ESG

ESG treibt die Anleger um

Immer mehr Investoren berücksichtigen bei ihren Anlageentscheidungen ESG-Kriterien. Die Coronakrise hat dies nur noch verstärkt, insbesondere bei dem Aspekt Social.

ESG treibt die Anleger um

kjo Frankfurt

Die überwiegende Mehrheit von Investoren weltweit berücksichtigt ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) bei Anlageentscheidungen, und zwei von drei Anlegern bemängeln die Qualität der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Fast die Hälfte der Investoren erwägt sogar Desinvestitionen, wenn Unternehmen keine ausreichenden ESG-Maßnahmen ergreifen. Das sind die zentralen Aussagen einer Studie zu diesem Themenkomplex von PwC, die der Börsen-Zeitung exklusiv vorliegt.

Umwelt-, soziale und Governance-Aspekte spielen bei Entscheidungen für oder gegen ein Investment eine immer wichtigere Rolle, halten die PwC-Experten fest. Beinahe acht von zehn Investoren weltweit würden darauf achten, wie ein Unternehmen mit ESG-Risiken und -Chancen umgeht. Das und mehr zeigt der aktuelle Global Investor ESG Survey 2021 der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC. Dafür hat PwC 325 Investoren aus 42 Ländern befragt und mit weiteren 40 aus 11 Ländern Interviews geführt.

Die Covid-19-Krise zeigt hierbei einen nicht gerade zu vernachlässigenden Einfluss. „Die Covid-19-Krise hat die sozialen Aspekte der ESG-Kriterien, wie Gesundheit und Sicherheit, Wohlbefinden, Arbeitsplatz­sicherheit oder neue Arbeitsformen, weiter in den Mittelpunkt der Anleger gerückt. Gleichzeitig gewann das Thema Klimawandel deutlich an Interesse – nicht zuletzt durch die UN-Klimakonferenz in Glasgow. Spätestens seit dem vierten Quartal 2020 können wir klar einen erhöhten Geldfluss in nachhaltige bzw. ESG-Fonds verzeichnen“, sagt Nadja Picard, PwC Europe Capital Markets Leader und Global Reporting Leader bei PwC Deutschland, der Börsen-Zeitung.

„Unternehmen müssen nichtfinanziellen Kennzahlen denselben Stellenwert einräumen wie Finanzkennzahlen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, Investoren von sich zu überzeugen und langfristig an sich zu binden“, führt Picard weiter aus. Davon indes seien viele Unternehmen derzeit offenbar noch weit entfernt: Nur ein Drittel der befragten Investoren halte die durchschnittliche Qualität der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen für gut. Demgegenüber würden 83% der Befragten Wert darauf legen, dass die ESG-Berichterstattung detaillierte Informationen über Fortschritte bei Nachhaltigkeitszielen liefere. Und: 79% würden unabhängig geprüften Berichten mehr vertrauen.

Kennzahlen befürwortet

Investoren weltweit wünschten sich mehrheitlich größere Transparenz und klare, einheitliche Bewertungskriterien. Kennzahlen, um die ESG-Performance von Unternehmen zu vergleichen, würden mehr als sieben von zehn Investoren befürworten, so ein weiteres Ergebnis der Untersuchung. Und etwa drei von vier Befragten seien der Meinung, dass sie besser fundierte Investmententscheidungen treffen könnten, wenn Unternehmen einheitliche ESG-Berichtsstandards anwenden würden. „Schon jetzt lässt eine Mehrheit der Dax-Unternehmen eine Prüfung der ESG-Dimension freiwillig vornehmen. Das ist ein erster Schritt hin zu einer integrierten Berichterstattung mit hinreichender Prüfungssicherheit für Anleger und Gesellschaft. Dies wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach mittelfristig als Best Practice etablieren, zumindest bei kapitalmarktorientierten Unternehmen“, so Petra Justenhoven, Mitglied der Geschäftsführung und Leiterin des Geschäftsbereichs Assurance bei PwC Deutschland.

