Emerging Markets

Digitalisierung starker Impuls für Schwellen­länder

Die digitale Revolution ermöglicht es Schwellenländern, Entwicklungsphasen zu überspringen, die normalerweise lang dauern.

Digitalisierung starker Impuls für Schwellen­länder

Die digitale Revolution ist nicht einfach nur ein universeller Segen. Für die Schwellenländer könnte sie sich als wirtschaftliche Zauberkraft er­weisen. Durch die Digitalisierung haben diese Länder nämlich die Möglichkeit, Entwicklungsphasen zu überspringen, die normalerweise lang dauern.

Die großen Volkswirtschaften konnten sich im 20. Jahrhundert dank flächendeckender und teurer Telekommunikations- oder Energienetze entwickeln. Dank effizienter und relativ günstiger mobiler Telekommunikation und kleiner, lokal erzeugter und nachhaltiger Energiequellen können die Schwellenländer jetzt schon den Investitionsaufwand mehrerer Jahrzehnte auf wenige Jahre komprimieren. Das wiederum macht beispiellose wirtschaftliche Effizienzen möglich, da immer mehr Menschen Zugang zu Informationen erhalten. Das gleichzeitige Aufeinandertreffen von Technologiesprüngen und Kostenrückgängen hatte enorme Auswirkungen auf die Schwellenländer.

Kein Wunder also, dass die Mobilfunkdurchdringung die Festnetz-Telekommunikation mit großem Abstand überholt hat. Weltweit gab es 120 Mobilfunkverträge pro 100 Personen, gegenüber 48 Festnetzverträgen. 2017 gab es in Subsahara-Afrika kein einziges Land mit mehr als 10 Festnetz-Telefonanschlüssen pro 100 Personen – in den meisten lag der Wert deutlich unter 1. Im Vergleich dazu waren es in den Vereinigten Staaten 36. Im Gegensatz dazu verzeichneten fast alle afrikanischen Länder mehr als 25 Mobilfunkanschlüsse pro 100 Personen, viele sogar mehr als 100.4 Diese außergewöhnliche Akzeptanz neuer Technologien hat das Potenzial, einigen der ärmsten und am wenigsten entwickelten Teile der Welt einen starken wirtschaftlichen Impuls zu geben. Das liegt nicht zuletzt daran, dass dadurch all denen, die bislang keinen Zugang zu Banken hatten, Finanzierungsmöglichkeiten geboten werden.

In dieser neuen Welt treten Fintech und Big Tech an die Stelle der traditionellen Banken als Kreditgeber. Dezentrale Fintech-Plattformen ermöglichen es einzelnen Online-Kreditgebern, direkt mit Kreditnehmern zu interagieren, entweder in einem Peer-to-Peer-Kreditmodell oder auf einem Marketplace für Kredite. Und immer häufiger werden die Schwellenländer selbst zur Quelle dieses neuen technologischen Know- hows. Kapstadt zum Beispiel ist heute das Cloud-Computing-Programmierzentrum von Amazon.

Höhere Rentabilität

Es gibt starke Anreize für digitale Start-ups, in die Märkte in den Schwellenländern einzusteigen – die dortigen Banken sind in der Regel deutlich rentabler als diejenigen in den Industrieländern. Das ist zum Teil auf den hohen Marktanteil der großen etablierten Unternehmen, insbesondere in Lateinamerika, zurückzuführen. Diese Alternativen zum traditionellen Bankwesen in Schwellenländern sind auch für einen weiteren großen Bereich interessant: internationale Geldtransfers. Hier ist die Nachfrage gestiegen, während die Kosten stark zurückgegangen sind. Gleichzeitig hat sich die Nutzung von Mobiltelefonen für das Senden und Empfangen von Inlandsüberweisungen in den ärmsten Ländern in nur drei Jahren bis 2017 verdoppelt. Schwellenländer sind nicht nur eine Quelle der Nachfrage nach digitalen Services. Sie sind auch zunehmend eine Hardware-Quelle.

Die Covid-Pandemie hat die Nachfrage nach einer ganzen Bandbreite von digitalen Geräten und Services beflügelt, da sich durch die Lockdown-Maßnahmen große Teile des Alltags ins Internet verlagert haben. Dadurch ist auch die Nachfrage nach Elektronik und damit nach Computerchips explodiert. Gleichzeitig kam es zu Lieferengpässen, ebenfalls be­dingt durch die Pandemie, die auch nach dem Höhepunkt der Krise noch zu spüren sind.

Die digitale Zukunft ist nicht allein den neuen Marktteilnehmern vorbehalten – es ist noch zu früh, die etablierten Banken abzuschreiben. Nicht zuletzt, weil sie ihre lokalen Kunden kennen. Filialen und physische Kanäle sind weiterhin wichtig, und auch wenn Banken ihre Filialnetze verkleinern, ist keine Rede davon, sie ganz abzuschaffen.

Eine der interessanteren – und umstritteneren – Entwicklungen der digitalen Revolution hat das Potenzial, die Finanzlandschaft in den Schwellenländern auf den Kopf zu stellen: Kryptowährungen. Verschiedene Kryptowährungsinitiativen haben das Potenzial, inländische und grenzüberschreitende Zahlungen effizienter zu gestalten. Das ist entscheidend, denn viele Haushalte in den Schwellenländern sind auf internationale Geldtransfers von Familienmitgliedern angewiesen – die globalen Geldflüsse beliefen sich 2019 auf insgesamt 551 Mrd. US-Dollar. Da die durchschnittlichen Kosten für den Geldtransfer 7% be­tragen, lassen sich erhebliche Effizienzgewinne erzielen – wenngleich der Vormarsch von Kryptowährungen bei einigen Zentralbanken Sorgen auslöst.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Digitalisierung keinesfalls ein Privileg der Industrieländer ist – im Gegenteil. Den größten Hebel für eine Verbesserung der Lebensqualität kann man in den Schwellenländern beobachten.

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