IM INTERVIEW: ANDREW WELLS, FIDELITY

"Diese Liquidität gibt es nicht"

Der für Anleihen zuständige Global CIO über Europas Chancen im kommenden Jahr, Japan und Inflation

"Diese Liquidität gibt es nicht"

Die Fondsgesellschaft Fidelity ist optimistisch, was die Wachstumsaussichten Europas im kommenden Jahr angeht. Die Schwächung des Euro und der fallende Ölpreis seien sehr positiv für den alten Kontinent, sagt Andrew Wells, Global CIO für Anleihen.- Herr Wells, läuft der Markt für Unternehmensanleihen heiß?Ich würde nicht von Überhitzung sprechen. Aber weil wir wissen, dass die Renditen von Staatsanleihen in Europa für einige Zeit niedrig bleiben werden und es Unterstützung durch Quantitative Easing weltweit geben wird, gehe ich davon aus, dass sich die Spreads weiter einengen werden. Nicht nur in Europa, auch die Zuflüsse aus Japan sind ziemlich groß. Das schwierigere Segment ist High Yield, wo es immer noch sehr gute Unternehmen gibt, die zu guten Spreads gehandelt werden. Problematisch wird es am unteren Ende, den mit “C” bewerteten Titeln.- Wo ist das Problem?Manche Leute haben diese Papiere wegen der Renditen gekauft. Man könnte sagen, dass manche angesichts des Kreditrisikos zu teuer sind. Die Kreditprämie ist eine Funktion von Illiquidität und Kreditrisiko. Wir sehen uns die einzelnen Unternehmen individuell an. Wir sehen uns an, wo die Papiere in der Kapitalstruktur sitzen und wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie zurückgezahlt werden. Die meisten dieser Unternehmen können sich sehr leicht refinanzieren.- Wie das?Der Markt ist derzeit sehr aufnahmefähig, wenn man sich refinanzieren will. Das liegt daran, dass wir uns nicht in einem Rezessionsumfeld befinden. Die meisten qualitativ hochwertigen Unternehmen werden sich gut entwickeln. Die Gefahr besteht darin, dass wir uns in ein deflationäres Umfeld hineinentwickeln.- Was würde dann passieren?Wenn die Wirtschaft anfängt zu schrumpfen, leidet das untere Ende des Spektrums. Diese Firmen hätten bei der Refinanzierung Probleme. Das ist von Firma zu Firma anders. High Yield ist zuletzt ein bisschen abverkauft worden. Jetzt kommt ein bisschen Geld wieder zurück. Das Auf und Ab der Kurse wird derzeit nicht von der Kreditqualität bestimmt. Die ist ziemlich konsistent. Der dominierende Faktor sind die Summen, die in die Assetklasse insgesamt hineinströmen oder abgezogen werden. Wenn man sich die Phase großer Unsicherheit im Oktober ansieht, gab es eine Kursrally bei Staatsanleihen, während Unternehmensanleihen abverkauft wurden. Und kurz darauf kehrte sich das um, weil sich die Leute mit dem Umfeld wieder wohler fühlen.- Würde es zu einer Wiederholung kommen, gäbe es da nicht Einschränkungen, wie schnell man aus Unternehmensanleihen wieder herauskäme?Deshalb sprechen wir derzeit viel mit Anlegern über ihren Zeithorizont. Viele der großen Investoren in Europa sagen uns: Wir würden gerne in Unternehmensanleihen anlegen, aber wir wollen keine Fälligkeiten nach 2018 oder 2019. Was sie uns damit eigentlich sagen wollen ist, dass sie die Illiquiditätsprämie nicht bezahlen wollen. Sie wollen an ihrem Zeithorizont festhalten. Man will große Summen in Corporate Bonds investieren und unmittelbare Liquidität haben. In Wirklichkeit gibt es diese Liquidität nicht.