IM INTERVIEW: JESPER KOLL, WISDOM TREE

"Es ist ratsam, in Japans Strukturpolitik zu investieren"

Chefstratege setzt auf kleinere bis mittlere börsennotierte Unternehmen - Mittels Large Caps aus Tokio lässt sich in China investieren

"Es ist ratsam, in Japans Strukturpolitik zu investieren"

China gilt vielen Investoren als zukunftsträchtigster Markt Asiens. Der renommierte Japan-Kenner Jesper Koll rät aber zu Aktien aus dem Inselreich, mit denen sich einerseits das Investment-Thema China erschließen lässt, zum anderen aber auch in die robuste japanische Volkswirtschaft und insbesondere die Strukturpolitik der Regierung investieren lässt.- Herr Koll, japanische Assets, insbesondere Staatsanleihen, gelten als sicherer Hafen für Investoren. Darf man auch japanische Aktien als vergleichsweise sicher ansehen?Japanische Aktien sind sehr volatil. Ich würde eher sagen, dass das Risiko-Chance-Profil japanischer Dividendentitel für Spekulanten weltweit besonders interessant ist. Japan ist eines der Lieblingskinder der Makrohedgefonds, die über eine enorme Liquidität verfügen und mit größeren Beträgen von mehreren Milliarden Dollar kurzfristig spekulieren wollen. Das können Sie in keinem anderen asiatischen Land. Außerdem gibt es enorm hohe Korrelationen zwischen Wechselkurs und Aktienmarkt.- Was macht japanische Aktien aus Ihrer Sicht derzeit interessant?Japan ist ein bedeutender Frühindikator für die Weltwirtschaft generell und insbesondere für China. Betrachten wir beispielsweise die japanischen Investitionsgüterhersteller: Diese haben 2018 bereits im April und Mai einen Einbruch der Aufträge aus China um 60 bis 70 % verzeichnet. Für 2019 ist daher für diese Aktien das wichtigste Thema die Umsetzung der chinesischen Konjunkturpolitik. Es hat ja seit vergangenem Sommer progressive Fiskalspritzen gegeben, dazu geldpolitische und ordnungsrechtliche Bemühungen um die Konjunktur. Das werden wir meines Erachtens im Zahlenwerk der japanischen Konzerne aus dem Investitionsgütersektor in den kommenden zwei bis drei Monaten sehen. Es könnte also 2019 am japanischen Aktienmarkt durchaus positive Überraschungen geben. Gemäß der Konsensschätzung wird derzeit damit gerechnet, dass die Gewinne um durchschnittlich 5 % expandieren. Wir gehen jedoch von einem Anstieg um 15 % aus.- Damit würden Europa und die USA übertroffen.Das liegt zum einen an der Ausrichtung auf China und zum anderen daran, dass sich die japanische Binnenwirtschaft sehr stark entwickelt. Japan ist mittlerweile der stärkste Arbeitsmarkt unter den OECD-Ländern. Pro Monat werden etwa 150 000 neue Jobs geschaffen, bei einer Volkswirtschaft, die etwa nur ein Drittel der USA ausmacht. So steigt die Partizipationsrate, etwa von Frauen, aber auch von Männern stark an. Und ganz wichtig ist dabei, dass die Qualität der Arbeit steigt. Das bedeutet, dass nicht Teilzeitkräfte eingestellt werden, sondern Vollzeitkräfte.- Was treibt denn die japanische Binnenwirtschaft – außer China – so stark an?Das ist letztendlich der Arbeitsmarkt, unterstützt durch eine extrem pragmatische Fiskalpolitik. In Japan gibt es keine schwarze Null. Stattdessen wird kontinuierlich sowohl strategisch als auch taktisch der keynesianische Stimulus weitergeführt. So gab es allein 2018 zwei kleinere Nachtragshaushalte der Regierung, die jeweils 0,3 bis 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts ausgemacht haben. In den 1990er Jahren hatte es noch jeweils riesige Konjunkturpakete gegeben, deren Wirkung rasch verpuffte. Unter Premierminister Abe hat sich das gewandelt. Die Fiskalpolitik ist jetzt moderat expansiv. Das werden wir auch im laufenden Jahr sehen, was sich bereits im regulären Staatshaushalt zeigt. Im Oktober kommt zwar die Mehrwertsteuererhöhung von 8 % auf 10 %, wobei allerdings die Lebensmittel ausgenommen sind. Außerdem wird fiskalpolitisch gegengesteuert. So werden die Gebühren im Erziehungswesen gestrichen, und es werden die Zuschüsse zur Pflege von älteren Menschen erhöht. Zudem werden Konsumkupons, also letztlich Geldbeträge, an Haushalte mit den zwei niedrigsten Steuerklassen ausgegeben. Und außerdem gibt es ab April 5 % Preisnachlass, wenn bargeldlos eingekauft wird. Daher ist letztlich die japanische Binnenwirtschaft das eigentlich Interessante an den Investments im japanischen Aktienmarkt.