IM INTERVIEW: ANDREAS HÜRKAMP, COMMERZBANK

"Euro derzeit das größte Risiko"

Stratege: Abgesang auf den Bullenmarkt kommt zu früh - US-Aktien sind teuer geworden

"Euro derzeit das größte Risiko"

Die Sorge vieler Marktakteure, dass der betagte Bullenmarkt kurz vor dem Aus stehen könnte, teilt Andreas Hürkamp nicht. Der Stratege der Commerzbank hält es durchaus für möglich, dass der 2009 gestartete Bullenmarkt zehn Jahre alt wird. Zur Begründung verweist er unter anderem auf das anhaltend starke Wachstum der Geldmenge M 1 und hohe Dividendenrenditen.- Herr Hürkamp, der Dax hat sich von seinen Sommertiefen erholt. Was trauen Sie dem Index bis zum Jahresende zu?Wir sehen ein leichtes Aufwärtspotenzial; unser Ultimo-Ziel lieg bei 12 600 Punkten. Für den Sommer hatten wir eine Seitwärtsbewegung mit einem Abwärtsrisiko bis 11 500 Punkte prognostiziert. Der Index hat auf seiner 200-Tage-Linie gedreht, nachdem er zwei Tage lang daruntergelegen hatte. Üblicherweise ist ein Durchbruch unter die 200-Tage-Linie ein Warnsignal. Solange aber die Geldpolitik im Hintergrund relativ expansiv ist, sind Korrekturen auf die 200-Tage-Linie unserer Meinung nach Kaufgelegenheiten.- Was bedeutet die Tendenz der Notenbanken hin zu einer weniger expansiven Linie?Das ist ein wichtiger Trendwechsel im laufenden Zyklus. Ab dem kommenden Jahr werden die Bilanzen der Notenbanken stagnieren, das heißt, der Aufwärtstrend ist vorbei. Die Fed wird dazu übergehen, ihre Bilanz zu reduzieren, die EZB wird 2018 weiter kaufen und das Kaufprogramm 2019 auslaufen lassen. Wir fokussieren uns allerdings auf das Wachstum der Geldmenge M 1, also das Wachstum der täglich verfügbaren Gelder. Die Geldmengen M 1 wachsen weiterhin sehr stark, im Euroraum und in den USA um 9 % bei langjährigen Durchschnitten zwischen 5 und 6 %, in China um 15 %. Solange das der Fall ist, bleibe ich dabei, dass der Aufwärtstrend am Aktienmarkt weitergeht.- Aber was passiert mit dem Geldmengenwachstum und dem Aktienmarkt, wenn die Notenbanken ihre Anleihekäufe einstellen oder die Bestände abbauen?Wenn das passiert, wird das Wachstum von M 1 wahrscheinlich schwächer werden. Aber dies ist noch nicht der Fall. Der aktuelle Bullenmarkt ist mit 8,5 Jahren mittlerweile sehr alt, er wird aber möglicherweise sogar zehn Jahre alt. In den siebziger Jahren wurden Bullenmärkte teilweise nur drei Jahre alt. Dann folgten von 1982 bis 1990 und von 1992 bis 2000 zwei Bullenmärkte mit achtjähriger Dauer. Bildlich gesprochen kann man sagen, dass die Aktienparty, die um 20:00 Uhr begonnen hat, nicht mehr sehr lange weitergehen wird, weil es bereits achteinhalb Stunden später 4:30 Uhr morgens ist. Die Musik, die die Notenbanken stellen, wird leiser, aber sie ist noch da. Schauen Sie nur auf China. Im Jahr 2014 beendete die chinesische Zentralbank ihre lockere Geldpolitik, was die Aktienmärkte stark belastete. Ab Mitte 2015 änderte sie jedoch ihren Kurs und senkte ihren Leitzins sechsmal, das heißt, es kam noch eine Notenbank hinzu, die Musik bereitgestellt hat. Es war nicht in erster Linie der Wahlsieg von Donald Trump, der die Kurse seit dem Herbst 2016 trieb. Vielmehr wurde die Angst vor einem Wachstumseinbruch in China ausgepreist.- Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Weltwirtschaft?Wir haben erstmals in diesem Zyklus einen global synchronen Konjunkturaufschwung. In allen wichtigen Regionen gibt es ein starkes Geldmengenwachstum. Das wirkt sich auf die Dax-Unternehmen positiv aus. Sie berichten aus allen drei Zeitzonen Wachstumsbeiträge. Der Abgesang auf den Bullenmarkt kommt zu früh.