TECHNISCHE ANALYSE

Es kommt doch immer wieder anders

Von Christoph Geyer *) Börsen-Zeitung, 14.12.2016 Brexit, US-Präsidentschaftswahl, Italien-Referendum: In diesem Jahr haben bereits mehrere sogenannte Schicksalswahlen stattgefunden. Die Einschätzungen lauteten meistens so, dass bei einem...

Es kommt doch immer wieder anders

Von Christoph Geyer *)Brexit, US-Präsidentschaftswahl, Italien-Referendum: In diesem Jahr haben bereits mehrere sogenannte Schicksalswahlen stattgefunden. Die Einschätzungen lauteten meistens so, dass bei einem vermeintlich ungünstigen Wahlausgang mit heftigen Marktturbulenzen gerechnet werden muss. Tatsächlich stieg die Volatilität an den Tagen nach den Wahlen zum Teil deutlich. Eine Änderung des vorherrschenden Trends konnte jedoch nicht beobachtet werden. Seit Anfang August bewegte sich der Dax in einer ausgeprägten Seitwärtstendenz zwischen ca. 10 200 und ca. 10 800 Punkten. Jedes Mal, wenn die Extremzonen erreicht wurden, prallte er dort ab. Zuletzt konnte dies im November beobachtet werden. Nun ist es anders gekommen. Die technische Lage hat sich verändert. Der Stochastik-Indikator ist nicht mehr in den überverkauften Bereich vorgedrungen und der MACD-Indikator hat kurz vor der Nulllinie nach oben gedreht. Kaufsignal generiertMit dem Ausbruchstag der vergangenen Woche wurde ein neues Kaufsignal generiert. Dies ist in der Nähe der Nulllinie ein besonders starkes Zeichen, auch wenn in der gängigen Literatur eine uneinheitliche Sichtweise zu diesem Thema zu lesen ist. Der Ausbruch wurde – ein zusätzliches positives Zeichen – von einem deutlichen Umsatzanstieg begleitet. Dies zeigt, dass auch die Marktbreite vorhanden war, die eine entsprechende Stimmungsverbesserung mit sich brachte. Damit hat sich deutliches Aufwärtspotenzial eröffnet. Allerdings sollte bei aller Euphorie beachtet werden, dass der Ausbruch auch ein falsches Signal darstellen könnte. Die Zyklik zeigt für den Dezember nämlich eine eher schwache Woche für die Zeit ab dem 11. Dezember an. Erst nach dieser Woche startet für gewöhnlich die viel beschriebene Jahresendrally.Der kurzfristige Blick ersetzt aber nicht die Analyse der übergeordneten Bewegungen. Hier dient wieder die zyklische Betrachtung, die in den vergangenen Jahren zum Teil sehr hilfreich, in manchen Jahren aber auch irreführend war. So konnte die zyklische Analyse den Einbruch zum Jahresstart 2016 nicht erfassen. Der Rückgang des Dax von rund 10 500 Punkten auf unter 8 800 Punkte hat in wenigen Wochen viele Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischt. Der anschließende Anstieg war für die meisten Anleger nur ein Trostpflaster, obwohl Mitte April der gesamte Rückgang wieder aufgeholt war. Tendenziell sind die Kurse in Deutschland anschließend gestiegen, was von der Zyklusanalyse gedeckt war. Auch der volatile Seitwärtstrend ab August dieses Jahres kam zyklisch betrachtet nicht unerwartet. Somit hat sich die Zyklik für ein US-Präsidentschaftswahljahr, mit Ausnahme der ersten beiden Monate, recht gut geschlagen.Interessant war auch die Erkenntnis, dass in einem US-Wahljahr unterschiedliche Zyklen vorherrschen. Wenn der Präsident nämlich wiedergewählt werden kann, verläuft das zweite Halbjahr üblicherweise besser als in einem Jahr, wenn ein neuer Präsident gewählt wird, so wie es in diesem Jahr der Fall war. Was sich seit der Wahl allerdings geschehen ist, zeigt einmal mehr, dass die Zyklik nicht in der Lage ist, aktuelle Themen abzubilden. Dies ist konstruktionsbedingt auch kaum möglich, bezieht sich die Berechnung doch ausschließlich auf den üblichen Verlauf in der Vergangenheit. Aussagen, die ein designierter Präsident tätigt, können sich positiv oder negativ auswirken. So kann man es seit Wochen hautnah in den USA beobachten. Entsprechend wird aktuell das zyklische Verhalten der vergangenen Präsidentschaftswahljahre gänzlich ausgeblendet.Was ist in den nächsten zwölf Monaten zu erwarten? Das anstehende Präsidentschaftsnachwahljahr hält für den US-Markt eine etwas andere Entwicklung bereit als für den deutschen. So zeigte sich in früheren Jahren, nachdem ein Präsident vereidigt wurde, zunächst ein verhaltener Start. Dabei rutschte der Dow in den ersten beiden Monaten ins Minus, während der Dax eher seitwärts tendierte. Beide Indizes konnten dann im Schnitt eine Anstiegsbewegung bis Anfang August generieren. Anschließend begann im Schnitt eine Konsolidierung. Dann trennen sich die Wege. Der Dow muss sich üblicherweise bis etwa Mitte November gedulden, bis ein erneuter Anstieg folgt. Beim Dax dauert die Konsolidierung nur bis etwa Mitte September. Ein Gleichlauf ist dann wieder ab Anfang Dezember zu erwarten. Ein positiver Auftakt wird von Gewinnmitnahmen bis Mitte Dezember abgelöst. Die übliche Jahresschlussrally startet dann um den 15. Dezember. Dort schließt sich der Kreis wieder.Die zyklische Analyse ist kein Garant für die besten Ein- oder Ausstiegskurse. Sie ist nur eine statistische Größe der Vergangenheit. Damit gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten, das schon häufiger beobachtet wurde, auch in der Zukunft stattfindet. Es ist eine Wahrscheinlichkeit auf die Tendenz, ohne dass Marken für Handlungen abgeleitet werden können. Auch eine Jahresendprognose ist mit dieser Analyse nicht darstellbar. Ereignisse wie etwa Terroranschläge können die Überlegungen gänzlich über den Haufen werfen. Sie bietet aber die Möglichkeit, eine Richtschnur zu nutzen, wie sich der Markt in “normalen” Zeiten tendenziell verhalten könnte. Gepaart mit entsprechenden Indikatoren und der klassischen technischen Analyse ist dieses Instrument eine hilfreiche Ergänzung, um die Märkte besser zu beherrschen.—-*) Christoph Geyer ist technischer Analyst bei der Commerzbank.