EZB-Schlüsseltausch als schleichender Prozess
Von Sebastian Fellechner *)Am 1. Januar 2019 wird der Schlüssel für die Kapitalzeichnung der Europäischen Zentralbank (EZB) zum siebten Mal seit der Euro-Einführung geändert – auch für den Staatsanleihenmarkt ein wichtiges Datum. Als Zentralbank verfügt die EZB über ein Grundkapital, das von den Zentralbanken der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) gezeichnet wird. Tritt ein Land der EU bei, wird dessen Notenbank Mitglied im Europäischen System der Zentralbanken (ESZB). Damit wird diese zugleich in die Berechnung des Kapitalschlüssels mit einbezogen. Anteilseigner der EZB sind also nicht nur die Zentralbanken von Euro-Mitgliedstaaten, sondern alle nationalen Zentralbanken (NZB) in der EU.Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen den NZB von Euro-Mitgliedstaaten und denen von Nicht-Euro-Mitgliedstaaten: Nur die NZB der Euro-Mitglieder müssen ihren Kapitalanteil tatsächlich in voller Höhe einzahlen. Alle übrigen Mitglieder im ESZB müssen nur einen Bruchteil ihres Anteils tatsächlich zahlen. Die EZB passt die Kapitalanteile der NZB mindestens alle fünf Jahre und immer dann an, wenn ein neues Land der EU beitritt. Zuletzt wurde der EZB-Schlüssel am 1. Januar 2014 angepasst. Die Anteile der NZB am Kapital der EZB werden dabei zu gleichen Teilen nach den Anteilen der jeweiligen Mitgliedstaaten an der Gesamtbevölkerung und am Bruttoinlandsprodukt der EU gewichtet. Deutscher Anteil steigtSeit der vorigen Berechnung der Kapitalanteile im ESZB dürften sich in Teilen deutliche Verschiebungen ergeben haben. Auf Basis der aktuellsten Daten des statistischen Amtes der EU (Eurostat) aus dem Jahr 2017 ergeben sich die größten Veränderungen innerhalb der Eurozone für Italien und Deutschland. Mit rund 0,7 Prozentpunkten nimmt der Kapitalanteil Deutschlands, das bereits aktuell mit 25,6 % den höchsten Anteil trägt, am stärksten zu. Der Anstieg des Anteils geht dabei sowohl auf die starke Konjunktur in Deutschland, aber auch auf den Bevölkerungsanstieg zurück. Dagegen geht im neuen Kapitalschlüssel der Anteil Italiens am deutlichsten zurück. Die Veränderung des Anteils fällt noch stärker als die Deutschlands aus: Der Kapitalanteil Italiens dürfte sogar um rund 0,9 Prozentpunkte fallen. Der italienische Anteil fällt hauptsächlich aufgrund der unterdurchschnittlichen Entwicklung der Konjunktur. Bereits seit mehreren Jahren wächst die italienische Volkswirtschaft langsamer als die der gesamten Eurozone.Die Veränderungen werden auf den Staatsanleihenmarkt der EWU erheblichen Einfluss haben, denn: Im Rahmen des Anleihenankaufprogramms für öffentliche Titel (Public Sector Purchase Programme; PSPP) der EZB müssen die Neukäufe der öffentlichen Bonds wie Staatsanleihen anteilsmäßig nach dem EZB-Schlüssel aufgeteilt werden. Ab Januar des kommenden Jahres werden keine neuen Bonds mehr angekauft – so hat es der EZB-Rat erst jüngst bestätigt. Im kommenden Jahr werden fällig werdende Anleihen nur noch reinvestiert. Ein Blick auf die Daten der EZB offenbart allerdings, dass die Zentralbank tatsächlich mit den PSPP-Käufen deutlich vom Kapitalschlüssel abweicht. Bei einem Großteil der EWU-Länder liegt der tatsächliche Ankaufanteil vorrangig aus Gründen der Marktverfügbarkeit über dem durch den Kapitalschlüssel vorgegebenen Zielwert. Diese verhältnismäßige Übergewichtung von Ländern wie Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien geschieht auf Kosten Portugals, Irlands und Finnlands. Der Bestand an