Die Notenbanken und ihre Herausforderer
„Don’t fight the Fed“ lautet eine der ältesten und bekanntesten Börsenweisheiten. Und doch scheint es, als hätten sich zuletzt einige Anleger und Anlegerinnen gegen die Notenbanken gestellt. Klar ist, dass die Währungshüter weltweit die Zinsen niedrig und somit die Finanzierung für Unternehmen und Staaten günstig halten wollen. Aus diesem Grund liegen die Leitzinsen der Fed und der EZB nahe der Null beziehungsweise darunter, gleichzeitig kaufen beide Zentralbanken Monat für Monat in großem Stil Anleihen.
Deutlicher Renditeanstieg
Trotzdem sind die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen ab August letzten Jahres innerhalb von sechs Monaten um bis zu 1,1% angestiegen. Hierzulande waren es bei zehnjährigen Bundesanleihen immerhin 0,47% in nur drei Monaten. Gleichzeitig stieg die Steilheit der Zinsstrukturkurve, also das Verhältnis der Zinssätze mit unterschiedlichen Laufzeiten zueinander, zwischen zwei- und zehnjährigen Deutschland-Anleihen auf den höchsten Stand seit einem Jahr, in den USA sogar auf ein Sechsjahreshoch. Wie groß die Nervosität am Rentenmarkt ist, lässt sich besonders gut an den impliziten Volatilitäten ablesen. So hoch wie aktuell waren diese seit dem Höhepunkt der Covid-19-Turbulenzen nicht mehr. Erwartete Schwankungen wie zuletzt erreichte der Treasury-Future in den Jahren 2017, 2018 und 2019 kein einziges Mal.
Wie konnte es dazu kommen? Gründe für den Zinsanstieg gibt es zwar mehrere, aber eben nicht den einen großen. Natürlich sind die Inflationserwartungen gestiegen. Aber mit Werten von knapp über 2% in den USA und knapp über 1% in Deutschland liegen diese ziemlich genau im Zielbereich der Fed beziehungsweise in Deutschland weiterhin unterhalb des Zielbandes. Die aktuellen Prognosen reichen bei weitem nicht aus, um die Notenbanken zu einer Abkehr von ihrer ultralockeren Geldpolitik zu drängen. Im Gegenteil, die Notenbanken tun alles, um sich verbal so weit wie möglich vom 2013er Taper Tantrum zu entfernen. Damals reagierten die Märkte heftig, nachdem die Fed eine Reduktion ihrer monatlichen Käufe in Aussicht gestellt hatte.
Ein größerer Teil der Wahrheit liegt im klassischen Prinzip der Marktwirtschaft: Preise kommen durch Angebot und Nachfrage zustande. Durch die immensen Covid-19-Hilfspakete rund um den Globus nimmt das Angebot an Staatsanleihen permanent zu. Damit diese alle einen Käufer finden, fallen die Preise und die Renditen steigen. Deutlich wurde dies zuletzt bei einer eher schwachen Auktion von siebenjährigen US-Anleihen. Die Neuemission war nur gering überzeichnet. Gleichzeitig nimmt die Bonität der Papiere mit zunehmender Verschuldung ab. Als Kompensation verlangen Anleger höhere Renditen bei den Staatspapieren.
Weitere Gründe sind verstärkender Natur. Die bereits fallenden Rentenmärkte haben viele Trendfolge-Investments auf weiter fallende Kurse angezogen. Diese haben den Abwärtstrend verstärkt. Zudem machen steigende Zinsen eine vorzeitige Ablösung von US-Immobilienfinanzierungen unattraktiv. In der Folge ist die erwartete Duration der damit besicherten Anleihen angestiegen, was wiederum zu Absicherungsaktivität in Form weiterer Staatsanleiheverkäufe geführt hat. Dieses Phänomen ist auch als „Convexity Hedge“ bekannt.
EZB hat Spielraum
Doch vorerst scheint nun all dies Vergangenheit zu sein. Die verbalen Interventionen der EZB, insbesondere von Isabel Schnabel und François Villeroy de Galhau, haben ihre Wirkung nicht verfehlt und den Zinsanstieg (zumindest fürs Erste) gestoppt. Bisher musste die EZB für die Intervention kein Geld in die Hand nehmen. Doch welche Möglichkeiten bleiben, wenn der Erfolg nicht dauerhaft sein sollte? Den meisten kommen spontan wahrscheinlich eine Erhöhung der monatlichen Käufe oder eine weitere Senkung des Einlagesatzes in den Sinn. Doch es gibt noch eine dritte Variante. Die EZB könnte ihre monatlichen Käufe auf der Zinsstrukturkurve nach hinten schieben und so die Zinsen am langen Ende drücken und die Kurve abflachen. Spielraum dafür gibt es genug. Die durchschnittliche Laufzeit aller deutschen Anleihen aus dem Universum des Pandemie-Kaufprogrammes (PEPP) liegt bei 6,7 Jahren. Die durchschnittliche Laufzeit der tatsächlich von der EZB im Rahmen dieses Programms gekauften deutschen Anleihen ist mit 5,1 Jahren dagegen deutlich kürzer.
Bleibt die Frage, wer von einer Intervention dieser Art besonders profitieren würde. Größter Profiteur wären zweifelsfrei die Staatshaushalte. Denn bei Staatsanleihen war der Zinsanstieg deutlich ausgeprägter als bei Unternehmensanleihen, engeren Credit Spreads sei Dank. Die Bundesrepublik Deutschland plant für das laufende Jahr Anleiheemissionen über insgesamt 470 Mrd. Euro. In der Spitze hätte der Zinsanstieg dieses Jahres den Bundeshaushalt mit zusätzlichen 6 Mrd. Euro belastet. Bleibt noch zu erwähnen, dass das italienische Emissionsvolumen 2021 deutlich oberhalb des deutschen liegen wird. Vor diesem Hintergrund wird es spannend, wer sich trauen und die Notenbanken herausfordern wird.