Europäische Unternehmen haben bei Industriesoftware die Nase vorn

Berenberg Bank erwartet rasantes Wachstum - Siemens und Schneider Electric als Branchenbeste - ABB, Emerson und Rockwell zum Verkauf empfohlen

Europäische Unternehmen haben bei Industriesoftware die Nase vorn

amb Frankfurt – Industrie 4.0, also die Verzahnung von industrieller Produktion mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik, ist ein Megatrend. Voraussetzung für die Umsetzung ist eine Industriesoftware, die die virtuelle mit der realen Welt verknüpft – nach Ansicht der Berenberg Bank A und O für den Automatisierungsprozess. Einer Studie der Hamburger Privatbank zufolge müssen sich europäische Unternehmen hier nicht verstecken, im Gegenteil: Die US-Unternehmen hinkten europäischen Adressen wie Siemens und Schneider Electric deutlich hinterher. Geraten wird daher zu Siemens und Schneider, abgeraten von Emerson Electric und Rockwell, aber auch vom Schweizer Elektrotechnikkonzern ABB. MarktanteilsverlusteUS-Unternehmen wie Emerson und Rockwell hätten – im Gegensatz zu Siemens und Schneider Electric – bislang versäumt, durch Zukäufe im Bereich Industriesoftware zu wachsen, heißt es. Nun stünden sie vor der Wahl: Sie könnten Software zukaufen, mit Gefahr für die Gewinnentwicklung, oder sie könnten auf organisches Wachstum setzen – mit dem Risiko von Marktanteilsverlusten. “Für Aktionäre sind beide Optionen unattraktiv”, schreiben die Analysten Simon Toennessen, Rizk Maidi und Horace Tam. Am Markt würden diese Risiken bislang völlig übersehen, die US-Aktien würden sogar noch zu einem Aufschlag von 38 % gegenüber den europäischen gehandelt.Die Bank erwartet, dass der Industriesoftware-Markt bis 2020 dreimal so schnell wachsen wird wie der traditionelle Elektrotechnikbereich. Europäischen Unternehmen werde es dabei gelingen, den US-Konkurrenten weitere Marktanteile wegzunehmen – wegen besserer Software. Verwiesen wird auf PLM-Software (Product Lifecycle Management), bei der es um die Verwaltung vom Informationen über den gesamten Produktlebenszyklus geht, Simulations- und MES-Software (Manufacturing Execution Systems), Teil des Fertigungsmanagementsystems. Davon profitieren würden auch der Hardware-Verkauf und das hochattraktive Dienstleistungsgeschäft.Siemens wird von “Hold” auf “Buy” hochgestuft, das Kursziel von 95 auf 120 Euro angehoben, deutlich oberhalb der aktuellen Notierung von 105,35 Euro. Die Analysten sehen das Unternehmen als die Nummer 1 weltweit in der Automatisierungstechnik, auch in Zukunft würden die Münchener die Konkurrenz hinter sich lassen. Im Jahr 2017 werde Siemens abermals aus eigener Kraft so stark wachsen wie niemand sonst in der Elektrotechnikbranche. Zudem könnten die Margen mit Verbesserungen in den sich unterdurchschnittlich entwickelnden Geschäftsbereichen steigen, Aufwärtspotenzial sehen die Analysten auch durch die Übernahme des spanischen Windenergieunternehmens Gamesa. Nicht zuletzt sei die Aktie mit einem EV/Ebitda von 10 im Branchenvergleich am attraktivsten bewertet, der Abschlag gegenüber der Konkurrenz nicht gerechtfertigt. Die Gewinnschätzungen je Aktie werden für 2016 bis 2018 um 5,1 % auf 6,86, um 4,4 % auf 7,94 und um 6,9 % auf 8,61 Euro angehoben. Positive ÜbernahmeeffekteBei dem französischen Elektrotechnikkonzern Schneider Electric, den Analysten zufolge die Nummer 2 gleich hinter Siemens im weltweiten Industriesoftware-Bereich, wird ebenfalls zum Kauf geraten. Das Kursziel wird von 68 auf 72 (aktuell 62,11 Euro) angehoben. Mittlerweile zeigten sich positive Effekte der Übernahme des britischen IT-Unternehmens Invensys, heißt es, bei MES sei Schneider jetzt sehr gut positioniert, Rockwell und Emerson seien Marktanteile abgenommen worden. Begrüßt wird der Plan, im