentralbanken auf den deutlichen Inflationsschub, den wir derzeit fast überall auf der Welt sehen? Die Haltungen dazu sind sehr unterschiedlich.

Die Norges Bank und die Reserve Bank of New Zealand haben bereits ihre Zinsen angehoben. Dort verharren die Leitzinsen schon nicht mehr auf coronabedingten Extremniveaus. Und beide Zentralbanken deuteten an, dass weitere Zinserhöhungen folgen dürften.

Andere Zentralbanken signalisieren bereits Zinserhöhungen für die nahe Zukunft. So warnte Andrew Bailey, Gouverneur der Bank of England, jüngst davor, dass die Inflation im Vereinigten Königreich „sehr schädlich“ werden könne, wenn die Bank of England nicht rasch die Zinsen anheben würde. Ein deutliches Signal an den Markt, der in der Folge darauf wettete, dass die Bank of England noch in diesem Jahr, spätestens aber Anfang 2022 den „Lift-off“ (die erste Zinserhöhung) wagen könnte.

Für die Fed wird dieser Schritt für Ende 2022/Anfang 2023 erwartet. Auch diese Erwartung wurde von der Fed geschürt. Zuletzt hatte bereits die Hälfte der Mitglieder des Offenmarktausschusses prognostiziert, sie würden schon 2022 den Lift-off durchführen. Und selbst für die EZB, von der viele noch vor kurzem erwartet hatten, dass sie ihre Negativzins-Politik bis in alle Ewigkeit fortsetzen würde, preist der Markt derzeit Zinserhöhungen für Ende 2022/Anfang 2023 ein und einen positiven Einlagensatz (den De-facto-Leitzins) ab 2025.

Freilich kann der Euro von dieser neuen EZB-Erwartung nicht profitieren. Im Gegenteil. Im Vergleich zu dem, was von der Fed und von anderen Zentralbanken erwartet wird, wäre selbst solch eine relativ schnelle Normalisierung der EZB-Zinsen spät bzw. langsam. Späte und langsame Zinserhöhungen werden der EZB vom Devisenmarkt aber nicht mehr so schnell verziehen wie noch vor kurzem. Noch Anfang September ging der Markt davon aus, dass die Inflation im Euroraum im kommenden Jahr wieder deutlich unter das EZB-Ziel fällt. Diese Sicht hat der Markt aufgegeben. Er erwartet mehr Inflation. Und mehr erwartete Inflation, die nur unterproportional mit höheren Zinsen kompensiert wird, ist schlecht für eine Währung am Devisenmarkt. Weil ihr Kaufkraftverlust nicht durch entsprechend höhere Zinsen ausgeglichen wird.

Da wundert es nicht, dass der Euro im G10-Universum seit An­fang September zusammen mit dem Yen die schlechteste Performance aufweist. Und es liegt nahe, anzunehmen, dass zumindest keine wesentliche Erholung des Euro ansteht. Denn aus der EZB sind derzeit vor allem beschwichtigende Töne vernehmbar, die darauf hinweisen, dass ein Lift-off Ende 2022/Anfang 2023 nicht mit deren „Forward Guidance“ vereinbar sei. Schließlich betont die EZB stets, dass die erste Zinserhöhung erst nach Ende der regulären Wertpapierkäufe ansteht. Dass die bis Ende 2022 komplett zurückgefahren werden, erscheint unwahrscheinlich. Denn was diesbezüglich aus EZB-Kreisen berichtet wird, geht ganz und gar nicht in diese Richtung. Wie lange die Euro-Schwäche anhält und wie weit sie sich fortsetzt, ist somit vor allem davon abhängig, ob das Inflationsbild des Marktes zutrifft. Würde z. B. in den USA die Inflation schneller und vor allem tiefer fallen, als derzeit vom Markt erwartet wird, käme die Erwartung rascher Fed-Zinserhöhungen wieder ins Wanken. Dann wäre es schnell vorbei mit der Dollar-Stärke.

