Ende eines Sommermärchens

Die Rally des Euro ist zu Ende, und das liegt vor allem an den Notenbanken

Ende eines Sommermärchens

Dem Euro ist die Luft ausgegangen. Nach einer rasanten Aufwertung gegenüber dem Dollar während des Sommers kam die Gemeinschaftswährung zuletzt wieder unter Druck. Dies liegt insbesondere an den Notenbanken, aber auch an der europäischen Politik.Von Stefan Schaaf, FrankfurtIn den zurückliegenden Sommermonaten ist bei nicht wenigen Währungsanalysten etwas Panik aufgekommen. Sie hatten intern, aber auch für Kunden und die Öffentlichkeit eine weitere Euro-Abwertung prognostiziert. Doch die Währung hielt sich nicht daran. Angetrieben vom kräftigen Wachstum in der Eurozone und zunehmender Enttäuschung über das Ausbleiben einer von Präsident Donald Trump befeuerten Inflation in den USA (“Trumpflation”) stieg und stieg der Euro. Am 8. September erreichte er ein Zweieinhalbjahreshoch von 1,2092 Dollar. “Die Erwartungen waren hoch, sind aber bisher unerfüllt geblieben”, schreiben die Währungsanalysten von Bank of America Merrill Lynch im Hinblick auf die bisherige Trump-Präsidentschaft.Viele Analysten hoben während des Sommers ihre Euro-Dollar-Prognosen nicht nur deutlich an, viele entwickelten sich sogar von Euro-Bären zu Euro-Bullen. Doch kaum waren die ganzen Prognosen angehoben, schließlich hatte der Euro in der Spitze dieses Jahr 15 % zum Dollar aufgewertet, ging ihm auch schon wieder die Luft aus. Seit seinem Jahreshoch hat er bereits rund 4 % eingebüßt und fiel am Dienstag bis auf 1,1585 Dollar zurück; gestern pendelte er um 1,16 Dollar. Prozyklische Prognoseanpassungen erwiesen sich einmal mehr als Kontraindikator.Kein Zweifel, das Sommermärchen des Euro-Wechselkurses ist zunächst einmal wieder vorbei. Das hat mit der Politik und der Markttechnik zu tun, aber insbesondere mit komplett gewandelten Erwartungen an die beiden global wichtigsten Notenbanken, die Europäische Zentralbank (EZB) und die Federal Reserve (Fed). Während die EZB sich als unerwartet moderat erwiesen hat, traut der Markt der Fed inzwischen – anders als im Sommer – weitere Zinserhöhungen zu. Die nächste könnte schon bei der nächsten Sitzung des Offenmarktausschusses am 13. Dezember erfolgen und würde den Leitzins voraussichtlich um 25 Basispunkte auf eine Spanne von dann 1,25 bis 1,50 % steigen lassen. “Die Fed ist wahrscheinlich die straffeste unter den G 3-Notenbanken”, schreibt BNY Mellon. Zu den G 3 zählt neben EZB und Fed die Bank of Japan.Unterstützt wird diese Erwartung von anhaltend robusten Konjunkturdaten, so zeichnet sich für das Gesamtjahr ein Wachstum der US-Volkswirtschaft von über 3 % ab. Allerdings dürfte rein von der Wachstumsseite her kaum Bewegung auf den Euro-Dollar-Kurs ausgehen, denn auch die Eurozone wächst so kräftig wie seit langem nicht mehr, und das nicht nur wegen der starken Konjunktur in Deutschland.Haupttreiber für den jüngst schwächeren Euro war nach Einschätzung von Analysten insbesondere die jüngste Pressekonferenz von EZB-Präsident Mario Draghi. Zwar will die Notenbank ihre Anleihekäufe im nächsten Jahr auf 30 von 60 Mrd. Euro monatlich herunterfahren, Draghi ließ jedoch offen, ob die quantitative Lockerung tatsächlich schon im September 2018 endet. Die Erwartung einer Ausweitung der Zinsdifferenz zwischen den beiden Währungsräumen übertrug sich direkt in Form einer Euro-Abwertung. Draghi lässt sich ZeitDraghi ließ zudem offen, wann die EZB erstmals seit der Krise wieder die Zinsen anheben wird, was voraussichtlich beim Einlagensatz von derzeit minus 0,4 % beginnen würde. “Der Euro dürfte auf ein Signal, dass sich eine Abkehr von negativen Zinsen nähert, in hohem Maße reagieren”, erwartet George Saravelos, Währungsstratege der Deutschen Bank.Gegenwind erhielt der Euro zuletzt aber auch von der politischen Seite, nachdem sich im Sommer noch die Ansicht durchgesetzt hatte, die Gemeinschaftswährung werde wieder “normal” gehandelt, also auf Basis erwarteter Wachstums-, Inflations- und Zinsdifferenzen. Nach dem Wahlsieg von Emmanuel Macron bei den französischen Präsidentschaftswahlen hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, die