- Was macht man also?Deswegen machen Staatsanleihen immer noch einen wichtigen Teil der Portfolios aus. Hier gibt es diese Liquidität sofort und für große Stückzahlen. Darin liegt die Attraktivität von Staatsanleihen. Man bekommt vielleicht keine hohe Rendite. Zehnjährige Bundesanleihen, die weniger als 70 Basispunkte bieten, hören sich nicht besonders attraktiv an. Aber wenn man jederzeit in einem deutschen Instrument Liquidität haben will, sind Bundesanleihen genau das Richtige. Die Leute sind bereit, für diese Liquidität zu bezahlen.- Wird man denn bei derart niedrigen Renditen noch für das Kreditrisiko entschädigt? Das gilt natürlich vor allem für “C”-Bonds.Schwierig wird es am unteren Ende des Spektrums, würde ich sagen. Mit “C” und “D” bewertete Papiere sind wegen der Verengung der Spreads nicht empfehlenswert, aber “BB”-Anleihen sehen immer noch ziemlich attraktiv aus. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Je niedriger das Rating, desto weniger attraktiv sind sie im Moment.- Werden Investment-Grade-Papiere (IG) wieder attraktiver?IG ist definitiv attraktiv. Wir haben ständig Zuflüsse in IG, wir haben dauernd Käufer. Die Unternehmen liefern gute Ergebnisse. Die Rentabilität der IG-Unternehmen, vor allem in nordeuropäischen Ländern, sieht derzeit ziemlich gut aus. Wenn der Euro etwas schwächer wird, dürfte das den großen Exporteuren zugutekommen. Die Währung ist ziemlich wichtig. Wenn Euro und Yen weiter abwerten, werden die wichtigsten IG-Unternehmen aus Europa und Japan international attraktiver.- Wenn der Euro schnell genug abwertet.Es gibt zwei Dinge, die gerade sehr positiv für Europa sind: die Schwächung des Euro und der fallende Ölpreis. Ich glaube die Leute haben noch nicht ganz auf der Rechnung, wie wesentlich der Ölpreis für eine Wende in Europa sein könnte. Er sorgt für eine wesentlich niedrigere Kostenbasis und ist damit ein wichtiger Wachstumstreiber. Gefährlich wäre, wenn der Euro stark bliebe, wie zuvor der Yen, und der Ölpreis hoch. Eine der Überraschungen 2015 könnte die Stärke der europäischen Volkswirtschaften sein, mit der die Leute bislang nicht rechnen. Durch den steigenden Dollar wird außerdem das US-Wachstum automatisch abgebremst.- Wie bewerten Sie die Situation in Japan? Es spricht alles für eine langfristige Abwertung des Yen.Was ich aus meinen Meetings in Japan mitgenommen habe ist, dass die Regierungsvertreter bereit sind, kurzfristig Schmerzen in Kauf zu nehmen, um langfristig Verbesserungen zu erreichen.- Was bedeutet das?Sie sind zu einer Schwächung des Yen bereit, ein Kursrückgang bei Staatsanleihen wäre für sie akzeptabel, wenn sich Inflation ergibt. Sie sind dazu bereit, strukturelle Veränderungen voranzutreiben. Was da passiert, ist sehr ermutigend. Immer, wenn sie einer Hürde oder Problemen begegnen, geben sie sich mehr Mühe. Sie senden die starke Botschaft an die Bevölkerung, dass sie ihr Geld ausgeben soll, dass in Kapital investiert werden muss, dass Unternehmen höhere Dividenden ausschütten, dass es Reformen bei der Governance geben muss. Für sich genommen bedeuten all diese Punkte keine große Veränderung. Alles in allem ergibt sich aber der Eindruck, dass sich mehr ändert als in den vergangenen 25 Jahren zusammen.