Die Nasdaq auf dem Weg zum Mond
Von Norbert Kuls, New York
Die Nasdaq hat eine große Affinität zur Nasa. Auf den ersten Blick hat die zweitgrößte Aktienbörse an der Wall Street zwar nichts mit der amerikanischen Weltraumbehörde zu tun – mal abgesehen von den drei Anfangsbuchstaben. Aber die Nasdaq sieht sich auf ihre eigene Art dennoch in der Tradition der Nasa, die 1969 die ersten Astronauten auf den Mond schoss. Das Jubiläumsvideo zum 50-jährigen Bestehen der Nasdaq beginnt jedenfalls mit dem Bild einer Mondrakete. „Man nennt sie Mondflüge – Moonshots“, kommentiert ein Sprecher. „Ideen, die so gewaltig sind, dass sie unmöglich scheinen.“ Auf die Rakete folgen Bilder eines Flugzeugs und des Macintosh-Computers. Gleich darauf flimmern Archivbilder vom Start der Nasdaq über den Schirm, die vor 50 Jahren das erste elektronische Handelssystem an der Wall Street einführte.
Das war in der Tat der Anfang eines tiefgreifenden technologischen Wandels im Börsengeschäft. Fünf Jahrzehnte nach dem Start der Nasdaq werden Aktien und andere Wertpapiere nahezu vollständig elektronisch gehandelt. Selbst auf dem Parkett der New York Stock Exchange verlor sich schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie nur noch ein Bruchteil der Händler, die früher für Gewusel gesorgt hatten. Die Handelssäle sind eine Kulisse für Fernsehreporter – was auch der Nasdaq vor etwas mehr als 20 Jahren notwendig erschien, als sie zum Höhepunkt der damaligen Technologie- und Internethausse eine Kulisse mit mehrstöckiger Leuchtreklame am New Yorker Times Square eröffnete. „Mit der Erfindung des ersten vollelektronischen Marktes ist die Nasdaq nicht nur ein echter Neuerer im Finanzbereich, sondern auch allgemein in der Geschichte von Wissenschaft und Technologie“, sagt David Cowen, der Leiter des Finanzmuseums in New York.
Während die Nyse auf etabliertere und profitable Firmen setzte, gingen an der Nasdaq zunächst vor allem junge, schnell wachsende Unternehmen aus der gerade entstehenden Computerbranche im kalifornischen Silicon Valley an die Börse. Ab den neunziger Jahren kamen dann die Internettitel hinzu. Die Nasdaq ist außerdem die Heimatbörse vieler Biotech-Firmen – darunter die deutsche Biontech, die einen Impfstoff gegen das Coronavirus erfunden hat.
Wenige Monate nach dem Start der Nasdaq debütierte dort der nur ein Jahr vor der Mondlandung gegründete Halbleiterkonzern Intel, der die Mikroprozessoren für die Personal Computer baute. In den achtziger Jahren folgten der Computerhersteller Apple und der Softwarekonzern Microsoft. Der Höhenflug der Technologiewerte, die das geschäftliche und persönliche Leben in den vergangenen Jahrzehnten stark prägten, spiegelt sich in der aktuellen Rangliste amerikanischer Großkonzerne wider. Sechs der gemessen am Börsenwert wertvollsten US-Unternehmen sind, angeführt von Apple und Microsoft, an der Nasdaq notiert. Einige an der Nyse notierte Traditionskonzerne wie der Erdölgigant ExxonMobil oder der Mischkonzern General Electric, die noch in den 2000er Jahren zur Spitzengruppe zählten, sind mittlerweile ganz aus den Top Ten verschwunden. Die Manager der Nasdaq sahen sich in der Tradition der jungen Wachstumsfirmen. Unternehmer, die ein Listing an der Nasdaq erwogen, wurden mit einem süffisanten Seitenhieb auf die mehr als 200 Jahre alte Geschichte der Nyse schon mal gefragt, ob sie lieber in die Fußstapfen des Stahlbarons Andrew Carnegie oder in die von Apple-Gründer Steve Jobs treten wollten.
Harter Wettbewerb
Insgesamt hängt der Börsenwert der an der Nasdaq gelisteten Unternehmen der Nyse mit insgesamt 22 Bill. Dollar noch hinterher. Die Titel der Nyse, darunter viele Industriewerte und Banken, kommen auf 32 Bill. Dollar. Im harten Wettbewerb mit der Nyse um Listings lag die Nasdaq zuletzt aber vorn. Zwei Drittel der Börsengänge an der Wall Street fanden 2020 an der Nasdaq statt.
Neben dem elektronischen Aktienmarkt für US-Technologiewerte betreibt die Muttergesellschaft der Nasdaq auch eine Reihe von Optionsbörsen und den nordeuropäischen Börsenverbund OMX. Listinggebühren und die Einnahmen aus dem Handel über die verschiedenen Plattformen sind aber nicht das einzige Geschäft. Die Nasdaq vertreibt ihre Daten, lizenziert ihre Indizes und verkauft Handelstechnologie an Wertpapierhäuser und Banken.
Konstant bleibt aber die Affinität zur Nasa. Zum jüngsten Jubiläum der Mondlandung läuteten Vertreter der Behörde die Schlussglocke des Börsenhandels. Ein Jahr später eröffneten dann drei Nasa-Astronauten den Handel – per Videoschalte von der Internationalen Raumstation.