DEVISENWOCHE

Die übersehenen geopolitischen Risiken

Von Stefanie Holtze-Jen *) Börsen-Zeitung, 9.6.2020 Die Zinsdifferenz zwischen den Volkswirtschaften fällt derzeit gegen null. Mit wenigen Ausnahmen werden Währungen daher nun abhängig von der Risikowahrnehmung gehandelt, die der Aktienmarkt...

Die übersehenen geopolitischen Risiken

Von Stefanie Holtze-Jen *)Die Zinsdifferenz zwischen den Volkswirtschaften fällt derzeit gegen null. Mit wenigen Ausnahmen werden Währungen daher nun abhängig von der Risikowahrnehmung gehandelt, die der Aktienmarkt anzeigt. Damit eignen sich Währungen aktuell gut zur Diversifikation und zur Absicherung solcher Risiken, da der Devisenmarkt eine hohe Liquidität aufweist.Der Schlüssel zum Erfolg liegt demnach in der Analyse ebenjener Risikowahrnehmung. Viele Währungen haben sich schneller als erwartet erholt und bereits wieder die Vorkrisenniveaus erreicht. Dies reflektiert die Höhenflüge am jeweiligen Aktienmarkt und den steigenden Risikoappetit. Hierfür werden die massiven globalen geld- und fiskalpolitischen Stützungsmaßnahmen und die Aussichten auf eine erfolgreiche Eindämmung der Coronavirus-Pandemie verantwortlich gemacht. Bei der Einschätzung der volkswirtschaftlichen Risiken hat man sich mit dem Gedanken angefreundet, dass es wegen der Lockdowns zwar zu einem Stillstand gekommen ist, dass aber die voranschreitenden Lockerungen den Wendepunkt markiert haben.Wie steht es jedoch mit den politischen Risiken, die negative volkswirtschaftliche Folgen haben können? Die größten politischen Herausforderungen unserer Zeit sind auf transnationale Phänomene zurückzuführen. Dazu gehören der Klimawandel, die ungleiche Verteilung der Erträge wirtschaftlichen Wachstums sowie die länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung von Krankheiten. Dies würde eigentlich eine Zunahme an Kooperation zwischen Staaten in internationalen Organisationen erfordern, tatsächlich ist aber ein Stillstand bei den multilateralen Einigungsprozessen zu verzeichnen.Die Beziehungen zwischen den USA und China haben sich weiter verschlechtert, und die Konflikte gehen mittlerweile weit über den Handelsstreit hinaus. Die Debatte um Investitionen und Technologien wird ergänzt um geopolitische Aspekte wie die Vorgehensweise gegenüber Hongkong und Taiwan sowie die Behandlung von Wasserwegen im Südchinesischen Meer.Die Rivalität zwischen den USA und China wirkt sich auch negativ auf die Beziehungen zu anderen Ländern aus. Sie prägt die Arbeit in internationalen Organisationen und untergräbt multilaterale Institutionen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind mittelbar und unmittelbar von der Rivalität betroffen.Am Wochenende erklärte US- Präsident Donald Trump, er werde die Zahl der US-Truppen in Deutschland von derzeit 34 500 Soldaten um 9 500 reduzieren. Dem war vorausgegangen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die Teilnahme am bevorstehenden G7- Gipfel im Juni abgesagt hatte, da sie wegen der Coronavirus-Pandemie nicht persönlich nach Washington reisen wollte. Donald Trump hätte den G7-Gipfel gern als Signal der Wiedereröffnung der USA nach der Coronavirus-Krise inszeniert, aber auch, um seine Allianz gegen China weiter auszubauen. Diesmal hat er erstmals auch Australien, Indien, Südkorea und Russland an den Verhandlungstisch geladen. Dabei hatte die G7 Russland vor sechs Jahren wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim ausgeschlossen.Der EU mangelt es bislang noch an Einigkeit gegenüber China, aber auch gegenüber den USA. Polen etwa schließt bilaterale Verträge mit den USA zur Raketenstationierung. Auch die Verwendung von