IM INTERVIEW: GREGOR HOLEK, RAIFFEISEN CAPITAL MANAGEMENT

"Die Lira ist eine Katastrophe"

Fondsmanager: Potenzial des türkischen Aktienmarkts trotz niedriger Bewertungen begrenzt

"Die Lira ist eine Katastrophe"

Die politischen Turbulenzen in der Türkei sorgen dafür, dass Investoren einen Bogen um das Land machen. Während die Lira abgesackt ist, hält sich der Aktienmarkt allerdings noch vergleichsweise stabil. Die Bewertungen des Markts sind sehr günstig, wie Gregor Holek, Fondsmanager der Raiffeisen Capital Management ausführt. Er glaubt aber, dass das Aufwärtspotenzial bis auf weiteres von der unruhigen politischen Lage begrenzt wird.- Herr Holek, wie beurteilen Sie die politische Entwicklung der Türkei, und was bedeutet sie für den Aktienmarkt des Landes?In den zurückliegenden beiden Jahren ist in der Türkei viel passiert. Denken Sie nur an die Krise mit Russland nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets, die Parlamentswahl im Sommer 2015, die nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen wiederholt werden musste, an den nicht ganz freiwilligen Rücktritt von Premierminister Davutoglu im Frühjahr 2016, und insbesondere an den gescheiterten Staatsstreich im Juli dieses Jahres. Die Märkte haben vor diesem Hintergrund begonnen, Schritt für Schritt die Risikoprämien für die Türkei zu erhöhen. Das Land war lange der Liebling der Märkte, aber nun ist die Lage für die Investoren sehr schwierig geworden.- Was wird Ihrer Einschätzung nach als Nächstes geschehen?Der nach dem Putschversuch verhängte Ausnahmezustand ist bis Januar verlängert worden. Es würde uns nicht überraschen, wenn er auch mittelfristig erhalten bleibt. Die Folge ist, dass die Gesetzgebung am Parlament vorbei erfolgt, was aus demokratischen Erwägungen sehr bedenklich ist. Der Druck auf Medien und Intellektuelle hat massiv zugenommen. Massenentlassungen im Bildungsbereich, unter Richtern und Polizei haben nie dagewesene Ausmaße erreicht. Die Spaltung der Bevölkerung schreitet fort, und der Konflikt mit den Kurden hat an Intensität zugenommen.- Wie beurteilen Sie das Vorhaben, ein Präsidialsystem einzuführen?Die Einführung eines Präsidialsystems war auch schon vor dem Putsch Erdogans wichtigstes innenpolitisches Ziel. Tatsache ist das Erdogan schon bereits heute weit über seine verfassungsrechtlichen Befugnisse agiert, das heißt, es geht letztlich um eine Anpassung der Verfassung an die Realität. Noch ist der Verfassungsentwurf nicht bekannt, doch scheint sicher, dass die Befugnisse des Präsidenten sehr weitreichend sein werden.- Kann Erdogan sein Ziel auch durchsetzen?Für die Verfassungsänderung benötigt Erdogan eine Mehrheit von 330 aus insgesamt 550 Stimmen im türkischen Parlament. Da die AKP nur 316 Sitze verfügt braucht Erdogan die Hilfe der rechtskonservativen MHP, um seine Pläne umzusetzen. Man scheint sich aber auch schon geeinigt zu haben, so dass die notwendigen Stimmen wohl erreicht werden. Anschließend folgt ein Referendum über die Einführung des Präsidialsystems. Dass auch die Bevölkerung zustimmt, ist wahrscheinlich. 60 bis 70 % der Bevölkerung sind religiös beziehungsweise konservativ eingestellt. Die neue Verfassung soll 2018 in Kraft treten. Legislaturperiode sind fünf Jahre. Präsident Erdogans politischer Planungshorizont reicht also bis ins Jahr 2028.- Was wird mit den EU-Verhandlungen geschehen?Bezüglich der EU-Verhandlungen ist keine klare Linie der türkischen Regierung erkennbar. Der Abbruch der Verhandlung sowie die angekündigte Einführung der Todesstrafe sind unserer Meinung nach nur Drohungen. Der Abbruch der Verhandlungen würde der Türkei keinen Gewinn bringen. Weder dafür noch für die Todesstrafe wird Erdogan die geschlossene Unterstützung seiner Partei erhalten.- Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Lage?Die Wirtschaft der Türkei hat einen kräftigen Dämpfer erhalten. Zum Jahresbeginn gingen wir noch von einem Wachstum von 4,5 % aus. Nach dem Staatsstreichversuch hat sich die Lage deutlich eingetrübt. Die Inlandsnachfrage ist stark zurückgegangen, die Banken fahren die Kreditvergabe zurück, Unternehmen und Konsumenten verschieben Investitionen bzw. Anschaffungen. Nun rechnen wir eher mit einem Wachstum von 2 % nach 4 % im zurückliegenden Jahr. Für ein dynamisches Land wie die Türkei ist das sehr wenig.