europa- und eurofeindliche populistische Welle werde wieder abebben. Schließlich wird der Euro aufgrund der Konstruktion der Währungsunion ohne fiskalischen Verbund immer mit einem gewissen Risikoabschlag gehandelt. Denn auf Basis der OECD-Kaufkraftparitäten wäre er aktuell mit rund 1,33 Dollar fair bewertet.Doch die Politik kam jüngst wieder ins Spiel mit der Katalonien-Krise, der komplizierten Regierungsbildung in Deutschland und nicht zuletzt im Hinblick auf die Parlamentswahlen in Italien. Dort erstarkten jüngst bei der Regionalwahl in Sizilien Kräfte wie die “Fünf Sterne”-Bewegung, welche über einen Austritt aus der Währungsunion oder eine Parallelwährung öffentlich philosophieren. “Ich kann hier keine guten Nachrichten für den Euro erkennen”, betont Kit Juckes, Währungsexperte der Société Générale. Er sieht in der Politik auch das einzige ernsthafte Hindernis für eine erneute Euro-Aufwertung im kommenden Jahr.Schließlich erhielt der Euro jüngst Gegenwind von spekulativen Positionierungen und der Charttechnik. Berechnungen der Société Générale zufolge haben Anleger ihre Positionierungen auf einen steigenden Euro jüngst reduziert (siehe Grafik). Sollte sich dieser Trend fortsetzen, so sollte dies dem Dollar – gemessen am Dollar-Index – helfen, weiter zu steigen. Der Dollar-Index enthält zwar sechs Industrieländer-Währungen, wird jedoch vom Euro dominiert.Letztlich lastete jüngst auch die Charttechnik auf dem Euro, nachdem er während der Draghi-Pressekonferenz ins Rutschen gekommen war. Das nutzen viele Akteure angesichts des nahenden Jahresendes für Gewinnmitnahmen, immerhin liegt der Euro aktuell gegenüber dem Dollar noch immer rund 10 % im Plus. Allerdings könnte dieser Effekt schon bald auslaufen. BNY Mellon beobachtet bereits erste Gewinnmitnahmen im Dollar, allerdings bislang insbesondere in Dollar/Yen.Für den Rest des Jahres zeichnet sich nach Einschätzung von Marktteilnehmern für den Euro-Dollar-Kurs eher eine Seitwärtsbewegung mit Schwankungen um das aktuelle Niveau ab. Der aktuelle Reuters-Konsens beläuft sich auf 1,18 Dollar, einige von der Börsen-Zeitung befragte Banken liegen leicht darunter, einige leicht darüber. Von Seiten der EZB erwarten Experten für dieses Jahr keine neuen Impulse mehr, so dass sich der Blick stärker auf die USA richtet. “Mögliche neue Impulse dürften in nächster Zeit wohl eher von der Dollar-Seite kommen”, betont Thu Lan Nguyen, Währungsanalystin bei der Commerzbank. “So ist beispielsweise die Führungsfrage bei der Fed noch nicht final geklärt. Schließlich kann der US-Präsident aktuell noch drei Posten im Board of Governors der US-Notenbank besetzen und nach Yellens Rücktritt im Februar sogar noch einen vierten.” Fed-Präsidentin Janet Yellen wurde von Trump nicht für eine zweite Amtszeit nominiert. Ihr soll Jerome Powell folgen, von dem eine Fortsetzung der bisherigen Geldpolitik erwartet wird. US-Steuerreform im BlickEin zweiter Aspekt für die Dollar-Entwicklung ist die geplante US-Steuerreform, bei der insbesondere Unternehmenssteuern sinken sollen. Damit verbunden ist die Hoffnung von Marktakteuren, dass die USA doch noch eine inflationierende Politik über ein höheres Defizit anstreben, was zu steigenden Zinsen führen würde, dem sogenannten Trump Trade. “Die Steuerreform bietet eine Chance zur Erlösung, aber die Märkte werden vor der Wiederbelebung des Trump Trade zurückhaltender sein”, betont Merrill Lynch. “Da der Dollar zunehmend nicht mehr auf US-Makrodaten reagiert, dürften technische und quantitative Treiber sowie positive saisonale Effekte im November den Dollar stützen.”Vor zu großen Erwartungen an die US-Steuerreform warnt auch Raiffeisen Capital Management. “Der Dollar-Aufwärtstrend wird nicht so weitergehen, weil die US-Steuerreform noch nicht in trockenen Tüchern ist. Das schwächt den Dollar etwas”, sagt Christian Zima, Fondsmanager im Team Rates & FX bei dem Vermögensverwalter.Die Erwartungen an Geldpolitik und Politik dürften auch die Prognosen für das kommende Jahr beeinflussen, welche die Analysten in Kürze vorlegen werden – vor dem Hintergrund der jüngsten Euro-Abwertung.