- Welche Folgen für die Dax-Unternehmen hat die Aufwertung des Euro?Der amerikanische Bullenmarkt ist sehr robust. Seit dem Wahlsieg von Donald Trump hat es kaum eine Korrektur gegeben. Dagegen hat der Dax von seinem Allzeithoch aus zwischenzeitlich rund 1 000 Punkte verloren. Der Grund ist klar die Aufwertung des Euro, der auch etwa zum britischen Pfund und zur chinesischen Währung gestiegen ist. Mit knapp 110 Mrd. Euro in den zurückliegenden zwölf Monaten sind die USA der wichtigste Exportmarkt der deutschen Wirtschaft. Großbritannien liegt mit 85 Mrd. Euro auf dem dritten Platz, China mit ungefähr 80 Mrd. Euro auf dem fünften Platz. Drei der fünf größten Exportmärkte sind somit von der Aufwertung betroffen. Das bekommen die Unternehmen deutlich zu spüren.- Schlägt sich das auch in den Erwartungen der Marktteilnehmer nieder?Im ersten Halbjahr betrug das Verhältnis der Dax-Unternehmen mit steigenden beziehungsweise fallenden Gewinnerwartungen 20 zu 10. Das hat gedreht, jetzt haben wir 10 Unternehmen mit steigenden und 20 Unternehmen mit fallenden Ergebnisprognosen. Das Spiegelbild sieht man in den USA. Im Dow gibt es 20 Unternehmen mit steigenden und 10 Firmen mit sinkenden Gewinnprognosen. Wir haben ein deutlich niedrigeres nominales Wachstum als in vergangenen Zyklen. In einem solchen Umfeld schlagen Wechselkursverschiebungen deutlich stärker zu Buche. Wir glauben zwar, dass der Euro nicht mehr stark aufwerten wird, weil die Fed bald ihre Bilanz reduzieren wird. Der Euro ist aber derzeit das größte Risiko für den Aktienmarkt.- Wie sieht die Bewertungssituation aus?Neben dem hohen Geldmengenwachstum gibt es einen weiteren wichtigen Punkt für den Aktienmarkt. Die Dividendenrenditen liegen deutlich über den Renditen, die andere Asset-Klassen bieten. Im Jahr 2007 hatte ein Investor, der sich am Aktienmarkt unwohl fühlte, noch die Möglichkeit, auf eine andere Party zu gehen, etwa an den Unternehmensanleihemarkt, der 5 % abwarf. Wer derzeit die Aktien-Party verlassen will, hat das Problem, dass die anderen Partys langweilig sind. Staatsanleihen werfen nichts ab beziehungsweise rentieren teilweise sogar negativ, Unternehmensanleihen bieten spärliche 1 %. Ein wenig Bauchschmerzen bereiten uns allerdings die USA mit einem KGV von 18. Das ist das höchste Niveau seit zehn Jahren und übertrifft den langjährigen Durchschnittswert um 20 %. Das Shiller-KGV auf Basis des Durchschnitts der realisierten Gewinne der zurückliegenden zehn Jahre liegt bei 30. Es bereitet vielen Sorgen, dass ein derart hohes Niveau bisher nur zweimal, 1928 und 1999, im Vorfeld des Platzens großer Aktienmarktblasen erreicht worden ist.- Wie beurteilen Sie die Bewertung des Dax?US-Aktien sind teuer geworden, die Bewertung ist typisch für einen Zyklus, der kurz davor steht, auszulaufen. Beim Dax liegt das KGV zurzeit bei 13. Nimmt man aber die sehr niedrig bewerteten Autoaktien raus, haben wir mit 15 ebenfalls ein KGV, das 20 % über dem langfristigen Durchschnitt liegt. Solange jedoch das M 1-Wachstum so stark bleibt, können die Bewertungen unserer Einschätzung nach aber so hoch bleiben beziehungsweise womöglich sogar leicht weiter steigen. Erst wenn die Geldschwemme endet, wird der Aktienmarkt nicht mehr in der Lage sein, so hohe Bewertungen aufrechtzuerhalten. Für Warnungen aufgrund der Bewertungslage ist es aber noch ein bis zwei Jahre zu früh.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.