IM INTERVIEW: NEIL DWANE, GLOBAL STRATEGIST ALLIANZ GLOBAL INVESTORS

"Es gab ziemlich viel irrationale Übertreibung"

Der Anlageexperte über die Krise einiger Schwellenländer, politische Risiken und Chancen in einem Marktumfeld mit Gegenwind

"Es gab ziemlich viel irrationale Übertreibung"

Der globale Stratege des Vermögensverwalters Allianz Global Investors, Neil Dwane, hält die Einführung von neuen Zöllen für weniger problematisch als die Vorgaben, einen bestimmten Teil der Wertschöpfung nur noch lokal zu produzieren. Durch den Liquiditätsentzug der Notenbanken, einen Umbau der chinesischen Wirtschaft, der Wachstum dämpft, sowie politische Unsicherheiten gibt es Gegenwind für die Märkte. Eine sich ausbreitende Krise der Schwellenländer erwartet Dwane jedoch nicht.- Herr Dwane, was sind aus Ihrer Sicht derzeit die kritischen Faktoren in Bezug auf die Kapitalmarktentwicklung?Das Goldlöckchen-Wachstumsumfeld – also robustes, aber nicht zu kräftiges Wachstum bei geringer Inflation – gestaltet sich uneinheitlicher und wird regional fragmentiert. Die USA profitieren von einem Fiskalstimulus der Trump-Regierung. China baut zugleich seine Wirtschaft hin zu einer ausgeglichenen Struktur um und ist nicht mehr länger das Zugpferd für die globale Wirtschaft. China wird eher stabil als wachsend sein.- Das bedeutet?Der fehlende Wachstumsimpuls aus Asien wird auch die Exportaktivität etwa in Deutschland und in der europäischen Industrie bremsen. Wir denken, der Fragmentierungsprozess des Wachstums wird weitergehen. Zudem steigen die Zinsen. Wir erwarten in diesem Jahr noch zwei Zinsschritte in den USA und für nächstes Jahr drei Anhebungen. Ende 2018 werden wir auch das Ende der quantitativen Lockerung durch die Europäische Zentralbank EZB sehen. Die dadurch einsetzende Liquiditätsverknappung beeinflusst die Märkte und die Wirtschaftsentwicklung.- Beeinflusst dies nur die sogenannten Ränder des Marktes beziehungsweise weniger liquide Segmente wie Schwellenländer, oder ist dies ein tiefer gehendes Phänomen?Über die Zeit wird dies stufenweise ein tiefer gehendes Problem werden. Die Verwerfungen, die wir in Argentinien sehen, sind doch sehr viel schneller aufgetreten, als wir noch vor einem Jahr erwartet hätten. Womöglich hat die Zehnjahresperiode, die von Jagd nach Rendite und vom Einsatz von Fremdkapital geprägt war, weiter gehende Auswirkungen auf die Märkte, als wir alle denken. Obwohl die volkswirtschaftlichen Fundamentaldaten in vielen Schwellenländern noch vor kurzem nicht so schlecht waren – gerade auch in Argentinien -, ist es zu einer Überreaktion des Marktes gekommen. Auch weil die Investoren überpositioniert waren in Argentinien, Indien, Indonesien und in der Türkei. Für das verbleibende Jahr wird es wichtig sein zu beobachten, ob sich daraus eine negative Rückkoppelung auf die Konjunktur ergibt. Beispielsweise sind die Refinanzierungsmöglichkeiten in der Türkei eingeschränkt. Es kann sein, dass dies 2019 eine Rezession bringt, die wiederum eine weiter gehende negative Rückkoppelung auslöst. In Argentinien hat der Markt wegen weniger rasch vorangetriebenen Reformen das Vertrauen in die Regierung verloren. Beide Fälle sind leicht unterschiedlich gelagert, aber die Märkte haben entschieden, den ersten Schuss abzugeben. Die Investoren trennen sich nun von Schwellenländer-Assets, und zwar dort, wo es politische Risiken gibt, und nicht nur Finanzierungs- und Positionierungsrisiken.- Ist das ein isoliertes Phänomen, oder könnte sich das auf andere Schwellenländermärkte ausbreiten?Jedes Schwellenland hat derzeit sein eigenes idiosynkratisches Risiko. Es fühlt sich nicht danach an, dass es zu einer umfassenden Schwellenländerkrise kommt. Aber die Fingerabdrücke der Mörder, um das einmal so zu sagen, sehen überall ähnlich aus. Alle Schwellenländer, die in Schwierigkeiten geraten sind, haben Doppeldefizite, also ein Haushalts- und Handelsdefizit. Viele haben politische Schwierigkeiten, sei es Präsident Wladimir Putin in Russland, der mit US-Sanktionen zu kämpfen hat, sei es die Korruption in Brasilien, seien es Enteignungen in Südafrika, sei es die nächste Runde in den indischen Wahlen. Jeder Fall birgt eigene Risiken. Die Investoren fragen sich, ob sie für diese Risiken derzeit bezahlt werden. Der Risikoappetit war zuletzt ja erstaunlich, so fand eine hundertjährige Anleihe Argentiniens Abnehmer, obwohl das Land in den vergangenen hundert Jahren siebenmal pleitegegangen ist. Die Risikoprämie für Schwellenländer war zu gering. Es gab ziemlich viel irrationale Übertreibung. Im Fall Argentiniens haben die Investoren die Greater-Fool-Theorie angewandt und gehofft, die Papiere wieder weiterverkaufen zu können.