Ein Consolidated Tape bedeutet erhebliche Markteingriffe
Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtDas lange Warten auf ein reguliertes, umfassendes Consolidated Tape (CT) für Aktieninstrumente könnte seinem Ende entgegengehen. Morgen endet die Marktkonsultation der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA, in der sich die betroffenen Marktteilnehmer und Institutionen neben der Entwicklung der Preise für Vor- und Nachhandelsdaten zur Etablierung eines regulierten CT in der EU äußern sollen. Anschließend wird die ESMA ihren abschließenden Bericht schreiben, der im Dezember der EU-Kommission vorgelegt werden soll. Die Finanzmarktrichtlinie Mifid II hat Anforderungen für “freiwillig errichtete” CT-Anbieter festgelegt, sieht aber keine zwangsweise Etablierung eines CT in der EU vor. Und sie zwingt Handelsplätze und Datenbereitstellungsdienste auch nicht, einem CT-Anbieter Transaktionsdaten zuzustellen. Nachhandelsdaten im Fokus Allerdings haben es EU-Rat und -Parlament für notwendig erklärt, Vorkehrungen für einen im Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens zu ernennenden CT zu treffen, falls es nicht zeitnah zur Entstehung eines effektiven und umfassenden CT für Aktien und aktienähnliche Instrumente kommen würde. Ein CT ist ein Datendienst, der Kurse unterschiedlicher Handelsplätze konsolidiert zur Ansicht bietet. Marktteilnehmer haben dadurch die Möglichkeit, die Kurse von an mehreren Handelsplätzen gehandelten Wertpapieren miteinander zu vergleichen bzw. sich einen Gesamtmarktüberblick zu verschaffen. In den USA gibt es so etwas bereits seit den 1970er Jahren. Die Börsen müssen dort Vorhandelsdaten sowie Nachhandelsdaten in Echtzeit an ein CT senden. Im Unterschied dazu zielt die EU-Initiative ausschließlich auf Nachhandelstransparenz.In ihrem Konsultationspapier äußert sich die ESMA enttäuscht darüber, dass es trotz der seit vielen Jahren anhaltenden Diskussion noch keinen umfassenden regulierten CT in der EU gibt. Ein solcher CT hätte, so die ESMA, den Vorzug, Nachhandelsinformation über die Aktivität in jeder Aktie und in jedem aktienähnlichen Instrument rechtzeitig, in einfach zugänglicher Weise auf einer einzigen Plattform und in einem einheitlichen Format zur Verfügung zu stellen. Er würde der europäischen Aufsicht zufolge in die Verbesserung der Qualität der berichteten Daten investieren, um den Marktteilnehmern sinnvolle Information zu bieten. Sie verweist darauf, dass ein CT die Informationen im Vergleich zum Bezug der Daten von jedem einzelnen Handelsplatz und Datenbereitstellungsdienst zu niedrigeren Preisen anbieten würde. Nicht zuletzt ist die ESMA der Auffassung, dass das Fehlen eines umfassenden CT dem Ziel eines integrierteren europäischen Kapitalmarkts zuwiderläuft.Nun ist es aber nicht so, dass es keine konsolidierten Datenangebote in der EU gäbe, so dass sich im Prinzip die Frage stellt, ob sich der mit der Etablierung eines CT verbundene Aufwand überhaupt lohnt. Marktteilnehmer haben die Möglichkeit, die Handelsdaten verschiedener Plattformen etwa für die Siemens-Aktie anzuschauen. Die bestehenden Anbieter sind allerdings frei in der Gestaltung ihrer Dienstleistung. Sie können entscheiden, welche Plattformen und welche Anlageinstrumente sie einbeziehen. Damit wird aber das Ziel eines alle Plattformen und alle Instrumente umfassenden Angebots verfehlt. Die ESMA verweist außerdem auf gravierende Mängel bestehender Datenangebote von Handelsplattformen, Datenbereitstellungsdiensten und Daten-Vendoren. So fehlen etwa bei einigen Anbietern wichtige Informationen wie die ISIN und der Transaktionszeitpunkt. Ferner gibt es u. a. doppelte Datenmeldungen im außerbörslichen Handel und werden Aktieninstrumente als Nichtaktieninstrumente gekennzeichnet und umgekehrt. Mehr als 150 DatenquellenEin umfassender CT würde diese Probleme lösen, stünde aber vor enormen Herausforderungen. Die ESMA zählt mehr als 150 in der EU aktive börsliche und außerbörsliche Handelsplattformen sowie Datenbereitstellungsdienste. Ein CT müsste den enormen Aufwand auf sich nehmen, die Daten von all diesen Plattformen und Diensten einzubeziehen. Enormer Aufwand entstünde auch dadurch, dass die Daten aller Aktien sowie aktienähnlicher Instrumente, d. h. ETFs, Zertifikate, aktienvertretende Zertifikate etc. erfasst werden müssten. Letzteres ist auch sehr kostspielig. Die Handelsplattformen und Datenbereitstellungsdienste berechnen laut der ESMA für ihre Daten im Durchschnitt 69 000 Euro, so dass ein jährlicher Aufwand von rund 10 Mill. Euro anfallen würde. Dabei ist allerdings unklar, was sie einem regulierten CT berechnen würden, da es diesen noch nicht gibt. WettbewerbsnachteileLetztlich stellt sich somit die Frage, wie die wirtschaftliche Tragfähigkeit eines regulierten CT gewährleistet werden kann. Er stünde in Wettbewerb mit nicht regulierten CT-Anbietern und Daten-Vendoren, die wesentlich geringere Auflagen erfüllen müssen, sprich mit deutlich geringerem Aufwand arbeiten können. Zudem muss der CT die unverzüglich zur Verfügung gestellten Nachhandelsdaten eine Viertelstunde nach der Veröffentlichung kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Es bleibt ihm also – anders als den Daten-Vendoren – nur ein enges Zeitfenster von 15 Minuten, in dem er aus seinen Daten Erlöse generieren kann. Zudem sind die Daten-Vendoren nicht an die Auflage gebunden, die Daten zu möglichst moderaten Preisen, auf einer sogenannten “Reasonable Commercial Basis”, anzubieten, was bedeutet, im Wesentlichen kostendeckend zu arbeiten und einen allenfalls bescheidenen Gewinn zu erwirtschaften.Laut ESMA sind die genannten Hürden wohl der Grund dafür, dass es noch keinen umfassenden CT gibt. Sie drängt auf die Etablierung eines CT und hat etliche Ansätze für die Gewährleistung der wirtschaftlichen Tragfähigkeit eines CT zur Diskussion gestellt, die aber zum Teil mit erheblichen Markteingriffen einhergehen würden. So erklärt sie in ihrem Konsultationspapier, dass angesichts der Wettbewerbsvorteile der Daten-Vendoren überlegt werden könnte, diese zu zwingen, entweder sich als regulierte CTs autorisieren zu lassen oder sich aus dem Geschäft mit konsolidierten Nachhandelsdaten zurückzuziehen. Ferner stellt sie zur Diskussion, wie in den USA Handelsplattformen und Datendienste zu zwingen, ihre Daten an einen CT zu übermitteln. Ebenfalls nach US-Vorbild sieht sie einen Ansatz auch darin, Investmentfirmen zur Nutzung des CT zu verpflichten, weil dies dem CT eine auskömmliche Anzahl von Nutzern bringen würde. Letzteres wirft Probleme auf, wie die ESMA konzediert. Denn es würden auch Firmen mit lokaler Ausrichtung, die Daten aller EU-Plattformen gar nicht brauchen, mit Kosten belastet, die nicht unbedingt legitim erscheinen.