chinesischer Technologie beim Aufbau des 5G-Netzes spaltet die Union. Italien wiederum, das sich als erstes G7-Land dem chinesischen Projekt “Neue Seidenstraße” angeschlossen hatte, erhielt medizinische Ausrüstung und Personal aus China beim Kampf gegen das Coronavirus.Der Ausruf einer “geopolitischen Kommission” durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sollte eine geeinte Strategie zur Folge haben. So wurden im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli beginnt, alle 27 Staats- und Regierungschefs der EU zu einem EU-China-Gipfel am 14. September nach Leipzig eingeladen. Dieser Umfang wäre ein Novum gewesen. Dort sollte eine einheitliche China-Politik der EU im Fokus stehen. Am vergangenen Mittwoch wurde der geplante EU-China-Gipfel von Angela Merkel auf unbestimmte Zeit verschoben.Eine einheitlichere Linie wäre auch bei Fragen der gesundheitlichen Sicherheit vonnöten. Bei der Pandemie-Geberkonferenz Anfang Mai lief es jedoch anders als sonst. Die USA beteiligten sich als einzige der sieben wichtigsten Industrienationen nicht finanziell an dem Ziel, 7,5 Mrd. Euro einzusammeln, um Impfstoffprojekte gegen das Coronavirus zu unterstützen. Bei der Bekämpfung von Ebola steuerten die USA damals rund ein Drittel des Geldes bei und waren damit größter Geber. Stattdessen haben die USA im Alleingang längst nationale Abkommen mit der Pharmaindustrie getroffen. Allein beim britischen Pharmakonzern AstraZeneca haben die USA über ihre Forschungsbehörde rund 1 Mrd. Euro in Forschung, Herstellung und Vertrieb des künftigen Impfstoffs investiert und sich auf diese Weise die Zusage für 300 Millionen Impfstoffdosen gesichert.Nun verbünden sich Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande, um Europa ebenfalls den Zugang zu künftigen Impfstoffen zu sichern. Geplant ist, schlagkräftiger im Verbund mit den Herstellern zu verhandeln, um Impfstoffe für die gesamte EU bereitzustellen und Produktionskapazitäten in Europa zu erweitern. Gremien kaum aktivEs ist auffallend, welch marginale Rolle außerdem internationale Gremien wie die G7, G20 oder der UN-Sicherheitsrat bislang bei der Bewältigung dieser globalen Krise einnehmen. Können wir uns des vom Markt gespielten Aufschwungs so sicher sein, dass die Folgen des Niedergangs des globalen regelbasierten Ordnungsmodells keine Rolle spielen?In einem Umfeld, in dem das Konsumentenverhalten aufgrund der einschneidenden Veränderungen durch die Pandemie schwerer kalkulierbar geworden ist, kann man von Konjunkturdaten kaum verlässliche Indikationen der künftigen Wirtschaftsentwicklung erwarten, die sinnvoll eingepreist werden können. Die Fakten, die derzeit auf geopolitischer Ebene geschaffen werden, lassen deutlich erkennen, wie sehr auch das schnelle Reagieren auf die Veränderungen und das diplomatische Geschick die relativen Vor- und Nachteile zwischen zwei Wirtschafts- und Währungsräumen künftig bestimmen werden. Um nicht zwischen die Räder der Rivalität zwischen den USA und China zu kommen, muss Europa auch hier zügig eine kohärente Strategie entwickeln.Wir sind daher skeptisch, was das überaus positive Sentiment für die Märkte angeht und den Höhenflug klassischer “Risk on”-Währungen wie beispielsweise des australischen Dollar. Auch eine Kehrtwende des Euro und dessen Qualifizierung als alternative Reservewährung zum Dollar in Zeiten der Krise sehen wir unter diesen Vorzeichen nicht. Der japanische Yen wiederum eignet sich aufgrund seiner hohen negativen Korrelation zum US-Aktienmarkt als Beimischung, falls doch damit begonnen werden sollte, höhere Risiken einzupreisen. *) Stefanie Holtze-Jen ist Chief Currency Strategist der DWS.