öffentlichen Titeln aus den drei Ländern liegt deutlich unter dem Zielwert. Grundsätzlich ist dies kein Problem: EZB-Chef Mario Draghi hat mehrfach gesagt, dass die Zielerreichung mittelfristig erfolge.2019 sollte die EZB also nicht nur damit beschäftigt sein, die genannten Abweichungen zu minimieren, sondern auch damit, wie sie zudem die Anpassung des Kapitalschlüssels technisch umsetzt. Draghi wurde im Rahmen von Pressekonferenzen mehrfach nach der Umsetzung gefragt. Draghi ließ sich allerdings bisher nicht in die Karten schauen. Bekannt ist nur, dass der Kapitalschlüssel laut Draghi auch während der Reinvestitionsphase einen “Anker” bildet. Nach unserem Dafürhalten sollte die EZB eine Entscheidung zur Sitzung am 13. Dezember dieses Jahres treffen – noch bevor der neue Kapitalschlüssel in Kraft tritt.Grundsätzlich hat die EZB zwei Optionen für die Anpassung an den neuen Kapitalschlüssel: Die Notenbank könnte die bereits angekauften PSPP-Bestände sowie Reinvestitionen ab Januar 2019 an den neuen Schlüssel anpassen. Die Wahl dieser Option würde allerdings erhebliche Portfolioumschichtungen nach sich ziehen. In Bezug auf Italien hieße das konkret: Der Bestand an öffentlichen Titeln wäre, gemessen am neuen Kapitalschlüssel, rund 43,7 Mrd. Euro zu hoch. Allerdings ist nur ein Teil in Höhe von 17,7 Mrd. Euro auf die Schlüsselanpassung zurückzuführen. Der Restbetrag kommt aufgrund der zuvor genannten positiven Abweichung vom Zielwert zustande.Vor allem für Italien käme diese Nachricht im aktuellen Umfeld sehr ungelegen. Ab 2019 wird das italienische Schatzamt mehr Staatsanleihen begeben müssen, um das höhere Budgetdefizit Italiens zu finanzieren. Gleichzeitig führt auch das Ende der Neuankäufe im PSPP zu einem Angebotsüberhang. Die genannten Portfolioumschichtungen würden daher den Markt zu Beginn des neuen Jahres zusätzlich stören und beeinflussen. Die EZB dürfte kein Interesse hieran haben und sollte daher den neuen Kapitalschlüssel nicht auf die bereits angekauften PSPP-Bestände anwenden. Zudem muss festgehalten werden, dass die EZB höchstwahrscheinlich gar nicht in der Lage wäre, Portfolioumschichtungen in dieser Größenordnung ohne Weiteres durchzuführen. Die aktuellen Abweichungen vom Kapitalschlüssel deuten bereits darauf hin, dass das ESZB aufgrund des mangelnden Angebots und/oder Liquidität die Verteilung nach dem Kapitalschlüssel nur sehr schwer mit den PSPP-Käufen nachbilden kann. Dass die tatsächliche Verteilung der PSPP-Bestände deutlich vom Kapitalschlüssel abweicht, wäre daher auch nach der Anwendung des neuen Kapitalschlüssels gegeben – das Problem wird nicht gelöst. Eine zweite OptionDie EZB sollte u. E. eine zweite Option wählen: Die Notenbank sollte die Anpassung an den neuen Schlüssel nur auf die Reinvestitionen, nicht aber auf die bereits angekauften PSPP-Bestände anwenden. Der Vorteil liegt darin, dass die für den Staatsanleihenmarkt störenden Portfolioumschichtungen verhindert werden. Mittel- bis langfristig würden sich dann auch die PSPP-Bestände dem neuen Kapitalschlüssel angleichen, da sich die Reinvestitionen an dem neuen Kapitalschlüssel orientieren. In der Summe kann von der EZB erwartet werden, dass sie die Anpassung an den neuen Kapitalschlüssel technisch so ausgestalten wird, dass Marktteilnehmer diese nur als schleichenden Prozess wahrnehmen dürften. Dieses marktsensitive Vorgehen hat die EZB seit der Finanzkrise bereits zahlreiche Male unter Beweis gestellt.—-*) Sebastian Fellechner ist EWU-Marktstratege bei der DZ Bank.