LEITARTIKEL

Erlösung für Schwellenländer

Nach einer langen und schmerzhaften Durststrecke wittern die Aktienmärkte der Schwellenländer Morgenluft. Gemessen am Sammelindex MSCI Emerging Markets haben sie seit Jahresbeginn in der Spitze um rund 8 % zugelegt und damit die Aktienmärkte, deren...

Erlösung für Schwellenländer

Nach einer langen und schmerzhaften Durststrecke wittern die Aktienmärkte der Schwellenländer Morgenluft. Gemessen am Sammelindex MSCI Emerging Markets haben sie seit Jahresbeginn in der Spitze um rund 8 % zugelegt und damit die Aktienmärkte, deren Index rund 6,5 % gewonnen hat, geschlagen. Das Ende ihrer Outperformance ist wenig verwunderlich. Denn das Hauptproblem, das ihnen im zurückliegenden Jahr so stark zugesetzt hat, ist verschwunden.Der Schwenk in der Geldpolitik der US-Notenbank Fed, von der vor noch nicht allzu langer Zeit noch eine bis ins Jahr 2020 reichende Serie weiterer Zinsschritte erwartet wurde, ist für die Aktienmärkte der Schwellenländer eine Erlösung. Denn damit sind die stark von Kapitalzuflüssen aus den Industrienationen abhängigen Emerging Markets von dem Risiko befreit, dass in den Vereinigten Staaten anziehende Zinsen massiv Gelder in US-Assets ziehen, die für Anlagen in den Schwellenländern nicht mehr zur Verfügung stehen. Im Gegenteil: Sehr niedrig bleibende Zinsen im Euroraum und in Japan sowie voraussichtlich auf tiefere Niveaus sinkende US-Anleiherenditen werden nun Schwellenländeranlagen tendenziell wieder attraktiv machen. Hinzu kommt, dass nun auch kein stärkerer Dollar-Anstieg mehr zu befürchten ist, was die in der US-Währung verschuldeten Staaten und Unternehmen entlastet.Wie entscheidend die US-Geldpolitik ist, zeigt sich daran, dass der MSCI Emerging Markets auf den höchsten Stand seit rund vier Monaten kletterte, nachdem die Fed im Anschluss an die Sitzung ihres Offenmarktausschusses nochmals sehr deutlich signalisierte, dass sie eine Zinserhöhungspause einlegt. Ein weiterer Beleg: Die von Bank of America Merrill Lynch befragten Fondsgesellschaften kürten die Schwellenländer im Dezember zur am stärksten favorisierten Anlageregion. Dass dies in einem Umfeld von starker Risikoaversion geschah, die normalerweise für die Emerging Markets abträglich ist, war nur möglich, weil führende Fed-Vertreter die Marktteilnehmer beinahe täglich darauf einstimmten, dass der US-Leitzins bei weitem nicht so stark steigen wird wie zuvor befürchtet. Indes spricht nicht nur die Wende der Fed dafür, dass Schwellenländeraktien sich in nächster Zeit positiv entwickeln könnten. Hinzu kommen unter anderem stark gesunkene, deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt liegende Bewertungen. Das globale Wachstum verlangsamt sich zwar, aber die Weltwirtschaft steht nach allem, was derzeit erkennbar ist, nicht unmittelbar vor einer Rezession. Aus Sicht der Emerging Markets ist dabei von Bedeutung, dass sich den Schätzungen des Internationalen Währungsfonds zufolge ihr Wachstumsvorsprung vor den Industrieländern wieder ausweiten wird. Entsprechendes zeichnet sich damit für die relative Entwicklung der Unternehmensgewinne ab.Eine Hürde bleibt vorerst der Handelsdisput zwischen China und den USA. Er hat dazu beigetragen, dass sich das Wachstum Chinas, das für viele Schwellenländer wichtig ist, abschwächt. Zudem sind die Emerging Markets insgesamt gesehen überproportional stark vom Welthandel abhängig. Aber auch in dieser Hinsicht zeichnet sich eine positive Lösung ab. Erst gestern signalisierte US-Präsident Donald Trump, dass sich die Gespräche auf einem guten Weg befinden. Kommt es vor dem 1. März, an dem die Zollerhöhung auf Einfuhren aus China droht, zu einem “Deal” zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt, würde das den Emerging Markets einen weiteren Schub verleihen.Über die kurz- bis mittelfristige Perspektive hinaus muss jedoch die Entwicklung der Weltwirtschaft unter genauer Beobachtung bleiben. Nachdem die amerikanische Geldpolitik aus Sicht der Emerging Markets als Risikofaktor weitgehend entschärft worden ist, ist das globale Wachstum nun zum bestimmenden Faktor für die Schwellenländer geworden. Über kurz oder lang wird der bereits sehr lang anhaltende Konjunkturzyklus in den USA enden. Wann eine Rezession kommt, ist nur eine Frage der Zeit, Experten diskutieren lediglich darüber, ob es 2020 oder noch ein bis zwei Jahre später so weit ist. Eine deutlichere konjunkturelle Abschwächung in den Vereinigten Staaten würde für einen schwächeren Dollar und noch tiefere amerikanische Zinsen sorgen, was den Schwellenländern im Prinzip zugutekäme. Ab einem gewissen Punkt würde sich eine Abkühlung der Weltwirtschaft jedoch auch bei ihnen negativ bemerkbar machen.—–Von Christopher KalbhennDer Schwenk in der Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed ist für die Aktienmärkte der Schwellenländer eine Erlösung.—–