Die Wiedergeburt des Carry Trades?
Von Ulrich Leuchtmann*)
Vor ziemlich genau drei Jahren habe ich mich an dieser Stelle skeptisch über Carry Trades geäußert. Zur Erinnerung: Carry Trades heißt, darauf zu setzen, dass Währungen mit hohen Zinsen systematisch gegenüber Währungen mit niedrigen Zinsen aufwerten. Damals habe ich nicht geahnt, als wie richtig sich diese Skepsis Anfang 2020 zu Beginn der Pandemie erweisen würde.
Die Performance von Carry Trades im Universum der G10-Währungen (der zehn wichtigsten Währungen von Industrieländern) misst man üblicherweise durch die Performance der drei G10-Währungen mit den höchsten Zinsen gegenüber den drei mit den niedrigsten. In der Abbildung zeigt sich, dass dieses Maß bei Ausbruch der Corona-Pandemie regelrecht einbrach. Grund dafür war, dass alle G10-Zentralbanken in dieser Phase die Zinsen auf die Untergrenze senkten.
Das hieß aber auch: Zentralbanken mit vorher hohen Zinsen senkten ihre Zinsen weitaus mehr als Zentralbanken mit vorher bereits niedrigen Zinsniveaus. Einfach weil Letztere geringeren Spielraum für Zinssenkungen hatten. Und die drei Zentralbanken, die schon vorher die Zinsen in den negativen Bereich gesenkt hatten, hatten überhaupt keine Möglichkeit, noch niedriger zu gehen: Der Leitzins der Schweizerischen Nationalbank blieb auch in der Pandemie auf dem Vor-Pandemie-Niveau von −0,75%, der der Europäischen Zentralbank bei −0,5% und der der Bank of Japan bei −0,1%.
Der Zinsvorteil derjenigen Währungen, die vor der Pandemie aufgrund ihrer hohen Zinsen für Carry Trader attraktiv gewesen waren, verschwand oder reduzierte sich dramatisch. Damit ging ein wesentliches Argument für ihre vorher hohen Bewertungen verloren. Im Ergebnis verloren die vormaligen Hochzins-Währungen gegenüber den Niedrigzins-Währungen, und mit Carry Trades verlor man Geld.
Im Grunde zeigte sich an dieser Episode sehr deutlich: Die Unterschiede in den Zinsniveaus verschiedener Währungen bestimmen zwar die Bewertungen der Währungen, also die Wechselkursniveaus. Die Wechselkursbewegungen werden aber von Änderungen der Zinsvor- bzw. Nachteile und von Erwartungen zukünftiger Änderungen bestimmt. Diese Erkenntnis steht im Gegensatz zur Logik der Carry Trades, weil nach deren Logik eine Währung mit hohem Zinsniveau aufwerten müsste. Die frühe Pandemiephase ist ein gutes Beispiel dafür, dass das grandios schiefgehen kann. Freilich gilt auch: Nach der allerersten Pandemiephase performten Carry Trades wieder sehr gut, insbesondere bis Frühjahr 2021, aber auch seitdem. Sind Carry Trades also zumindest in halbwegs „normalen“ Phasen doch besser, als ich annehme?
Zur Bewertung dieser für Carry Trades guten Phase muss man drei Dinge beachten: 1. Es wurde 2020 schnell klar, dass die niedrigen Zinsniveaus nicht von Dauer sein würden und dass die Zentralbanken ihre Zinsen in absehbarer Zeit wieder erhöhen würden. 2. Diejenigen Zentralbanken, die früh mit Zinserhöhungen begannen, haben tendenziell auch stärker ihre Zinsen angehoben als die Zentralbanken, die zögerlich waren. Frühe Zinsvorteile hießen in der Folge somit auch: tendenziell mehr Zinserhöhungen. 3. Das Ausmaß der Zinserhöhungen, die letztendlich nötig waren, war lange nicht absehbar. Mit den überraschend stark steigenden Inflationsraten stiegen auch die Zinserwartungen – besonders dort, wo Zentralbanken sich als besonders aggressiv hervortaten: durch frühe, große Zinsschritte, die diesen Währungen früh Vorteile verschafften, so dass sie auf der Kaufliste der Carry Trader landeten.
Ergo: In dieser Phase mussten Carry Trades auch dann gut laufen, wenn meine Vorstellung des Devisenmarktes richtig ist, sie also nicht „systematisch“ oder „meistens“ funktionieren. Werden die Carry Trades auch 2023 gut laufen? Der Markt erwartet, dass die Inflation im kommenden Jahr weltweit wieder sinkt und die Zentralbanken ihre derzeit mehr oder weniger aggressiven Geldpolitiken beenden werden. Dann könnten diejenigen Zentralbanken, die bisher besonders aggressiv ihre Zinsen erhöhten, sogar wieder nennenswerte Zinssenkungen vornehmen. So erwartet der Markt, dass die US-Notenbank Fed ihren Leitzins ab Mitte 2023 wieder deutlich senken wird.
Ungünstiges Umfeld
Notenbanken, die vorsichtiger agiert haben, würden dann weniger Anlass zu Zinssenkungen haben. So erwartet der Markt von der EZB für 2023 höchstens äußerst geringe Zinssenkungen. Und die Bank of Japan, die als einzige G10-Zentralbank an diesem Zinserhöhungszyklus überhaupt nicht teilgenommen hat und deren Währung lange am meisten leiden musste, würde dann wohl nicht einmal über Zinssenkungen nachdenken. Der Zinsnachteil des japanischen Yen gegenüber dem Rest der G10-Währungen würde somit eher schrumpfen. Kommt es so, erscheint mir für 2023 das Umfeld für Carry Trades als ausgesprochen ungünstig.
Einen Vorgeschmack darauf, was Carry Trades blühen kann, lieferten die Marktbewegungen seit der Veröffentlichung der US-Inflationszahlen für Oktober, die das Marktszenario wahrscheinlicher erscheinen lassen. In der Abbildung ist das der Rutsch der Performance-Linie am aktuellen Rand. Natürlich kann es auch ganz anders kommen, als der Markt erwartet. Die Fed könnte weniger oder überhaupt nicht senken, die Inflation könnte weiter steigen und weltweit noch mehr Zinserhöhungen erfordern. Dann hätten Carry Trades weiterhin Performance-Potenzial. Aber nur dann. Das heißt: Carry Trades sind nicht jederzeit schlecht. Aber manchmal. Deshalb sind sie kein Rezept, welches eine fundamentale Prognose ersetzen könnte. Einfach schauen, wo die Zinsen am höchsten sind: So einfach ist’s halt nicht, am Devisenmarkt Geld zu verdienen!
*) Ulrich Leuchtmann ist Leiter des Devisen-Research der Commerzbank.