- Wer profitiert davon besonders?Davon profitieren besonders die kleinen und mittleren Unternehmen, weil dort der Großteil der Gewinne aus der Binnenwirtschaft stammt. Für diese Firmen hat sich das Umfeld sehr positiv entwickelt. So ist beispielsweise im vergangenen Jahr die Zahl der Börsengänge auf einen Rekordwert gestiegen.- Wie hoch dürfte das Wirtschaftswachstum in Japan im laufenden Jahr ausfallen?Japan ist strukturell natürlich kein Land mit sehr hohem Wachstum. Über die kommenden fünf Jahre ist im Durchschnitt mit einem strukturellen Wachstum von 1 bis 1,25 % pro Jahr zu rechnen, wobei es dann noch einen Aufschlag oder Abschlag mit Blick auf den Zustand der Weltwirtschaft gibt. Für das laufende Jahr bin ich eher positiv gestimmt, weil ich glaube, dass China wieder der Antriebsmotor für die Weltwirtschaft sein wird. 20 % der Gewinne der japanischen Unternehmen stammen letztlich aus der Volksrepublik. Daher ist für 2019 durchaus mit einem Wirtschaftswachstum in Japan von 2 % zu rechnen. Im Gegensatz zu vielen anderen Marktakteuren bin ich daher für Wirtschaftswachstum und für die Ertragslage der Unternehmen optimistisch.- Wie hoch ist vor diesem Hintergrund denn das Bewertungsniveau am japanischen Aktienmarkt?Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Gewinnschätzungen für die kommenden zwölf Monate liegt derzeit bei lediglich 12. Das ist einer der niedrigsten Werte der vergangenen 50 Jahre. Schon von daher ist Japan für Anleger derzeit sehr interessant.- Japan werden schwerwiegende strukturelle Probleme wie die hohe Verschuldung und die ungünstige demografische Entwicklung nachgesagt. Sind dies Themen, die für Anleger immer noch eine große Bedeutung haben sollten?Die demografischen Probleme werden erst in der ferneren Zukunft akut. Insofern müssen sich Anleger darüber derzeit kaum Sorgen machen. Strukturelle Probleme gibt es auch in anderen Ländern wie beispielsweise in Deutschland oder China. In den 90er Jahren galt Japan als der kranke Mann Asiens. Es handelte sich um das einzige Land mit einer Bilanzrezession und einer Asset-Deflation. Nach der Finanzkrise, die die Probleme in den anderen Weltregionen beleuchtet hat, sieht man Japan wesentlich gelassener. So hat sich ja beispielsweise der US-Ökonom Paul Krugman für das entschuldigt, was er in den 1990er Jahren über Japan geschrieben hat. Letztlich hat Japan seine Entwicklung sehr klug vorangetrieben, weil es sich um einen sehr ausgeglichenen Entwicklungsansatz gehandelt hat. Heute kann man Japan in mancherlei Hinsicht als Vorbild ansehen. Japan ist das einzige G7-Land, in dem es eine durchsetzungsfähige und durchsetzungswillige ordnungsrechtliche und wirtschaftspolitische Führung gibt.- Was bedeutet das in der Praxis?In Deutschland würde man beispielsweise bei einer Staatsverschuldung von 280 % des Bruttoinlandsprodukts eine stark restriktive Fiskalpolitik fahren. Abe setzt hingegen darauf, pragmatisch gegenzusteuern: Mit der Steuererhöhung tritt er zwar auf die Bremse, alimentiert dies aber mit strukturellen Stützungsmaßnahmen.- Unter welchen Umständen könnte die hohe Staatsverschuldung Japans wieder zu einem akuten Problem werden?Nun, die Regierung macht im laufenden Jahr 40 Trill. Yen neue Schulden, aber die Zentralbank kauft Anleihen über bis zu 80 Trill. Yen auf. Das wäre in Deutschland undenkbar. Das kann man als eine Art Kriegswirtschaft sehen, die im Grunde sehr erfolgreich ist. Dieses Modell wird beibehalten, daran wird sich nichts ändern. Kritisch würde es nur, wenn es zu einer Phase der Hochinflation oder zu einer Währungskrise käme. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber meines Erachtens sehr gering, unter anderem weil sich die Japaner hauptsächlich bei sich selbst verschuldet haben. Dennoch würden wir ausländischen Investoren stets raten, den Wechselkurs abzusichern, weil es doch eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass der Yen strukturell zur Schwäche neigt. Das kann zum Beispiel dann geschehen, wenn die Normalisierung der Geldpolitik in den USA weitergehen sollte. Danach sieht es aber aktuell nicht aus.