FAKTOR-INVESTING - IM INTERVIEW: DAVID MARK, MSCI

"Die Märkte sind nicht immer vollkommen effizient"

Der Deutschland-Chef des Indexanbieters über die Grundlagen des Faktor-Investing und die Grenzen dieser Anlagestrategie

"Die Märkte sind nicht immer vollkommen effizient"

Viele professionelle Anleger sind unzufrieden mit Aktienindizes, die nur auf die Marktkapitalisierung von Unternehmen abstellen. Sie setzen deshalb verstärkt auf quantitative Strategien wie das Faktor-Investing. MSCI bietet hierfür Indizes an. Wie diese funktionieren und wo ihre Grenzen liegen, erläutert im Interview der Börsen-Zeitung David Mark, Deutschland-Chef des Indexanbieters.- Herr Mark, viele institutionelle Anleger beschäftigt derzeit das Thema Faktor-Investing, für das Sie Indizes berechnen. Worum geht es dabei eigentlich?In der Finanztheorie wird als Faktor jede Eigenschaft eines Wertpapiers verstanden, die eine Aussage über dessen Risiko-Rendite-Profil erlaubt. Es gibt mehrere Gründe, warum diese Faktoren über einen bestimmten Zeitraum bessere risikoadjustierte Erträge liefern. Nehmen wir als Beispiel den zyklischen Faktor Value: Ich werde hierbei dafür belohnt, über einen längeren Zeitraum in diese Strategie investiert zu haben. Nicht, dass die Value-Aktien direkt konjunkturabhängig wären, sie sind aber dennoch zyklisch, weil der Faktor Value eben konjunkturabhängig ist. Wie erkläre ich dann aber Low-Volatility- oder Momentum-Strategien? Sie ergeben sich durch systematische Fehler. Wir haben ja in der Finanzmarkttheorie gelernt: kein Ertrag ohne Volatilität. Wie kommt es aber nun dazu, dass ich den Ertrag nicht aufgeben muss, wenn ich über einen längeren Zeitraum die Volatilität vermindere?- Was sagt die Finanztheorie hierzu?Es gibt dazu verschiedene Theorien: Eine sagt, Aktien mit geringerer Volatilität sind weniger sexy und werden deshalb vernachlässigt – bis sie irgendwann einen Ausbruch haben. Bei Momentum ist es einfach so, dass der Mensch einem gewissen Herdentrieb folgt. Das bedeutet: Was jetzt gerade gelaufen ist, wird in der nahen Zukunft auch laufen. Irgendwann dreht das dann wieder. Das sind keine durch die Konjunktur zu erklärenden Effekte. Aber sie sind belegbar.- Während Momentum auf verhaltensökonomische Aspekte wie den Herdentrieb abstellt, geht es bei anderen Faktoren um systematische Fehler. Wie entstehen diese?Die akademische Literatur nennt eine Vielzahl von Gründen, warum die Theorie der effizienten Märkte nicht funktioniert. Wir sehen zwei Haupterklärungsansätze. Der eine beruht auf den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie, der andere auf zu beobachtenden systematischen Abweichungen, weil die Märkte nicht immer vollkommen effizient sind. Für uns geht es bei der Entwicklung des Index vor allem darum, dass ein Faktor zu beobachten ist.- Widerspricht also die Outperformance verschiedener Faktor-Indizes der Market-Efficiency-Theorie?Die Theorie hat sich einfach auch weiterentwickelt. Marktkapitalisierung ist nicht die einzige Erklärung für alles, was am Finanzmarkt passiert. Es gibt systematische Effekte, sie lassen sich beobachten. Das bedeutet, dass bislang verwendete Theorien nicht mehr in allen Punkten zutreffen.- Wie misst man Abweichungen beziehungsweise Anomalien?Zunächst muss man natürlich jeden Faktor für sich definieren. Nehmen wir den Faktor Size: Nebenwerte zeigen über einen längeren Zeitraum eine bessere risikoadjustierte Wertentwicklung als Standardwerte. Das lässt sich nachweisen. Der Grund dafür ist, dass kleine Unternehmen schneller wachsen als große. Das leuchtet jedem ein, ähnlich wie Value. Wenn man ein Value-Portfolio hält, hat dies meist ein geringeres Preis-Buchwert-Verhältnis als der Gesamtmarktvergleichsindex. Quality ist eine Kombination aus niedrigem Verschuldungsgrad, stetigem Gewinnwachstum und einer hohen Eigenkapitalrendite. Diese Dinge kann man alle für jede einzelne Aktie messen, und die Aktien, die für einen Faktor die besten Werte haben, bilden einen Index. Jeder muss dann nur für sich wissen, ob er die 100 oder 500 besten Aktien für einen Faktor verwenden möchte.- Wie gehen Sie vor?Es gibt zwei Wege: Entweder nimmt man beispielsweise die 300 besten Aktien aus dem Anlageuniversum – etwa dem MSCI World – für einen Faktor, oder man gewichtet im Stammindex um: Man behält alle 1 600 Aktien aus dem MSCI World, gibt ihnen aber eine andere Gewichtung. Für einen Quality-Index werden diejenigen mit hohem Quality-Wert höher gewichtet. Beides hat seine Vorteile: Beim ersten Vorgehen, also dem engeren Index, haben sie eine stärkere Fokussierung auf den Faktor, im zweiten Fall eine größere Anlagekapazität. Das ist bedeutsam für große Anleger wie Staatsfonds. Sie arbeiten in solchen Größen, dass sie eine breite Streuung benötigen. Man muss sich also entscheiden, ob man mehr von einem Faktor und längerfristig eine bessere risikoadjustierte Performance hat. Oder man hat die Beschränkung durch ein hohes Anlagevolumen und nimmt dabei in Kauf, dass man etwas weniger von einem Faktor hat. Die ETF-Anbieter haben sich für die engeren Indizes entschieden, weil sie ein stärkeres Exposure zu einem Faktor bieten.