AUSBLICK

Draghi trübt die Stimmung am Aktienmarkt ein

Dax sinkt auf das niedrigste Niveau seit Mitte November - Lampe erwartet Index unter 10 000 Punkten

Draghi trübt die Stimmung am Aktienmarkt ein

Von Christopher Kalbhenn, Frankfurt”Mr. Draghi, it’s no longer enough”, könnte man die Reaktion der Akteure an den Finanzmärkten auf die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Donnerstag zusammenfassen. Der Präsident der EZB, der im Juli 2012 die berühmten Worte: “And believe me, it will be enough” gesprochen und damit die europäischen Aktienmärkte auf Höhenflug umgeschaltet hatte, scheint seine magische Wirkung verloren zu haben. Zwar haben die europäischen Währungshüter weitere Lockerungsmaßnahmen beschlossen. Im Vorfeld waren die Erwartungen aber derart hochgezüchtet worden, dass die Senkung des Einlagensatzes um zehn Basispunkte und die Verlängerung der Anleihekäufe nicht nur nicht mehr reichten, sondern die Kurse einkrachen ließen. Der Dax sackte am Donnerstag um 3,7 % bzw. rund 400 Punkte ab und verlor zum Wochenschluss noch einmal 0,3 % auf 10 752 Zähler.Für die europäischen Aktienmärkte, die ihren seit rund dreieinhalb Jahren anhaltenden Höhenflug maßgeblich der Geldpolitik der EZB zu verdanken haben, bedeutet dies eine einschneidende Veränderung, und das vor der Sitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank Fed, in der diese Mitte dieses Monats wahrscheinlich ihre erste Leitzinserhöhung seit der Finanzkrise beschließen wird. Das Bankhaus Lampe äußerte sich am Freitag im Lichte der jüngsten Entwicklung überzeugt, dass der Dax in den kommenden zwei Monaten unter die Schwelle von 10 000 Zählern sinken wird. Draghi habe zum ersten Mal nicht geliefert. Vor allem die Tatsache, dass es keine sofortige Ausweitung des Anleihekaufvolumens gegeben habe, sei für viele Anleger eine große Enttäuschung gewesen. Somit sei der Draghi-Put schwächer, als viele gehofft hätten – offensichtlich habe der EZB-Präsident keine Mehrheit für aggressivere Maßnahmen, die jeder erwartet habe -, was der erste Grund dafür sei, warum der Dax wahrscheinlich weiter nachgeben werde. Denn diese Erwartungen seien ein Haupttreiber der Erholung des Marktes gewesen. US-Märkte korrekturanfälligDer zweite Grund sei, dass sich nun alle Augen auf die Entwicklung in den USA richteten, die für Anleger nicht ermutigend sei. Die Fed werde zum ersten Mal seit dem Jahr 2006 die Leitzinsen erhöhen, in einer Phase, in der die Einkaufsmanagerindizes zurückgingen und in der das globale Wachstum bei 3 % liege, während es im Jahr 2004, als die Fed ihren Zinserhöhungszyklus gestartet habe, bei 5 % gelegen habe. Der S & P 500 sei mit einem gleitenden Zwölfmonats-KGV von 16,5 hoch bewertet, die US-Unternehmensgewinne sänken bzw. befänden sich ohne Einbeziehung der Ölbranche in der Stagnation. In der Folge seien die US-Märkte korrekturanfällig. Der Dax als Index mit einem hohen globalen Beta (hohe Anfälligkeit für Schwankungen an den globalen Aktienmärkten) werde sich dem nicht entziehen, so das Bankhaus, das zu Gewinnmitnahmen rät.Die Helaba sprach indessen von einer gesunden Entwicklung des Marktes. In den letzten Wochen hätten Aktien nur eine Richtung gekannt: steil nach oben. Seit den Jahrestiefständen im September habe der Dax zeitweilig rund 20 % zugelegt. Zwar hätten auch mehrheitlich besser als erwartet ausgefallene Konjunkturdaten aus dem Euroraum geholfen. Der wesentliche Treiber für die Erholung sei aber die Aussicht auf einen kräftigen Impuls durch die EZB gewesen. Gemessen an den bei vielen Marktteilnehmern geweckten Erwartungen hätten die jüngsten Beschlüsse enttäuscht. So sei insbesondere eine Aufstockung des monatlichen Ankaufvolumens ausgeblieben. Angesichts der schon recht überhitzten kurzfristigen Stimmung sei es durchaus gesund, dass Dividendentitel erst einmal einen Gang zurückschalten. Immerhin habe der Optimismus unter den Aktienanlegern im Vorfeld der EZB-Sitzung Spitzenwerte erreicht. Die Erwartungshaltung sei offensichtlich höher als im Januar dieses Jahres gewesen, als die Notenbank ihr Ankaufprogramm beschlossen habe.Auch wenn kurzfristig bei vielen Marktteilnehmern die Enttäuschung überwiege, verschiebe die ultralockere Geldpolitik der EZB die relativen Attraktivitäten weiter zugunsten von Euro-Aktien. Es habe sich allerdings erneut bestätigt, dass der viel beschworene “Anlagenotstand” alleine kein dauerhaft tragfähiges Argument für Aktien sei. Trotz wachsender EZB-Bilanzsumme habe die Risikoneigung der Anleger in diesem Jahr schon öfter zwischen den Extremen geschwankt. Diese raschen Stimmungswechsel würden vermutlich auch im kommenden Jahr anhalten.Umso wichtiger sei eine Rückbesinnung auf fundamentale Faktoren. Positiv zu werten sei, dass die deutschen Auftragseingänge nach drei Rückgängen zuletzt wieder deutlich zugelegt hätten. Die im Zuge des Kursanstiegs der vergangenen Monate entstandene Lücke zwischen Konjunkturdaten und Aktiennotierungen habe sich damit etwas verringert. Wichtiger als die Frage, ob Aktien die Jahresend-Rally fortsetzen, sei eine angemessene Positionierung im Spannungsfeld zwischen Risiko und Rendite. Zur Orientierung böten sich vor allem die aus der Historie abgeleiteten KGV-Bänder an. Unter realistischen Annahmen über die Entwicklung der Unternehmensgewinne und Bewertung lasse sich für den Dax auf Sicht der kommenden zwölf Monate ein fairer Wert zwischen 9 000 und 12 000 Punkten ableiten. “Notierungen deutlich darüber sollten daher genauso antizyklisch zum Abbau von Aktien genutzt werden wie mögliche Abtaucher für den Aufbau.”