GASTBEITRAG

Digitalisierung in Familienunternehmen

Börsen-Zeitung, 29.6.2019 Im Spannungsfeld zwischen Transformation und Tradition müssen sich Familienunternehmen dem digitalen Geschwindigkeitsrausch unserer Zeit anpassen. Ihre langfristig angelegte Strategie ist der wichtigste Erfolgsfaktor, um...

Digitalisierung in Familienunternehmen

Im Spannungsfeld zwischen Transformation und Tradition müssen sich Familienunternehmen dem digitalen Geschwindigkeitsrausch unserer Zeit anpassen. Ihre langfristig angelegte Strategie ist der wichtigste Erfolgsfaktor, um diese Herausforderung zu bewältigen. Geht es um Kundenbindung, Umsatz und Wachstum, aber auch um Prozesse, Effizienz und Kostenkontrolle, spielt die Digitalisierung eine immer größere Rolle. Der technologische Wandel erhöht den Druck über alle Branchen und Sektoren hinweg. Wer sich heute nicht intensiv mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzt, läuft Gefahr, den Anschluss im nationalen und internationalen Wettbewerb zu verlieren. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig intelligent zu investieren, die eigene Wettbewerbsfähigkeit in einer komplexer gewordenen Welt zu stärken und aus einer Bedrohung eine unternehmerische Chance zu entwickeln. Für Investoren bedeutet dies, Hidden Champions zu identifizieren, die bestmöglich positioniert sind, diesen Megatrend gewinnbringend zu nutzen. Gelebte LeidenschaftDank ihres langfristigen, über Generationen ausgerichteten Handelns und Innovationstriebs, verbunden mit grundsoliden Bilanzen sowie Sicherheitsbewusstsein, erwirtschaften Familienunternehmen mittelfristig überdurchschnittliche Renditen – und das macht sie bei Investoren beliebt. Wer für sein Handeln mit eigenem Kapital und Vermögen aufkommt und nachhaltiges Generationendenken in die Geschäftspolitik einbringt, dem wird auch flexibles und ausdauerndes Agieren in anspruchsvollen Zeiten zugetraut. Die gelebte Leidenschaft für eigene Produkte und Dienstleistungen sowie der geschärfte Sinn für Innovation und Technologieführerschaft in der Nische qualifizieren Familienunternehmen als “early adopter” – auch in Bezug auf die Digitalisierung.Digitalisierung hat viele Facetten. Nach außen ermöglicht sie eine neue, erweiterte Definition von Produkten wie beispielsweise vorausschauende Wartungstechniken bei Maschinen oder Echtzeit-Anwendungen im Internet der Dinge. Nach innen steht sie für die Schaffung von effizienteren Prozessen und die reibungslose Vernetzung von Kunden und Lieferanten. Der Stellenwert dieser Themen ist längst erkannt, doch die Schwierigkeit für die meisten Unternehmen liegt in der Umsetzung. So mangelt es bisweilen an IT-Fähigkeiten, während die Verfügbarkeit von Spezialisten immer knapper wird. Entrepreneure wie der schweizerisch-schwedische Energie- und Automatisierungskonzern ABB mit seinem Kernaktionär Wallenberg kamen zu dem Ergebnis, dass es wesentlich billiger und sinnvoller ist, die in der Beratung despektierlich “digitalen Analphabeten” Genannten selbst weiterzubilden, als den Mitarbeiterpool ständig zu erneuern. Zum erfolgreichen Umgang mit der Digitalisierung zählen neben unternehmerischer Überzeugung und kurzen Entscheidungswegen wegen des hohen Kapitaleinsatzes auch solide Bilanzen. Das bedeutet: Statt Aktien zur kurzfristigen Aktienkursoptimierung zurückzukaufen, ist es langfristig zielführender, in das Wachstum von morgen zu investieren.Laut einer Studie von Ernst & Young aus dem vergangenen Jahr sind Familienunternehmen auf einem sehr guten Weg, die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern, weil sie dank ihrer DNA klare Startvorteile mitbringen. Als essenzielle Erfolgsfaktoren im digitalen Rennen gelten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zufolge in erster Linie Innovation, Unternehmergeist, Agilität, Kundenorientierung, langfristige Perspektive und eine solide Finanzierung.Sopra Steria steht beispielhaft für ein familiengeführtes Unternehmen, das von den Vorteilen der Digitalisierung profitiert. Die französische Management- und Technologieberatung bezeichnet sich selbst als europäischen Marktführer für digitale Transformation, was sich nicht zuletzt mit dem erfolgreichen Business-Modell erklären lässt: Das Unternehmen bietet IT-Lösungen für Unternehmen an, darunter Systemintegration, Softwareentwicklung, Infrastrukturmanagement und Business Process Services. Gegründet wurden die namensgebenden Gesellschaften bereits in den späten sechziger Jahren und verfügen damit über rund 50 Jahre Finanz-Know-how.Aus Investorensicht ebenso interessant ist die Firma Bobst, die sich die Digitalisierung zunutze macht, um Kundenbedürfnisse besser zu adressieren. Der Schweizer Anlagenbauer zählt zu den weltweit führenden Anbietern im Verpackungs- und Etikettendruck. Die Firmengruppe befindet sich zu 53 % im Besitz der namensgebenden Familie Bobst, die das Unternehmen bereits in der dritten Generation führt.In Deutschland stehen eigentümergeführte Unternehmen wie CTS Eventim im Bereich Live-Entertainment und Ticketing oder Ströer Media als Spezialist für Außen- und Onlinewerbung an der Spitze und haben die Trends der Digitalisierung für sich und ihre Kunden längst erfolgreich umgesetzt. Digitalisierung als ChanceImmer mehr Familienunternehmen gelingt es, das disruptive Potenzial der Digitalisierung als Chance zu nutzen. Sie wissen, dass sie als kleiner Akteur auf die Turbulenzen reagieren müssen, die der technologische Wandel mit sich bringt. Firmen wie obengenannte zeigen, wie sich dies gewinnbringend realisieren lässt. Ihnen kommt zugute, dass sie durch digitale Technologien flexibler auf Kundenwünsche eingehen können – ein Bereich, in dem inhabergeführte Unternehmen aufgrund ihrer gut gepflegten Beziehungen zu Kunden und Lieferanten ohnehin schon gut aufgestellt sind. Für Anleger bieten sich vor diesem Hintergrund attraktive Anlagemöglichkeiten, um nachhaltig an der Digitalisierung industrieller Prozesse teilzuhaben. Birgitte Olsen, Lead Portfolio Manager BB Entrepreneur-Strategien, Bellevue AM