- Haben Sie Faktoren identifiziert, in die sich entweder nicht investieren lässt oder die sich schlechter als der breite Markt entwickeln?Es gibt Faktoren, für die wir keinen Index berechnet haben, weil sie sich über einen längeren Zeitraum nicht als erfolgreich erwiesen haben. Dazu gehören Growth und Liquidity, also Aktien von Wachstumswerten und solche mit hoher Marktliquidität. Für Liquidität ist das einfach zu erklären: Indexanbieter handeln in einer Welt öffentlich verfügbarer Aktien. Wenn sie in Private Equity investieren, dann ist Liquidität natürlich ein Faktor. Growth hat sich über längere Zeit einfach nicht als Faktor mit Outperformance oder weniger Volatilität erwiesen.- Sie haben die von Ihnen angebotenen Faktor-Indizes 40 Jahre zurückgerechnet und ihre Outperformance nachgewiesen. Kann es sein, dass dies in Zukunft nicht mehr der Fall sein wird? Oder, etwas theoretischer gesprochen, verschwinden Marktanomalien, wenn alle Anleger sie erkennen und darauf handeln? Gilt langfristig dann doch die Theorie der effizienten Märkte?Das ist richtigerweise ein theoretisches Argument. In der Praxis wird es nicht passieren. Wir wissen seit der Tulpenzwiebelspekulation in den Niederlanden, also seit fast 380 Jahren, dass es Value-Investoren gibt. Genauso lange gibt es auch schon Momentum-Investoren. Das wissen wir auch deshalb, weil durch diese Anleger die Tulpenblase überhaupt entstand. Manche Dinge wiederholen sich. Ich gebe Ihnen aber in einem Punkt recht: Wenn alle am gleichen Tag genau die gleiche Aktie kaufen, weil sie unterbewertet ist, dann ist sie danach nicht mehr unterbewertet. Es macht aber nicht jeder am gleichen Tag das Gleiche. Und was würde im schlimmsten Fall passieren, wenn alle am gleichen Tag die gleichen unterbewerteten Aktien kaufen? Dann steht am Ende eben nicht mehr Value, sondern Marktkapitalisierung.- Kann man durch die Kombination von verschiedenen Faktoren Anlagestrategien wie ausgewogen oder offensiv entwickeln?Alle Faktoren sind zyklisch und haben Phasen, in denen sie sich schlechter entwickeln als der breite Markt. Um das zu umgehen, sehen wir immer mehr Interesse daran, die Faktoren zu kombinieren, die miteinander eine niedrige Korrelation haben. Ein neuer Weg sieht vor, das Portfolio zu suchen, welches das maximale Exposure zu den gewollten Faktoren hat unter der Voraussetzung, dass die Volatilität gleich bleibt wie im breiten Markt. Schlussendlich hat man so ein konzentrierteres Portfolio mit weniger Aktien und höherem Exposure zu den ausgesuchten Faktoren, als man es bei einer Kombination von Faktor-Indizes hätte.- Was ist der Unterschied zwischen Faktor-Investing und Smart Beta?Viele verstehen nicht, was Smart Beta bedeutet. Gut, smart heißt intelligent. Aber für Beta muss man mit der Finanzmathematik schon sehr vertraut sein. Wir sprechen deshalb von Faktor-Investing. Es ist zwischen traditionellem aktiven und traditionellem passiven Investing angesiedelt. Wenn man aus etwas einen Index entwickelt, in den man investieren kann, dann wäre es vielleicht als passiv einzustufen. Aber es ist zugleich auch eine aktive Entscheidung, zu einem bestimmten Zeitpunkt in eine Value- oder Momentum-Strategie beispielsweise für europäische Aktien zu investieren. Faktor-Investing verbindet daher die Vorteile von aktivem und passivem Management.- Könnten auf Faktoren beruhende Indizes die traditionellen, nach Marktkapitalisierung gewichteten Indizes ablösen?Nein, zweimal im Jahr angepasste Faktor-Indizes können diese Market-Cap-Indizes nicht einfach aus dem Fenster werfen. Nehmen Sie einen traditionellen Index wie den Dax oder den MSCI World, die sich an Marktgewichten orientieren. Solche Indizes bilden nichts anderes als die Summe aller Anleger ab. Damit sind sie ein guter Ausgangspunkt, um sich an allen anderen zu messen. Wir glauben nicht an die Ablösung von Marktet-Cap-Indizes, sondern eher an deren Ergänzung. Das wird auch durch unsere Erfahrung mit Kunden gestützt und wie und in welchem Umfang diese Faktor-Indizes einsetzen. Interessant ist, woher sie das Geld dafür nehmen. Manche sind von ihrem traditionellen aktiven Manager enttäuscht, beispielsweise von dessen Value-Strategie, und ersetzen eine aktive durch eine passive Value-Strategie. Andere wiederum haben die Mittel aus passiven, an der Marktkapitalisierung orientierten Strategien in Faktoren umgeschichtet. Wir haben bislang noch keinen Fall gehabt, in dem ein Kunde sein komplettes Aktienengagement mit Faktoren abgebildet hat. Ich glaube auch nicht, dass dies passieren wird.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.