- Was würden Sie Kunden empfehlen, die Verbindlichkeiten zu bedienen haben, sich aber nicht mit den niedrigen Renditen von Staatsanleihen zufrieden geben wollen?Anleger fühlen sich mit Unternehmensanleihen sehr wohl. Wir beobachten, dass viele aus europäischen Staatsanleihen in Unternehmensanleihen aus der ganzen Welt umschichten. Das ist der Trend. Dabei bewegen sie sich von den Benchmarks weg. Sie reduzieren Laufzeiten, aber nicht das Kreditrisiko. Und sie greifen auf High-Yield-Bonds und Kredite zurück, aber auch auf andere Assetklassen wie Global Equity Income, Immobilien. Mehr Institutionelle investieren derzeit in Immobilien, weil sich damit relativ hohe Einkommen erzielen lassen. In Europa und Asien gibt es gerade einen großen Trend hin zu Multi-Asset-Fonds. Was man mit Anleihen nicht machen kann, ist, das ganze Laufzeitrisiko herauszunehmen.- Warum nicht?Wenn man das macht, hat man eine sehr hohe Korrelation mit Aktien. Das ist ganz klar nicht das gewünschte Ergebnis. Es gibt in diesem Umfeld die Gefahr, dass sich die Leute auf alles stürzen, was aktienähnlich ist. Wir würden dazu raten, sich die Vergangenheit anzusehen. Was sich im Portfolio gut entwickelt hat, waren Staatsanleihen. Die Kurse sind gestiegen und sie haben für Ausgewogenheit gesorgt. Es kommt natürlich darauf an, ob man Einkommen oder Kapitalwachstum benötigt. Aber die meisten wollen eine Mischung davon.- Ist der Multi-Asset-Boom ein Revival der ausgewogenen Mandate der 1980er-Jahre?Es ist etwas anspruchsvoller, aber im Grunde haben sie recht. Die meisten ausgewogenen Mandate haben sich ziemlich gut entwickelt. Aber statt lediglich einen Mix von Anleihen und Aktien zusammenzustellen, holt man nun weitere Formen von Credit dazu, Immobilien und vielleicht noch Bankkredite, weil man mittlerweile auf solche Produkte Zugriff hat. Wir fühlen uns derzeit mit dem US-Aktienmarkt sehr wohl. Das Wachstum dort wirkt sehr ermutigend. Der Schiefergasboom hat das wirtschaftliche Umfeld transformiert. Global Equity Income liefert auch Stabilität, weil die Einkommenskomponente einen guten Puffer für die Volatilität der Märkte bietet.- Wie sieht es mit 30-jährigen US-Staatsanleihen aus?Das ist etwas für Leute, die sich gegen langfristige Risiken absichern wollen. Die interessanteste Assetklasse aus meiner Sicht ist Inflation, das heißt inflationsgeschützte Anleihen. Sie sind derzeit äußerst unbeliebt. Technisch sind sie überverkauft. Keiner glaubt, dass die Inflation stärker werden wird. Aber wenn es in den USA Anzeichen für Lohndruck gibt, werden sich die Leute sehr schnell dem langen Ende der Zinskurve zuwenden. Ich würde keine langlaufenden einfachen Bonds kaufen wollen, aber die inflationsgeschützten Anleihen wären dann sehr attraktiv.- Wie bewerten Sie die Liquiditätsprobleme am Sekundärmarkt für Corporate Bonds?Der Mangel an Liquidität hat mehrere Gründe. Zunächst einmal wollen viele Leute, die Anleihen besitzen, nicht verkaufen. Es gibt dazu für sie keine Notwendigkeit. Der Kurs steigt die ganze Zeit. Wenn sie sie verkaufen würden, müssten sie stattdessen etwas anderes kaufen und sie sind sich nicht sicher, was. Ein weiterer Grund ist, dass die Banken wegen der verschärften Kapitalanforderungen ihre Bilanzen schrumpfen. Also stecken sie weniger Geld in den Handel. Es gibt illiquide Titel, aber das heißt nicht, dass sie gefährlich sind oder ein erhöhtes Ausfallrisiko haben. Man muss nur sehr vorsichtig sein, was die Konzentration in bestimmten Titeln angeht, und wissen, welche Liquidität man haben will.—-Das Interview führte Andreas Hippin.