- Sind die Risikoprämien nun wieder angemessener?Die Märkte haben womöglich überreagiert, aber man muss sich das von Fall zu Fall ansehen. Das große Thema des Tages ist, wie es im Handelskonflikt zwischen den USA und China weitergeht. Bei einer Eskalation dürfte die ganze Welt der Verlierer sein. Deswegen sind die Anleger zu nervös, um größere Investitionsentscheidungen umzusetzen, bis sie klarer sehen. Zum einen, was mögliche neue Zölle auf chinesische Importe in die USA im Volumen von rund 200 Mrd. Dollar anbelangt, zum anderen werden wir bis November abwarten müssen, wie sich die US-Politik weiter entwickelt. Es gibt also bestimmte Schlüsselfaktoren, aber über alldem stehen steigende Zinsen und eine Liquiditätsverknappung. So gibt es für die Märkte Gegenwind.- Was sind die Kriterien, an denen Sie das messen?Wir achten auf die Höhe der Kreditrisikoprämien im Bereich Unternehmensanleihen oder Länderanleihen. Wegen der quantitativen Lockerung und der negativen Zinsen in Europa sowie der niedrigen Zinsen in den USA waren fast alle Anleger gezwungen, womöglich mehr Risiko einzugehen, als sie wollten. Das war auch die Absicht der Zentralbanken. In den Aktienmärkten gibt es bereits eine Bewertungsdifferenzierung. Die Unternehmen, die von der digitalen Disruption profitieren, sind sehr viel höher bewertet als Unternehmen, die darunter leiden. Die Gewinner werden FAANGs genannt, also Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google. Viele andere sind die Verlierer.- Kommt es zu einer grundsätzlich neuen Situation an den Märkten durch die Kombination von steigenden Zinsen, politischen Risiken und Schwellenländerproblemen?So wie die Märkte reagiert haben, beginnt es, nach etwas Neuem auszusehen. Viele bisherige Korrelationen sind nicht mehr gültig. So hat sich der US-Markt etwa von vielen anderen Assets abgekoppelt, obwohl die zugrunde liegenden Fundamentaldaten gar nicht so stark anders sind. Was sich schnell ändert, ist der Kurswechsel der Notenbanken und damit verbunden der Einfluss auf die Liquidität in den Märkten. Das ist etwas Neues, was wir seit elf Jahren nicht erlebt haben. Für Investoren, Risikonehmer und Schuldner bringen steigende Zinsen unterschiedliche Herausforderungen und Bedrohungen mit sich. Das muss der Markt erst noch abschätzen.- Ein Vergleich der Entwicklung europäischer Aktienbenchmarks mit den US-Indizes zeigt, wie stark Europa zurückliegt. Warum?2017 machte der Technologiesektor in Asien und den USA rund ein Drittel der Indizes aus, und in Europa war es vielleicht ein Zehntel. Das einzige wirklich globale europäische Hightech-Unternehmen ist SAP. Außerdem haben die USA, Großbritannien und die Niederlande ihren Bankensektor insgesamt wiederhergestellt, während dies in Japan in den vergangenen dreißig Jahren nicht geschah. Auch viele deutsche, spanische und italienischen Banken haben noch Probleme. Deswegen hat Europa so eine enttäuschende relative Performance gezeigt.- Angesichts der verringerten Liquidität in den Märkten, wo sollte ein Investor positioniert sein?Es gibt fast keine Rendite auf breite Anleihensegmente, und die EZB wird in den nächsten zwölf Monaten nicht die Zinsen anheben. Ein europäischer Investor kauft deswegen seinen Aktienmarkt, der ein gewisses Exposure auch zu Asien und den USA bietet, zu einer relativ attraktiven Bewertung und Dividendenrendite. Aber Aktien sind volatil. Er kann auch in die Immobilienmärkte investieren, die aber weniger liquide sind, oder international diversifizieren. Für Anleiheinvestoren oder große Versicherungskonzerne ist es attraktiv, in kürzer laufende US-Anleihen mit rund 2 % Rendite zu investieren. Sie sind ein akzeptabler Ort, um Geld zu parken. Insgesamt gibt es aber nicht so viele Zuflüsse in europäische Aktien oder Bonds, wie man vielleicht erwarten könnte.- Wie attraktiv ist Europa?Für internationale Investoren ist attraktiv, dass es in Europa viele gut geführte, konservativ finanzierte Unternehmen gibt, aber sie haben auch den Brexit und die Probleme in Italien zu berücksichtigen. Deswegen kaufen einige Unternehmen wie etwa Coca-Cola britische Firmen wie Costa Coffee mit einem Zeithorizont von zehn Jahren oder mehr. Kurzfristig aber ist die Frage, warum sollte man in Europa investieren, wenn sich Brüssel und Rom streiten?