IM INTERVIEW: STEPHAN KUHNKE, BANTLEON

"Es gibt derzeit keine akute Rezessionsgefahr"

Leiter Anlagemanagement: Erhebliches Korrekturpotenzial am Geld- und Treasury-Markt - Aktienmärkte der Eurozone haben Aufwärtspotenzial

"Es gibt derzeit keine akute Rezessionsgefahr"

Stephan Kuhnke glaubt nicht, dass eine Rezession unmittelbar bevorsteht. Der Leiter Anlagemanagement des Assetmanagers Bantleon hält vor diesem Hintergrund auch die Erwartungen der Märkte an geldpolitische Maßnahmen für übertrieben. Für die Aussichten der Aktienmärkte des Euroraums ist er zuversichtlich. Herr Kuhnke, die Finanzmärkte werden derzeit von Rezessionsbefürchtungen geplagt. Droht Ihrer Einschätzung nach eine Rezession?Die Rezessionswahrscheinlichkeit ist zumindest nach Maßgabe der Kapitalmärkte gestiegen. So ist die US-Zinsstrukturkurve gemessen an den zwei- und zehnjährigen Treasuries unlängst invers geworden, was in der Vergangenheit ein zuverlässiger Indikator für eine Rezession war, sofern sich die Inversität als nachhaltig erwiesen hat. Allerdings zeigt die Erfahrung der Vergangenheit auch, dass nach der ersten Inversion der Kurve noch ein bis zwei Jahre vergehen, bis es zu einer Rezession kommt. Da die Rendite der zweijährigen Treasuries nach wie vor nur einen Basispunkt über der Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen liegt, kann man keinesfalls von einer nachhaltigen Inversion sprechen. Dass eine Rezession mittelfristig kommen kann, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen. Unserer Meinung nach wird dies aber frühestens im ersten Halbjahr 2021 der Fall sein. Diese Einschätzung wird auch von unseren Frühindikatoren bestätigt. Sie würden also zunächst Entwarnung geben?Es gibt derzeit keine akute Rezessionsgefahr. In den USA wurden jüngst starke Daten veröffentlicht, vor allem auf der Konsumseite. Wir rechnen für das dritte Quartal mit einem BIP-Wachstum von über 2 % und die Arbeitslosenrate ist unverändert sehr niedrig. Zudem haben sich zuletzt die Finanzierungskonditionen verbessert. Dass sich die zehnjährige Treasury-Rendite von 3,2 % auf 1,54 % in etwa halbiert hat, wirkt sich auch auf die Finanzierungskonditionen für Unternehmen positiv aus. Zudem steigern die niedrigeren Hypothekenzinsen die Erschwinglichkeit von Immobilien, was eine erhöhte Nachfrage nach Häusern zur Folge hat. Nicht zuletzt werden die Budgets der Eigenheimbesitzer durch die Umschuldungsmöglichkeit bei fallenden Zinsen entlastet. Lediglich der Industriesektor schwächelte zuletzt etwas. Dieser Trend wird sich bis zum Jahresende fortsetzen und damit das BIP-Wachstum belasten – eine Rezession sehen wir aber nicht. Liegen die Finanzmärkte also falsch?Die Kapitalmärkte schießen unseres Erachtens über das Ziel hinaus. Allerdings steht unsere Einschätzung unter dem Vorbehalt, dass die Zollkonflikte nicht eskalieren. Was erwarten Sie da?Seit China Ende August als Antwort auf die drohenden Zölle der USA seinerseits Zölle auf amerikanische Einfuhren im Umfang von 75 Mrd. Dollar angekündigt hat, und Donald Trump umgehend mit Erhöhungen der bereits verabschiedeten Zölle um 5 % reagiert hat, kann ein über Jahre anhaltender Konflikt nicht mehr ausgeschlossen werden. Bislang glaubten wir an eine Lösung des Konflikts, weil sich Trump eine Eskalation nicht leisten kann. Denn das würde die bevorstehende Abkühlung der US-Konjunktur nochmals verstärken und die Gefahr einer Rezession erhöhen, was seine Wiederwahl gefährden würde. Der US-Wähler belohnt Präsidenten bei guter Konjunktur und wählt sie bei schlechter Konjunktur ab. Welche Erwartungen haben Sie für die Eurozone?Wir erwarten auch für die Eurozone keine Rezession, sondern eine Stabilisierung beziehungsweise Belebung im weiteren Jahresverlauf. Die Impulse dafür kommen aus China, das bereits mit Gegenmaßnahmen auf die Wachstumsverlangsamung reagiert hat. So wurden die Mindestreservesätze und Geldmarktzinsen gesenkt, Steuererleichterungen verabschiedet und Investitionsanreize lanciert. Sofern der Handelskonflikt nicht eskaliert, sollte China an Dynamik zulegen, was den europäischen Exporten