Für solch ein Szenario spricht, dass eine wesentliche Ursache für die inflationstreibenden Angebotsengpässe in den USA bereits deutlich nachlässt: die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern. Deren Nachfrage war in Coronazeiten sprunghaft angestiegen. Weil die US-Haushalte weniger Dienstleistungen konsumieren, haben sie nicht nur mehr gespart, sondern auch mehr dauerhafte Konsumgüter nachgefragt. Keine Lieferkette dieser Welt war für den beispiellosen Anstieg dieser Nachfrage gerüstet. Die Folge sind Lieferengpässe allerseits. Nicht nur für diese Güter selbst, sondern auch für deren Vor- und Vorvorprodukte. Nun fällt diese Nachfrage wieder. Und sie könnte noch deutlich weiter fallen. Denn die Eigenschaft dauerhafter Konsumgüter ist ja, dass sie weit über ihren Anschaffungszeitpunkt hi­naus Nutzen stiften. Die dauerhaften Güter, die in den letzten Monaten angeschafft wurden, müssen so schnell nicht noch mal nachgefragt werden. Es sollte nicht überraschen, wenn sich Lieferengpässe wieder rasch auflösen, ja stellenweise in Überangebot umschlagen.

Rascher Fall möglich

Wir werden es wohl noch nicht in den US-Inflationszahlen für September sehen, die morgen veröffentlicht werden. Und vielleicht auch noch nicht in den nächsten Monaten. Aber irgendwann in nächster Zeit könnte die Inflation rascher fallen, als vom Markt angenommen wird. Und dann ginge es wieder zurück mit Zinserhöhungserwartungen und Wechselkursen: Dollar-Schwäche und Euro-Erholung wären dann angesagt.

Der US-Arbeitsmarktbericht von letzter Woche zeigte erneut, dass die Partizipationsrate (der Anteil der Amerikaner im erwerbsfähigen Alter, die am Arbeitsmarkt teilnehmen) keine Anstalten macht von derzeit niedrigen Niveaus (61,6%) auf Vor-Corona-Niveaus (um 63,4%) zurückzukehren. Hier scheint ein dauerhafter Wandel stattgefunden zu haben. Und dieses Phänomen ist keineswegs auf die USA oder auf entwickelte Industrienationen beschränkt. So wird z. B. aus Vietnam berichtet, dass Industriebeschäftigte massenweise in die ländlichen Regionen ihrer Familien zurückkehren und der Exportindustrie zumindest auf absehbare Zeit verloren zu gehen scheinen.

Es scheint, als hätte die Pandemie allerorts das Arbeitsangebot reduziert. Ich will nicht den Hobby-Soziologen spielen und über mögliche Erklärungsansätze spekulieren. Wichtig ist an dieser Stelle lediglich: Auch das muss kein Effekt sein, der für alle Ewigkeiten anhält. Aber er könnte weitaus persistenter sein als die bisherige exorbitante Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern. In den USA sehen wir die Wirkungen ganz besonders bei der Zahl der unbesetzten Stellen. Diese sind in den letzten Monaten auf beispiellose Höchststände geklettert.

Eine hohe Zahl offener Stellen und ein reduziertes Arbeitsangebot sind der ideale Nährboden für Inflation. Lässt die inflationstreibende Nachfrage allerdings weiter nach und lösen sich Angebotsengpässe auf, besteht selbst bei geringerem Arbeitskräfteangebot kaum Anlass für Lohn-Preis-Spiralen. Dann wird sich im verarbeitenden Gewerbe auch die Nachfrage nach Arbeitskräften reduzieren. Und dann wird’s nichts mit inflationären Lohn-Preis-Spiralen. Das heißt: Zwar scheint der Zustand des US-Arbeitsmarktes derzeit die Dollar-Stärke zu unterstützen. Bricht allerdings der ungewöhnliche Nachfrageimpuls weiter weg, fehlt eine für diese Sichtweise notwendige Bedingung. So schnell wird das wohl nicht passieren. Die Inflation ist ein relativ träger Prozess. Und daher ist zunächst mit weiterer Dollar-Stärke und Euro-Schwäche zu rechnen. Allerdings mag 2022 eine Gegenbewegung einsetzen.

*) Ulrich Leuchtmann ist Leiter des Devisen-Research der Commerzbank.