- Also spricht dies gegen europäische Unternehmen?Investoren sollten auf die Bewertung achten. Es gibt keinen Zweifel, dass es viele attraktive europäische Unternehmen gibt, aber sie bieten nicht das Wachstumspotenzial der FAANGs, und sie sind gegenüber politischen Unsicherheiten exponiert. Viele unserer institutionellen Kunden schauen sich den britischen Markt an. Auf Fünf- oder Zehn-Jahressicht nach dem Brexit wird sich Großbritannien wohl erholt haben. Und dies mit einer eigenen Landeswährung. Die Frage ist für diese Investoren nur, ob sie die Assets derzeit günstig genug erhalten. Im Vergleich dazu stellt sich vielleicht bei Spanien oder Italien die Frage, was geschehen würde, wenn die dortigen Assets plötzlich wieder in Peseta oder Lira gepreist würden, und damit vielleicht 30 % oder 40 % niedriger als heute.- Die Einführung einer Parallelwährung in Italien würde das Land auf eine abschüssige Bahn bringen, was den Euro-Erhalt anbelangt.Ja, das Problem ist, dass die schiere Größe des Landes und seiner Verbindlichkeiten den Markt dazu bringen dürfte zu erwarten, dass die Lira wieder eingeführt werden muss.- Was könnte eine Lösung sein? Es braucht einen politischen Konsens, zugleich steigt der Druck.Um ehrlich zu sein, ist der Gewinner der vergangenen zwanzig Jahre in Europa Deutschland. Und Deutschland muss letztlich die Verlierer finanzieren. Aber in Realität wird in Deutschland stattdessen darüber diskutiert, dass die Italiener ihre Steuern nicht bezahlen und dass sie ihre Probleme nicht hätten, wenn sie ihre Wirtschaft besser managen würden. Egal ob richtig oder falsch, dies löst aktuell die Probleme nicht.- Wer in Deutschland lebt, hat aber nicht unbedingt das Gefühl, auf der Gewinnerseite zu stehen.Das mag sein. Am Ende ist es eine politische Entscheidung. Kanzlerin Angela Merkel dürfte nicht wiedergewählt werden, wenn sie einen Scheck über 1 Billion Euro für Europa unterzeichnet. Die Bundesbank hat aber über Target2 diesen Scheck schon ausgestellt. Es gibt keine gemeinsame Einlagensicherung, und der Brexit hat eine bedeutende Frage gestellt: Was ist die Zukunft von Europa?- Um auf die Anfangsfrage zurückzukommen: Was empfehlen Sie konkret als Investition?Es gibt, auch unabhängig davon, was US-Präsident Donald Trump macht, viele Opportunitäten, weltweit zu wachsen. Ein Beispiel der Vergangenheit ist das spanische Unternehmen Inditex, das in den USA und Asien noch wachsen kann. Oder SAP: Das Unternehmen ist gut positioniert, das Gleiche trifft auch auf Adidas zu. Alternativ lassen sich Unternehmen mit hohen Dividendenrenditen kaufen, mit 5 bis 6 % Dividende. Das könnten die großen Ölkonzerne sein, die von einem eher steigenden Ölpreis profitieren dürften, oder große Versicherungsunternehmen, die eine hohe und sichere Dividende bieten. Das wäre eher eine defensive Strategie. Im Bereich Small und Mid Caps spricht für ein Engagement, dass die europäische Wirtschaft weiterhin mit über 2 % pro Jahr wächst. Da gibt es viel innereuropäisches Geschäft, unbelastet von Handelskonflikten.- Und in anderen Assetklassen?Investoren, die wenig Risiko mit stetigem Ertrag wünschen, finden attraktive Möglichkeiten im US-High-Yield-Segment sowie in Anleihen mit variablem Kupon und in europäischen Aktien. Etwas aggressivere Anleger sollten einen Blick auf thematische Anlagen werfen, wie künstliche Intelligenz, sowie als Contrarian-Ansicht China als eine Anlageklasse. Wir schauen uns etwa chinesische Aktien und insbesondere A-Shares an.- Hat der Markt bereits ausreichend antizipiert, dass die US-Regierung auf chinesische Importgüter von rund 200 Mrd. Dollar neue Zölle erheben könnte?Ich denke, der Markt ist etwas zu nachlässig in der Einschätzung, was dies für Auswirkungen auf weltweite Lieferketten haben dürfte. Zölle selbst sind nichts, was großen Schrecken auslösen sollte. 25 % Steuer auf 200 Mrd. Dollar macht eine Belastung von 50 Mrd. Dollar für Chinas Wirtschaft, das entspricht weniger als 0,5 % des chinesischen Bruttoinlandsprodukts. 50 Mrd. Dollar wären auch weniger als 0,25 % der US-Wirtschaftsleistung. Wir sorgen uns eher um nichttarifäre Maßnahmen, wie etwa die Vereinbarung mit Mexiko, wo Produkte mit lokalem Inhalt produziert werden müssen. Die Forderung, nur lokal zu produzieren, kann Lieferketten ruinieren.—-Das Interview führte Dietegen Müller.