- Sollte man als Aktieninvestor aus Europa den japanischen Gesamtmarkt kaufen oder sollte man selektiv vorgehen?Aus meiner Sicht ist es ratsam, in die japanische Strukturpolitik zu investieren, was über Engagements in kleinere oder mittlere Unternehmen des japanischen Aktienmarktes erfolgen kann. Ausländische Investoren denken immer zuerst an Konzerne wie beispielsweise Sony und Toyota. Mit diesen Aktien würde man aber letztlich in die Themen Amerika oder in China investieren. Für die Gewinnentwicklung beider Konzerne ist Japan relativ unbedeutend. Die Unternehmen in Topix erzielen 63 % ihrer Gewinne im Ausland. Die kleinen und mittleren japanischen Unternehmen erwirtschaften hingegen 80 % ihrer Gewinne im Inland.- Bleiben wir kurz bei den Large Caps. Sie sagten, mit Aktien der japanischen Investitionsgüterhersteller ließe sich in die chinesischen Konjunkturprogramme investieren, die ja stark auf die Verbesserung der Infrastruktur setzen. An welche Aktien denken Sie da vor allem?Ich denke da an Fanuc, Yokogawa Electric, Nabtesco und die auf Factory Automatisation spezialisierte Keyence. Wenn in China eine Fabrik gebaut wird, stammen 60 % der Maschinen aus Japan. Man investiert damit praktisch in das Thema China, hat aber möglicherweise eine bessere Governance, weil es sich um japanische Unternehmen handelt. Das ist auch deshalb interessant, weil wir derzeit unter Abe eine deutliche Annäherung Japans und Chinas erleben. Auf dem chinesisch-japanischen Gipfeltreffen im Oktober wurde ein Abkommen geschlossen, gemäß dem chinesische und japanische Firmen gemeinsame Angebote für chinesische Infrastrukturprojekte abgeben dürfen. Die chinesische Regierung merkt, dass sie mit ihrer neoimperialen One-Belt-One-Road-Politik in den kleineren Staaten Asiens auf Widerstand trifft. Gemeinsame Programme mit japanischen Firmen kommen da besser an.- Was halten Sie von japanischen Bankentiteln?Auch die japanischen Großbanken sind interessant, sofern man lieber auf Large Caps setzen will. Mizuho, Mitsubishi und Sumitomo bieten eine Dividendenrendite von 4 %, sie notieren mit einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von lediglich 0,5. Japan verfügt nur noch über drei Großbanken, die Konsolidierung im Bankensektor ist also sehr viel weiter fortgeschritten als beispielsweise in Europa. Die Großbanken erzeugen ihre Erträge übrigens nicht nur in Japan, sondern eben ganz Asien, weil sich angesichts der Niedrigzinsen mit dem klassischen Kreditgeschäft in Japan nichts verdienen lässt. Seit drei Jahren sind die drei japanischen Großbanken der wichtigste Kreditgeber in Asien unter Ausklammerung Chinas. So kann man beispielsweise über die Aktie der Mitsubishi Bank Indonesien-Exposure kaufen. Von ihrem Geschäftsmodell her haben es die japanischen Großbanken relativ einfach. Sie sind relativ gut kapitalisiert und haben eine sehr gute Reputation in Asien.- Beim geldpolitischen Kurs der Bank of Japan ist keine Änderung absehbar?Nein. Die japanische Notenbank hat seit Mitte vergangenen Jahres gewarnt, dass asymmetrische Risiken hin zu einer Abschwächung bestehen. Und kürzlich wurde auch die Inflationserwartung deutlich nach unten revidiert.- Welche Rolle spielt der wirtschaftliche Wiederaufstieg Eurasiens für den US-Verbündeten Japans, wobei sich die USA diesem Trend ja nach Kräften entgegenstellen?Kommen wir noch einmal zurück auf die Rahmenbedingungen der Märkte: Es entsteht eine enorme Dynamik in der wirtschaftlichen Restrukturierung Asiens und auch im Bekenntnis zum Multilateralismus – auch um eine chinesische Übermacht zu verhindern. In dieser Hinsicht hat Japan eine eindeutige Führungsrolle als Wirtschaftsmacht. Man hat die Freihandelszone Trans Pacific Partnership (TPP) jetzt ohne die USA realisiert. Ich vermute, dass spätestens bis zur Olympiade in Japan im Jahr 2020 China bei TPP dabei sein wird. Ich bin davon überzeugt, dass die Achse Beijing – Tokio bis 2021, dem Ende der Amtszeit Abes, sehr konkrete Vorschläge unterbreiten wird.- Das bedeutet, dass sich Japan nicht von den USA für eine antichinesische Politik einspannen lassen würde, wenn diese den japanischen Interessen nicht dient?Nein. Auf sicherheitspolitischer Ebene ist allerdings das amerikanisch-japanische Bündnis gerade in den vergangenen zwei Jahren stärker geworden. Abe und US-Präsident Donald Trump pflegen sehr gute bilaterale Beziehungen. Es ist aber immer zu berücksichtigen, dass sich ganz Asien durch einen enormen Pragmatismus und die Abwesenheit von Ideologie auszeichnet – wovon die Volkswirtschaften und Aktienmärkte Asiens profitieren sollten.—-Das Interview führte Dieter Kuckelkorn.