zugutekäme. Wie entwickeln sich die Aktienmärkte in diesem Umfeld?Für die Aktienmärkte der Eurozone erwarten wir eine Aufwärtstendenz, während wir in den USA bei im weiteren Verlauf nachlassender Dynamik Konsolidierungspotenzial sehen. Die jahrelange Outperformance der USA wird sich unserer Einschätzung nach in eine Outperformance Europas gegenüber den USA umkehren. Welche Sektoren bevorzugen Sie?Uns gefallen unter anderem Betreiber von Basisinfrastruktur, wie zum Beispiel Flughäfen, Mautstraßen und Sendemasten. Sie haben ein extrem günstiges Chance-Risiko-Profil, da sie über Geschäftsmodelle mit monopolartigem Charakter, hohen Markteintrittsbarrieren und aufgrund langjähriger Verträge über zuverlässige Zahlungsströme verfügen. Mit diesen Eigenschaften sind Infrastrukturbetreiber auch weniger zyklisch. Darüber hinaus ist Basisinfrastruktur ein langfristiger Wachstumsmarkt, müssen doch jährlich etwa 4 % des globalen Bruttoinlandsprodukts in diesem Bereich investiert werden. Daneben gefällt uns der Technologiebereich und hier insbesondere Unternehmen mit hohem Wachstumspotenzial aufgrund von Alleinstellungsmerkmalen in Schlüsseltechnologien, die Produktivitätssteigerungen im Fokus haben. Dabei bilden die drei strukturellen Technologietrends Industrie 4.0, Medizintechnik und autonome beziehungsweise elektrische Mobilität die Grundpfeiler. Der Kurswechsel der Geldpolitik hat die Anleihemärkte getrieben. Wie sieht Ihre Einschätzung der Geldpolitik aus?Auch bei der Geldpolitik haben die Märkte übers Ziel hinausgeschossen. Die amerikanischen Geldmarkt-Futures implizieren nahezu drei weitere Leitzinssenkungen der Fed in diesem sowie zwei für das kommende Jahr, insgesamt also noch fünf Senkungen um jeweils 25 Basispunkte. Das ist zu viel und passt überhaupt nicht zur wirtschaftlichen Lage der USA. Jerome Powell hat die Zinssenkung vom Juli als vorbeugenden Versicherungsschritt bezeichnet und zu verstehen gegeben, dass sie nicht der Beginn eines längeren Leitzinssenkungszyklus ist. Wir gehen davon aus, dass es eine weitere Senkung um 25 Basispunkte im September und eventuell einen finalen Schritt im Dezember geben wird. Das sollte es dann aber gewesen sein. Damit besteht erhebliches Korrekturpotenzial am Geld- und in der Folge auch am Treasury-Markt. Die Treasury-Renditen sind nur so stark gefallen, weil der Markt noch fünf Leitzinssenkungen erwartet. Was wird die Europäische Zentralbank machen?Wir erwarten für die EZB-Sitzung im September eine Senkung des Einlagesatzes um 20 Basispunkte auf -0,60 %. Zudem können wir uns vorstellen, dass die EZB die Anleihenkäufe wieder reaktiviert und neun Monate lang Anleihen kauft und dazu womöglich das Emittenten-Limit anhebt, weil sie etwa im Falle Deutschlands an die Grenze dessen kommt, was sie noch kaufen darf. Ein neunmonatiges Kaufprogramm würde einhergehen mit einer Verschiebung der Forward Guidance auf Ende 2020 oder Anfang 2021. Die Märkte preisen dies beziehungsweise sogar noch mehr bereits ein. Unserer Meinung wird der Markt vor den EZB-Beschlüssen zulegen und wieder korrigieren, wenn sie bekannt gegeben werden. Wie wird sich das auf Bundesanleihen auswirken?Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen sollte sich bis zum Jahresende auf die Nulllinie zubewegen. Bei einer aktuellen Verzinsung von -0,65 % würde das einen Kursverlust von 6 % bedeuten. Also Finger weg?Unsere Prognose gilt unter der Annahme, dass der Handelskonflikt nicht eskaliert, dass es zu keinem No-Deal-Brexit kommt und in Italien eine Koalition zwischen Fünf-Sterne-Bewegung und Sozialdemokraten zustande kommt. Es gibt aus rein fundamentalen Erwägungen heraus derzeit keinen akuten Grund, Bundesanleihen zu kaufen. Im Portfoliokontext sind topgeratete europäische Staatsanleihen jedoch unverzichtbar. Sie werden zur Absicherung gegen Krisen gebraucht. Wo der Boden der Zinsen sein wird, kann niemand genau prognostizieren. Wenn die Krisenherde eskalieren, kann die zehnjährige Bundrendite auch auf -1 % fallen, was einem Kurspotenzial von 3,5 % entspräche. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.