PLM-Bereich mit anderen Unternehmen zusammenzugehen. Die bereits zweimal gescheiterte Übernahme des britischen Softwareherstellers Aveva sei weiter Thema, den Experten zufolge wäre der Zukauf sehr gut für die Marktposition von Schneider im Bereich Prozessautomatisierung. Eine Übernahme von Aspen Technology käme hingegen zu teuer. Die Gewinnschätzungen für 2016 werden um 1 % auf 3,64 reduziert, für 2017 bleiben sie bei 4,18 Euro, für 2018 werden sie um 4 % auf 4,41 Euro angehoben.ABB wird hingegen zum Verkauf empfohlen, das Kursziel wird allerdings ebenfalls etwas angehoben, und zwar von 17,50 auf 19 (aktuell 22,16 sfr). Im Bereich Industriesoftware spiele der Konzern keine Rolle, Investitionen in die Digitalisierung fehlten, das werde sich negativ auf das traditionelle Geschäft auswirken. Den Analysten zufolge würde eine Übernahme von Aspen Technology, Aveva oder PTC Sinn machen. Die Gewinnschätzungen für 2016 werden um 1,7 % auf 1,05 und für 2018 um 3,6 % auf 1,27 erhöht, für 2017 aber um 2 % auf 1,21 US-Dollar gesenkt.Rockwell Automation und Emerson Electric werden ebenfalls mit “Sell” eingestuft, beide werden erstmals beurteilt. Für Rockwell, dem Anbieter von integrierten Informations- und Automationslösungen aus Milwaukee, Wisconsin, wird ein Kursziel von 100 (aktuell 117,15 Dollar) genannt. Grundsätzlich sei Rockwell ein sehr gutes Unternehmen, das aber, um konkurrenzfähig zu bleiben, mehr Geld in die Digitalisierung stecken müsse. Auch im kommenden Jahr würden die Gewinne nicht steigen, die Umsatzschätzungen für 2018 seien viel zu optimistisch, Rockwell werde im Automatisierungsbereich weiter Marktanteile an Siemens und Schneider verlieren. Die Aktie werde zudem zu einem Aufschlag von 20 % zu Schneider und von 40 % zu Siemens (KGV) gehandelt. Die Gewinnschätzungen liegen bei 5,66, 5,54 und 6,01 Dollar je Aktie bis 2018. Unternehmensziele zu hochFür den auf Automatisierungstechnik spezialisierten US-Konzern Emerson Electric aus Ferguson in Missouri wird ein Kursziel von 41 (aktuell 50 Dollar) genannt. Die Analysten gehen davon aus, dass die Gewinnschätzungen nach den diversen Portfolioumstrukturierungen deutlich fallen werden. Die Bewertung liege bereits 50 % über dem historischen Durchschnitt. Dabei stehe Emerson, unter anderem wegen der hohen Abhängigkeit von der Öl- und Gasbranche, vor einem abermals schwierigen Jahr. Die Analysten sind davon überzeugt, dass das Geld besser in die Digitalisierung gesteckt worden wäre als in die Übernahme der schwächelnden Ventilsparte Valves & Controls des Pumpenherstellers Pentair. Die Unternehmensziele für 2019 seien viel zu hoch, die organischen Umsätze würden viel niedriger ausfallen als prognostiziert, ebenso die Free Cash-flows – mit Folgen für die geplanten Zukäufe, Dividenden und Aktienrückkäufe. Prognostiziert werden 2,81, 2,29 und 2,59 Dollar Gewinn je Aktie von 2016 bis 2018.Siemens wird von anderen Analysten überwiegend auf “Neutral” oder “Kaufen” eingestuft. Mit “Neutral” bzw. “Hold” votieren zum Beispiel BNP Paribas, J.P. Morgan, Commerzbank, Credit Suisse, UBS und Morgan Stanley. Goldman Sachs, Kepler Cheuvreux, Société Générale und Citi raten hingegen zum Einstieg. BNP Paribas hat das Kursziel von 102 auf 100 Euro gesenkt. Nach einer Serie positiver Ergebnisüberraschungen und zweimaliger Prognoseanhebung seien die Erwartungen inzwischen zu hoch, heißt es, sie könnten nun sinken, da sich sämtliche Gewinntreiber abschwächten. Siemens selbst werde bei der Bilanzpräsentation im November die Ziele für das neue Jahr niedriger stecken als die Analysten. Goldman Sachs hat das Kursziel für Siemens unterdessen von 109 auf 118 Euro angehoben, wegen der Ausrichtung auf Wachstumsfelder wie Windkraft und Schienenverkehr wird weiter zum Kauf geraten.