- Was sagen Sie zum Verfall der Lira?Die Lira ist gelinde gesagt eine Katastrophe. Der Verfall der Lira ist natürlich auch ein Ausdruck der Risikoaversion. Ausländische Portfolioinvestoren verkaufen, und auch türkische Firmen und Private wechseln ihren Cash in Fremdwährung. Damit bleibt der Druck auf die türkische Lira hoch – insbesondere da die türkische Zentralbank nicht genug Fremdwährungsreserven hat, um den Markt zu stützen. Hinzu kommt die Unsicherheit über die Geldpolitik. Die Regierung hat bereits im Sommer erkannt, dass die wirtschaftliche Lage schwieriger wird. Sie braucht mehr Wachstum, um die Wähler bei der Stange zu halten. Daher hat sie die Zentralbank “ermutigt”, den bereits im Vergleich zur Inflationsrate niedrigen Leitzins zu senken. Da die Währung unter Druck gekommen ist, musste die Zentralbank nun aber den Leitzins anheben, um gegenzusteuern.- Droht durch Zweifel an der Unabhängigkeit der Notenbank nicht ein zusätzlicher Vertrauensverlust bei den Investoren?Dass eine Zentralbank unter Druck gesetzt wird, ist normal, das geschieht weltweit. Gerade wir in der Finanzbranche haben immer sehr deutlich ausgeprägte Wünsche und Erwartungen an Zentralbanken. Die Frage ist aber, ob man sich dem Druck auch beugt und damit die Unabhängigkeit der Zentralbank ausgehebelt wird. Ich würde nicht sagen, dass es in der Türkei schon so weit ist – aber die Einflussnahme der Politik ist zweifellos sehr besorgniserregend.- Warum ist der türkische Aktienmarkt bislang so stabil geblieben?Der Aktienmarkt ist in der Tat überraschend robust. In der Landeswährung ist der türkische Leitindex seit Jahresbeginn 5 % im Plus. Als Euro-Investor muss man allerdings 10 % Währungsverlust einrechnen. Dennoch, per saldo – 5 % hätte man in einem Szenario mit einem Putschversuch anders erwarten können. Der Hauptgrund ist, dass die Wirtschaft noch relativ gut läuft und die Unternehmen noch gute Gewinne erwirtschaften. Die Bewertungen sind auf ein historisch niedriges Niveau gesunken, der Abschlag zu den globalen Emerging Markets liegt bei rund 35 %. Damit ist bereits vieles eingepreist, es sei denn, es kommt zu einem weiteren starken Fall der Währung. Unserer Einschätzung nach gibt es aber kein großes Aufwärtspotenzial, weil die Investoren nicht bereit sind, das Risiko Türkei einzugehen.- Wie sind Sie positioniert?Mit einem Anteil von nahezu 15 % ist die Türkei in unserem Fonds das zweitwichtigste Land hinter Russland, das mit ca. 50 % gewichtet ist. Derzeit sind wir bezüglich der Türkei hin- und hergerissen. Sehr attraktive Bewertungen und sehr gute Firmen bedeuten, dass man rein fundamental betrachtet zugreifen müsste. Ich bin aber skeptisch, dass der Markt in der nächsten Zeit bereit sein wird, die Risikoprämie zu reduzieren. Der Vollzug der geplanten Einführung des Präsidialsystems, ein Ende des Ausnahmezustands und die Fortsetzung der EU-Beitrittsverhandlungen wären wichtig Punkte für eine Veränderung der Investorenhaltung. Derzeit schrecken sie die Anleger noch ab.- Welche Segmente und Einzelwerte würden Sie meiden, welche bevorzugen?Zu meiden sind unter anderem Unternehmen, die mit Erdogan auf Kriegsfuß stehen. Allerdings sind nicht mehr viele übrig geblieben. Die Nervosität im Markt ist extrem hoch. Ein Beispiel ist der Lebensmittelkonzern Ülker, der auch in Deutschland sehr aktiv ist. Kürzlich hat ein Medienbericht über vermeintliche Verbindung des Unternehmens zur Gülen-Bewegung zu einem Sturz der Aktie um 15 % geführt. Die Nachricht wurde umgehend dementiert – die Nervosität bleibt aber hoch. Ferner sollten Unternehmen mit hoher Fremdwährungsverschuldung gemieden werden, außerdem Banken mit einem hohen Umfang fauler Kredite. Insbesondere Klein- und Mittelbetriebe mit hoher Fremdwährungsverschuldung bereiten manchen Banken Kopfzerbrechen. Dagegen bieten exportorientierte Firmen und Banken, die ihr Kreditportfolio im Griff haben, sehr schöne Investitionsgelegenheiten. Allerdings bietet sich eine signifikante Erhöhung des Türkei-Anteils im Portfolio in den kommenden drei bis sechs Monaten nicht an. Zunächst muss eine Bereinigung der politischen Situation erfolgen.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.