Ein weiteres Befragungsergebnis ist, dass 82% der Investoren meinen, dass Unternehmen ESG-Aspekte in ihre Unternehmensstrategie einbinden sollten. Drei von vier Befragten halten es laut PwC sogar für sinnvoll, dass Unternehmen kurzfristig auf Rentabilität verzichten, um ESG-Themen voranzubringen. Dabei forderten die Investoren aber weiterhin eine Rendite und seien nur zu geringen Einbußen bereit. Bemerkenswert sei, dass fast die Hälfte der befragten Anleger (49%) erwäge, Desinvestitionen vorzunehmen, wenn Firmen keine ausreichenden ESG-Maßnahmen er­greifen. „Investoren erwarten zunehmend, dass Unternehmen in puncto Klimaschutz und bei anderen Nachhaltigkeitsthemen erkennbar aktiv werden und überzeugend darlegen, inwiefern sie diese Aspekte in ihre Geschäftsstrategie integrieren“, so Picard. Investoren gewichten auch unter dem Einfluss der Krise den Aspekt „S“, d. h. sozial, bei den Unternehmen immer mehr. „Mit der Ge­währleistung der Gesundheit und Si­cherheit der Arbeitnehmer sowie der Verbesserung der Diversity der Belegschaft und der Führungskräfte sind gleich zwei soziale Themen unter den drei wichtigsten abgefragten ESG-Themen enthalten, mit welchen sich die Unternehmen laut Investoren weltweit befassen müssen“, sagt Pi­card. Schaue man sich ausschließlich die Antworten europäischer In­ves­toren an, erkenne man einen starken Fokus auf das Thema Umwelt. Hier rangierten die Reduzierung der Treibhausgasemissionen nach Scope 1 und 2, die Reduzierung der Treibhausgasemissionen nach Scope 3 und die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer auf den ersten drei Plätzen.

Der Aspekt Engagements ist für Investoren sehr wichtig. „Unternehmen sollten mehr Engagement von ihren Anlegern erwarten. Das bestätigt auch unsere Studie: 58% der Anleger tauschen sich häufig mit einem Unternehmen über ESG-Themen aus. Mehr als drei Viertel – nämlich 77% – gaben an, dass sie sich in Zukunft wahrscheinlich engagieren werden“, so Picard. ESG-aktivistische Investoren würden sich zudem weiter auf dem Vormarsch befinden. Dieser Trend, der mit dem Engine No 1 bei Exxon für Schlagzeilen sorgte, habe sich in jüngster Zeit fortgesetzt, beispielsweise bei Unilever. Die Anleger haben auch einen Blick auf ESG- bzw. Sustainability-Ratings.

„Ratingagenturen spielen sicherlich eine wichtige Rolle. Aus Gesprächen mit Anlegern wissen wir, dass ESG-Ratings und -Bewertungen das Verständnis der ESG-Risiken und der Leistung vereinfachen. Die ESG-Kriterien umfassen eine Reihe von Themen und Bereichen, in welchen Investoren nicht flächendeckend Experten sein können. Die hohe Anzahl der Unternehmen in einem Portfolio erfordert eine effiziente Methode zur Analyse der ESG-Leistung und -Risiken“, sagt Picard.

Die Umfrage habe ergeben, dass sich zwar mehr als zwei Drittel der Investoren bei der Auswahl ihrer Anlagen und bei ihren laufenden Analysen in gewissem Maße auf ESG-Ratings verlassen. Aber nur 40% der Befragten weltweit hätten ein großes Vertrauen in die abgegebenen Ratings und Bewertungen. Teilweise sei es zum Beispiel so, dass Investoren die Bewertungen nutzen, um auf potenzielle Probleme hinzuweisen und dann ihre eigene Due-Diligence-Prüfung und Nachforschungen zu dem Thema anzustellen. Problematisch sei allerdings weiterhin, dass Unternehmen bei verschiedenen Ratingagenturen durchaus unterschiedlich bewertet sein können. „Eine Vereinheitlichung der Berichterstattung wird hier hilfreich wirken“, so Picard.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.